Die Erwartungen an die Bildungspolitik sind groß: Schulen, die Kreativität nicht nur zulassen, sondern auch fördern und starke Persönlichkeiten hervorbringen, die die Herausforderungen in einer digitalisierten Welt meistern können. Es muss gelingen, das Ansehen der Lehre auf das Niveau jeder anderen Ausbildungsforum zu heben – da waren sich die rund 120 TeilnehmerInnen des 5. Lehrlingsforums am 29. / 30. November 2017 einig.
Zu Beginn führte Key-Note-Speaker Ali Mahlodji, CEO von whatchado, aus, wie Jugendliche von heute ticken und betonte die Wichtigkeit, sie so anzunehmen wie sie sind:
"Wenn wir an Jugend denken, sollten wir nicht von unserer eigenen Vergangenheit ausgehen und "glauben", was funktioniert. Wir müssen verstehen, dass aktuell ein Jobmarkt entsteht, den wir uns nicht mal annähernd vorstellen können. 65 Prozent der Jobs, die wir in zehn Jahren machen, existieren heute noch gar nicht. Das heißt wenn ein Jugendlicher heute sagt: Ich weiß nicht, was ich in zehn Jahren mache, dann hat er auch Recht. Weil es den Job wahrscheinlich wirklich noch nicht gibt. Daher gilt es umso mehr diese Menschen zu empowern in der inneren Kraft, sich die Fragen des Lebens zu stellen, um dann herauszufinden, wo dieser Mensch hineinpasst. Oder wenn dieser Mensch schon in einem Bereich drin ist, wie kann er sich dort weiter entwickeln?"
Jugendliche für die Herausforderungen der Zukunft stärken
"Wir suchen uns nicht aus, wo wir geboren werden. Es sind andere, die unseren Vornamen für uns festlegen, und in welches Jahr wir hinein geboren werden, welche Hautfarbe wir haben, welche Haarfarbe wir haben, das sind Zufälle des Lebens. Ob wir in eine Akademikerfamilie hinein geboren werden oder nicht, ob wir in Syrien geboren werden oder im Iran oder in Österreich, das sind die Zufälle des Lebens. Und was man aber merkt ist, wenn man den Menschen das Vertrauen ausspricht, in eine Person hinein projiziert: Ich vertraue dir, ich weiß, dass du es kannst, ich weiß, dass du gut genug bist – egal, wie alt diese Person ist, die Selbstwirksamkeit eines Menschen wächst immer in diesem Augenblick. Und ich denke, genau darum geht es."
Ali Mahlodji, CEO, whatchado
Ein flammender Appell zum Abschluss
"Ich will Ihnen heute eines mitgeben, nämlich jedem hier, der im Bereich Personal sitzt: Führung und Personalarbeit ist das Eingreifen ins Schicksal anderer Menschen. Sie sind alle im Schicksalsbusiness, ob Sie wollen oder nicht. Sehen Sie einen Menschen an als eine Pflanze, Sie können die Pflanze nehmen, sie zum Fenster stellen und für die Rahmenbedingungen sorgen, und diese Pflanze wird blühen. Sie können nicht steuern, wie sie blüht, aber sie wird blühen. Oder Sie nehmen dieselbe Pflanze im selben Zimmer, stellen sie ins hinterste Eck, nehmen ihr alle Sachen weg, die sie benötigt, geben ihr nur das Notwendigste – aber ganz ehrlich, dann braucht sich kein Mensch wundern, wenn die Pflanze eingeht. Wir können Menschen dazu bringen, ihr Potenzial zu entfalten oder zu verkümmern. Wir können gar nicht sagen, ich will das nicht. Wir Menschen verbringen so viel Zeit an unserem Arbeitsplatz, dass es auch unsere Aufgabe ist, diese Lebenszeit von diesen Menschen als eine große Verantwortung zu sehen. Und ich bitte Sie nur um eines: Nehmen Sie die Lebensverantwortung der Mitarbeiter und der Lehrlinge als ein hohes Gut an, auch Ihre eigene Lebenszeit, und verschwenden Sie diese bitte nicht."
Was auch immer wir tun im Bereich HR oder der Führung, wir greifen in die Lebensgeschichte anderer Menschen ein, und zwar in das Schicksal.
Hören Sie hier die Key-Note in voller Länge:
Mama-Sohn Generationengespräch
Wie reagiert man als Mutter auf den Schulabbruch des eigenen Kindes? Dieser Frage stellte sich die Moderatorin der Konferenz, Karin Bauer (Der Standard) ) in einem sehr persönlichen Mama-Sohn Gespräch mit ihrem Sohn Darius. Ausgangslage für dieses Gespräch war Darius' Entschluss im Frühling 2016, mit dem Gymnasium aufzuhören und eine Lehre als Bürokaufmann zu beginnen. Warum er sich dafür entschieden hat und ob er es inzwischen bereut, hören Sie hier:
30 Jobs in einem Jahr
Die Autorin und Berufsberaterin Jannike Stöhr berichtete über ihr Projekt „30 Jobs in einem Jahr“, in dem sie viele verschiedene Berufe ausprobierte und so versuchte, ihren Traumjob zu finden. Nach diesem Jahr konnte sie endlich sagen, wer sie ist und was sie will und hat sehr viel über Berufsorientierung gelernt. Zum Thema Lehre sagt sie:
„Ich frage mich, wie denn ein 15-jähriger wissen soll, was der Arbeitsmarkt zu bieten hat? Was er selbst gut kann? Und wo er hingehört? Die Berufswahl wirkt schnell wie eine massive Entscheidung für das ganze Leben. Ich glaube dass alleine die Information, dass man sich nicht fürs Leben entscheidet, sondern dass man auch noch wechseln kann, schon total viel Druck nehmen kann. Eine weitere Möglichkeit aus meiner Sicht, die Ausbildung oder die Lehre attraktiver zu machen ist, sich das Problem anzuschauen vor dem Jugendliche stehen: die Orientierungslosigkeit."
Jannike Stöhr, Autorin und Berufsberaterin
"Um hier zu helfen, könnte man das Ausbildungssystem durchlässiger machen und ein Grundbildungsjahr anbieten, in dem Auszubildende sich selbst und ihre Fähigkeiten ausprobieren können. Oder sie Berufe ausprobieren lässt. Wenn Ihr Unternehmen zu klein ist, dann bieten sich hier Verbünde an. Ich glaube da kann man auch über die Grenzen eines Unternehmens hinaus denken. Es hilft den Jugendlichen zur Orientierung und sich selber besser kennen zu lernen."
Mehr Mut und Neues ausprobieren
"Im zweiten Schritt könnte man in die fachliche Ausbildung gehen. Der Jugendliche muss nach dieser Phase des Selbstkennenlernens schauen, ob der anvisierte Beruf noch der richtige ist. Und wenn die Antwort ja lautet, dann umso besser, dann bin ich mir sicher, dass Sie einen Lehrling haben der gute Noten bringt, der super zufrieden ist und auch gute Ergebnisse liefert. Wenn nein, dann muss natürlich etwas passieren. Aber ich glaube, das ist gar nicht so schlimm, weil man könnte zum Beispiel Ausbildungsplätze tauschen. Das könnte sich der Lehrling auch selbst organisieren. Ich kann mir vorstellen, dass Sie jetzt denken: Das sind ja nette Gedanken, aber da gibt es Gesetze, den Betriebsrat und da gibt es Unternehmensphilosophie und so weiter. Aber Sie kennen auch alle den Spruch: „Alle sagten das geht nicht, aber dann kam einer der wusste das nicht und hat es einfach gemacht". Ich glaube das gilt auch für die Neuerfindung der Lehre. Und ich glaube auch, dass Sie alle viel mehr Möglichkeiten haben etwas zu tun, aber Sie müssen es einfach mal tun. Und weiterhin glaube ich, dass es bei der Lehre oder bei der Neugestaltung der Lehre genauso geht wie den Jugendlichen in der Berufswahl. Man muss es einfach ausprobieren."
Wenn Sie mehr über ihr Projekt "30 Jobs in einem Jahr" erfahren möchten, klicken Sie hier:
Das Future Lab
Im Future Lab entwickelten die TeilnehmerInnen in insgesamt 6 Stationen gemeinsam mit den Lehrlingen den perfekten Ausbildungs-Arbeitsplatz der Zukunft im Jahr 2030. Jeder hatte mit interaktiven Design Thinking Methode die Möglichkeit, sich aktiv einzubringen. Roland Löffler vom Berufsbildungsforschungsinstitut untersuchte im Anschluss die Ergebnisse des Future Labs und überprüfte, wie weit diese von der Realität weg sind.
Aus der Praxis für die Praxis
Best Practice Beispiele zeigten, wie die Attraktivität der Lehre erhöht werden kann, wie das Lehrlingswesen im digitalen Zeitalter aussehen könnte und welche Schwierigkeiten dabei überwunden werden müssen. Bei dem Sporthändler Hervis setzt man auf die Digitalisierung der Lehre und bildet Lehrlinge zum „Digitalen Verkäufer“ aus. Die drei Säulen der digitalen Lehrausbildung bei Hervis und die damit entstehenden Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung stellte die Hervis-Personalverantwortliche Eva-Maria Heimel in einem Roundtable vor. Einblick in ihre Lehrlingsausbildung gaben auch die Unternehmen ÖBB, Tele-Haase und Kempinski Hotel.
Fazit
Beim Lehrlingsforum 2017 waren nicht nur viele Lehrlinge vor Ort, sondern auch oft am Wort. Sie berichteten in den interaktiven Modulen aus der Praxis und beantworteten Fragen der Teilnehmerinnen der Teilnehmer. Der Appell vieler Vortragenden lautete: „Setzen wir gemeinsam mehr von jenen Themen um, die wir an solchen Tagen besprechen.“ Dann werden wir die Jugendlichen für die Lehre gewinnen können, denn sie haben mehr Interesse an ihrer Zukunft. Auch die anwesenden Lehrlinge wünschten sich, dass weniger geredet und mehr getan wird. Viele der Forderungen und Themen kennen auch sie schon länger, aber konkret umgesetzt wurden noch wenige.
Was hat sich im Lehrlingswesen getan und welche Weiterentwicklungen gibt es? Finden Sie es heraus am 6. Lehrlingsforum am 27. / 28. November 2018!