Business Circle: Sehr geehrter Herr Dr. Schilcher, sehr geehrter Herr Dr. Stefaner: Vor einem Jahr haben wir noch darüber diskutiert, was mit der Zinsschranke auf Österreichs Unternehmen zukommen wird und welche davon besonders betroffen sind, haben sich die österreichischen Unternehmen ausreichend auf die Zinsschranke vorbereitet?
Dr. Michael Schilcher / Dr. Markus Stefaner: Die Vorbereitungs- und Anpassungsmöglichkeiten im letzten Jahr muss man in den Kontext des letzten Jahres setzen. Der Fokus lag bei den meisten Unternehmen klar auf den Auswirkungen der COVID-Krise. Die auch die Rechnungswesen- und Steuerabteilungen waren damit idR voll ausgelastet. Von der eigenen Disruption beim Wechsel in den Remote-Modus, der Sicherstellung der Abläufe und Prozesse, die Schnittstellen mit den anderen Abteilungen, der Beitrag zur Sicherung der Liquidität, Anpassung an die geänderte Ertragslage, Auswirkung auf Lieferketten, (grenzüberschreitendes) Home-Office, regelmäßige Gesetzesänderungen und vieles andere mehr. Die Zinsschranke stand da nicht immer im Fokus. Auch die Verwaltung hatte mit denselben Problemen zu kämpfen. Der übliche Prozess, nach dem ein Gesetzesentwurf durch das Finanzministerium zur öffentlichen Begutachtung versendet wird und damit die Stellungnahmen der Interessensvertretungen auch in weiterer Folge in den Gesetzgebungsprozess einfließen können, konnte daher bedauerlicherweise im Hinblick auf die Zinsschranke nicht eingehalten werden. Die Zinsschranke wurde daher erst knapp vor Jahresende 2020 beschlossen, was ein Vorbereiten für die Unternehmen nicht erleichtert hat. Und das letzte Jahr hat den Eigenkapitalquoten der Unternehmen sicher auch nicht gutgetan, weshalb bei steigender Verschuldung auch die auch der Nettozinsaufwand steigt und somit die Zinsschranke eher zum Thema werden kann.
In Summe kann aber gesagt werden, dass wohl die meisten Unternehmen zumindest für den Anfang gerüstet sein dürften. Aufgrund der aktuellen Ertragssituation und dem ‚Freibetrag‘ von € 3 Mio für den Nettozinsaufwand wird 2021 für viele Unternehmen wohl auch noch erlauben ‚in real life‘ zu sehen, wie das sich Zusammenspiel von Ertrag (EBIT), den Abschreibungen (DA) und der Zinsschranke auswirkt. Da bleibt dann noch die Möglichkeit in Einzelfällen nachzujustieren. Klar ist aber auch, dass einzelne Unternehmen und Branchen stärker betroffen sind – insbesondere Unternehmen mit geringerem Anteil an Abschreibungen können stärker betroffen sein.
BC: Das Motto der RECON ist „Standortbestimmung für Entscheidungsträger aus Finanz-, Rechnungswesen & Controlling“, das beherrschende Thema war COVID-19, inwiefern sind diese beiden Themenkomplexe in aktuelle Gesetzesprojekte eingeflossen?
Schilcher / Stefaner: COVID-19 hat die Gesetzgebung 2020 maßgeblich geprägt und den Handlungsbedarf vorgegeben. Für den Kreis der Teilnehmer der RECON von besonderem Interesse ist sicherlich, dass mit dem Covid-19- Steuermaßnahmengesetz pauschale Forderungswertberichtigungen und pauschale Rückstellungen für Wirtschaftsjahre ab 2021 nunmehr auch für steuerliche Zwecke anerkannt sind. Diese Annäherung des Steuerrechts an das Unternehmensrecht wurde sicherlich durch die Covid-19-Krise beschleunigt. Außerdem kann die im letzten Jahr zur Konjunkturstärkung eingeführte degressive Abschreibung für bestimmte nach dem 30.6.2020 angeschaffte Wirtschaftsgüter befristet für Anschaffungen bis zum 31.12.2021 steuerlich ungeachtet der Vornahme einer degressiven Abschreibung in der UGB-Bilanz geltend gemacht werden, d.h. ohne Maßgeblichkeit.
BC: „In Wien passiert alles etwas später“ (manchmal Karl Krauss, manchmal Gustav Mahler zugeschrieben): Wo sehen Sie Österreich im EU-weiten Vergleich im Unternehmens- und Konzernsteuerrecht, welches sind die wichtigsten aktuellen Vorhaben der Legislative?
Schilcher / Stefaner: Aus unserer Erfahrung geht die Entwicklung im Steuerrecht ‚wellenförmig‘ vor sich – immer wieder größere Änderungen folgen Phasen der Konsolidierung des Systems mit Detailänderungen. Es ist auch ersichtlich, dass dabei die einzelnen Staaten immer wieder Ideen aufgreifen, die in anderen Ländern funktionieren. In der Schule würde man vielleicht manchmal von Abschreiben sprechen, auch wenn es natürlich idR keine Kopien sind, weil natürlich eine Anpassung an die lokalen Systeme nötig sind. In den letzten Jahren waren die Entwicklungen im Unternehmens- und Konzernsteuerrecht hauptsächlich von den Arbeiten auf OECD-Ebene unter dem Schlagwort „Anti-BEPS“ und die darauf Bezug nehmende EU-Anti-BEPS-Richtlinie geprägt. Diesbezüglich sind noch weitere Entwicklungen in Bezug auf die Besteuerung der digitalen Wirtschaft, die gerade intensiv auf OECD-Ebene diskutiert wird, zu erwarten. Bei der Umsetzung von EU-Regelungen ist Österreich idR vorne dabei; bei manchen Themen gab es auch durchaus „Zurückhaltung“ bei der Umsetzung wie das Thema der Zinsschranke zeigt.
Bei anderen Themen gab es in den letzten Jahren eher nur Detailanpassungen. Insofern könnten wieder einmal größere Änderungen bevorstehen. Basierend auf dem Regierungsprogramm und der aktuellen Situation sowie dem Aufbruch nach einem Ende der Coronakrise würden sich neben der Ökologisierung auch die Themengebiete Unterstützung des Strukturwandels und die Stärkung der Eigenkapitalbasis und des Wirtschaftsstandorts anbieten.
BC: Hat sich in Bezug auf die im Regierungsprogramm angekündigte Vereinfachung des Steuersystems etwas Entscheidendes getan? Und wenn nein, warum?
Schilcher / Stefaner: Das letzte Jahr ist sicher für die meisten von uns nicht wie geplant gelaufen. Das ist auch am Zeitplan der Umsetzung des Regierungsprogramms nicht spurlos vorübergegangen. Die Vereinfachung des Steuersystems ist da (leider) keine Ausnahme. Das Thema „Einkommensteuergesetz Neu“ steht aber weiterhin auf der Agenda, wenngleich sich Covid-19 bedingt der Zeitplan wohl nach hinten verschieben wird.
BC: Verraten Sie uns schon, welches in Ihren Augen die entscheidenden Neuerungen des EStR- und KStR-Wartungserlässe 2021 sind?
Schilcher / Stefaner: Der EStR-Wartungserlass 2021 befindet sich derzeit in Begutachtung und sollte hoffentlich bis zur RECON 2021 finalisiert sein. Interessant sind darin natürlich die Aussagen zu den Neuerungen, wie degressiver und beschleunigter Abschreibung, Verlustrücktrag, pauschale Wertberichtigungen und pauschale Rückstellungen. Gerade die eröffnete Möglichkeit der pauschalen Wertberichtung sollte für die Unternehmen in Zukunft Vereinfachungsmöglichkeiten mit sich bringen. Da sind genauere Aussagen verständlicherweise besonders interessant.
Am KStR-Wartungserlass 2021 wird gerade im BMF gearbeitet. Dazu wird es hoffentlich bis zur RECON 2021 einen Begutachtungsentwurf geben. In diesem stehen insbesondere die Ausführungen zur neu eingeführten Zinsschranke, aber auch zu den bereits 2020 in Kraft getretenen Regelungen für hybride Gestaltungen sowie dem Verlustrücktrag bei Unternehmensgruppen im Fokus.
BC: Eine grundsätzliche Frage: inwiefern empfinden Sie es als problematisch, dass Wartungserlässe nicht vom Gesetzgeber (dem Parlament), sondern von Verwaltungsbehörden erlassen werden?
Schilcher / Stefaner: Man muss sich immer bewusst sein, was man mit den Wartungserlässen zu den Richtlinien an der Hand hat: Eine Aussage zur Interpretation der Gesetze. Damit wird ermöglicht, dass die Verwaltung die Gesetze möglichst vorhersehbar und konsistent interpretiert. Für Gesetze sind sie viel zu ausführlich und zu detailliert. Im Sinne der Gewaltentrennung ist das zu begrüßen: Die Gesetze sollen die Grundlage sein und die Regelungen vorgeben. Die Verwaltung veröffentlicht die eigenen Ansichten, um eine möglichst einheitliche und gleichmäßige Besteuerung in Österreich zu ermöglichen. Ist der Steuerpflichtige anderer Meinung, entscheiden die Gerichte, welche Interpretation gesetzes- oder verfassungskonform ist. Diese Aufteilung ist gut. Natürlich kann man im Einzelfall immer streiten, ob noch etwas mehr im Gesetz oder in einer Verordnung stehen sollte, wo die Interpretation beginnt und ob manche Aussagen zu pauschal sind. Wichtig ist, dass man weiß, was der Zweck der Richtlinien sind, welchen ‚Hut‘ der Autor gerade auf hat und wie das Ganze in den Stufenbau der Rechtsordnung passt.
BC: Zum Abschluss: Wie sehen Sie die Aus- und Weiterbildung im Steuerrecht für Österreich aufgestellt, gibt es genügend qualifizierte Kandidaten für zu besetzende Stellen? Wie wird Ihrer Meinung nach die Situation in 5 Jahren sein?
Schilcher / Stefaner: Qualitativ gibt es in Österreich sehr gute Ausbildungsmöglichkeiten. Quantitativ hat man in den letzten Jahren durchaus gemerkt, dass der Bedarf teilweise nicht so leicht zu stillen war. Das ist derzeit vielleicht ein bisschen besser für unsere Branche. In Krisenzeiten stehen unterstützende Abteilungen (so wie dies auch die Steuerabteilung) oft nicht so im Fokus. Da ist es als Head of Tax sicher schwerer eine Vergrößerung des Teams oder auch nur eine Nachbesetzung genehmigt zu bekommen, als in der Beratung, bei der Fachabteilungen eben den Kern des Geschäfts bilden. Und auch in der Verwaltung wird langfristiger geplant. In 5 Jahren wird es aber wohl wieder schwerer, Stellen zu besetzen.
Neue Technologien bringen nicht nur neue Herausforderungen, sondern auch neue Einblicke
BC: Daran anschließend: Steuerrecht hat ja manchmal den Ruf, etwas „trocken“ zu sein. Wie das Interview gezeigt hat, ist es aber ein durchaus spannendes Thema. Was würden Sie einem jungen Menschen empfehlen, um die Entscheidung gerade für dieses Studienfach attraktiv zu machen?
Schilcher / Stefaner: Steuern hat jeder schon einmal gezahlt und selten hat es Freude bereitet. Dann ist es doch gut zu wissen, warum man genau den Betrag zahlen muss und zu verstehen, welche Stellschrauben es gibt. Das heißt, das was man lernt, lernt man nicht nur für den Job, sondern auch für sich selbst. Und das Gebiet steht nie still – in einer Zeit, wo lebenslanges Lernen propagiert wird und uns davor schützen soll ‚wegautomatisiert‘ zu werden, ist das Steuerrecht ein Verwirklichungsfeld, bei dem alle Beteiligten schon jahrelange Erfahrung mit dem Konzept des ständigen Anpassens und Lernens haben. Und die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, dass man durch die neuen Technologien nicht nur neue Herausforderungen, sondern auch Einblicke – und damit ein verstärktes Eingebundensein – in die Prozesse und Tätigkeiten der Unternehmen bekommt. Insoweit bleibt die Tätigkeit nicht nur spannend, sondern sie wird immer spannender und vielfältiger.
Dr. Michael Schilcher ist stellvertretender Leiter der Abteilung Einkommen- und Körperschaftsteuer im Bundesministerium für Finanzen sowie externer Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Zuvor war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien und als Steuerberater in einer international tätigen Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft tätig. Er ist Fachautor und Fachvortragender zu aktuellen Themen im Bereich der Einkommen- und Körperschaftsteuer.
Dr. Markus Stefaner ist Steuerberater und Partner bei EY im International Tax and Transaction Services Team. Zuvor war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Österreichisches und Internationales Steuerrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien. Er ist Fachautor und Fachvortragender zu aktuellen Themen im Bereich der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Seine Beratungsschwerpunkte sind die Beratung von österreichischen und internationalen Konzernen bei österreichischen und grenzüberschreitenden steuerlichen Themenstellungen, Umgründungen und M&A Projekten.
Beide halten heuer je einen gemeinsamen Vortrag auf der RECON und am TAX-Circle