Die Frage ist nicht, wie wir es richtig machen, sondern vielmehr was das Richtige ist. Diese Grundfrage wirft viele weitere Fragen auf und am Ende steht ein großes Fragezeichen. Haben wir bis jetzt falsch gedacht? Sollten wir bestehende Unternehmensphilosophien verwerfen und ein neues Denken zulassen? Und warum ist bisher gelebte Nachhaltigkeit eigentlich Schwachsinn?
Über diese und noch viele weitere Themen haben wir uns mit Prof. Dr. Michael Braungart unterhalten. Seine Antworten sind anders, lehrreich, neuartig, quergedacht und regen zum Nachdenken an. Aber lesen Sie selbst….
Business Circle: Prof. Braungart, betrachtet man die Wirtschaftslage in Europa, dann muss man leider feststellen, dass ein Wachstum nicht mehr möglich ist. Oder doch?
Prof. Braungart: Gegenfrage: Wollen Sie den Bäumen verbieten zu wachsen? Oder, dass Menschen sich miteinander austauschen können und einen besseren Umgang miteinander finden? Das ist alles Wachstum. Schauen Sie sich einen Kirschbaum im Frühling an: Kein Sparen, kein Verzicht, kein Reduzieren, der Baum ist nicht einmal CO2-neutral, unterm Strich kann man sagen, der Kirschbaum ist verschwenderisch. Aber alles was er macht ist nützlich, er schafft Leben für andere Lebewesen, er produziert Sauerstoff, er ist nützlich. Das ist auch Wachstum. Es geht in erster Linie darum, was wächst und nicht allgemein. Natürlich ist viel mehr Wachstum möglich, wenn man die Geschäftsmodelle ändert, das bedeutet, dass man nützlich ist und nicht weniger schädlich.
Business Circle: Rein auf das Wirtschaftswachstum bezogen…
Prof. Braungart: Ja, das alles ist Wirtschaftswachstum. Es geht ja auch um das Verständnis um den Menschen. Die Wirtschaft wächst auch, wenn man z.B. keinen Fernseher mehr verkauft, sondern nur noch die Nutzung.
Business Circle: Das heißt, der Faktor Mensch ist demnach sehr wichtig?
Prof. Braungart: Das grundsätzliche Problem ist, dass die Menschen denken, es ist besser, wenn es sie gar nicht gäbe. Wir entschuldigen uns immer, dass wir da sind. Das wird z.B. beim Biolandbau deutlich. Österreich ist das Land mit dem höchsten Anteil an Biolandbau, aber es gibt kein Biosiegel, das erlaubt, die eigenen Nährstoffe wiedereinzusetzen. Wir fühlen uns so schuldig, dass wir sagen, Bio soll ohne uns stattfinden. Das heißt im Umkehrschluss, wir brauchen ein neues Bio, eines, bei dem wir dabei sind. Generell ist das Naturverständnis geprägt von schlechtem Gewissen, das bremst aber in der Kreativität.
Man kann gar nicht gut sein, man kann nur weniger schlecht sein. Wir müssen lernen, für die anderen Lebewesen nützlich zu sein und uns bewusst machen, dass wir ein Teil dessen sind. Das ist ein ganz anderes Verständnis. Ich habe z.B. in China gearbeitet. Dort habe ich gelernt, dass man nach einer Essenseinladung so lange sitzen bleibt, bis man die Toilette aufsuchen muss. Denn man wird ja zum Essen eingeladen und nicht zum Nährstoffdiebstahl. So kommen die Nährstoffe tatsächlich in die ursprünglichen Kreisläufe zurück.
Business Circle: Prof. Braungart, Ihre bisherigen Stationen im Leben sind umfassend und vielschichtig, haben aber alle eines gemeinsam, nämlich die Umwelt und das Lösen verschiedenster Umweltprobleme. Was waren Ihre Beweggründe und Motive für Ihr bisherige und derzeitiges Tun?
Prof. Braungart: Das ist ganz einfach. Chemie hat mich immer schon fasziniert und begeistert, denn Chemie ist die Schlüsselwissenschaft für die Kenntnis aller Materialströme. Ich war an vielen unterschiedlichen Orten und habe mir alles angeeignet, was man zum Thema Umwelt lernen konnte. Am meisten hat mich dabei motiviert zu begreifen wie primitiv eigentlich Chemie ist. Denken Sie nur an einfache Dinge des Alltags, z.B. ein Kassazettel, bei dem die Aufschrift nicht für Hautkontakt gemacht ist, weil sie sofort in den Blutkreislauf übergeht, oder Weichmacher, die unfruchtbar machen. Es gibt unzählige solcher Beispiele und genau diese Dinge waren und sind es, die mich als Chemiker fasziniert haben, nicht etwa moralisch, vielmehr habe ich mir immer die Frage gestellt, wie kann man so dumm sein, Chemie zu machen, die sich später wiederum in Muttermilch findet? Das ist einfach nur schlechte Chemie.
"Oder, eine Landwirtschaft zu machen, die immer noch Pestizide enthält, ist ein extremes Beispiel an Dummheit."
Business Circle: Sie haben das Cradle to Cradle (C2C) Designkonzept entwickelt. Was versteht man darunter und wie funktioniert C2C?
Prof. Braungart: Hören Leute Cradle to Cradle, denken sie immer, dass es eine Welt ohne Abfall ist. Dabei denken sie aber immer noch an das Wort Abfall, aber genau das ist es eben nicht. C2C ist eine Welt in der alles wertvoll und nützlich ist. Alle Dinge die verschleißen, wie Bremsbeläge, Waschmittel, etc., werden so gemacht, dass sie biologische Systeme unterstützen. Alle Dinge, die nur genutzt werden, wie Waschmaschine oder Fernseher, werden so gestaltet, dass sie in die Technosphäre gehen. Es gibt also nur Bio- oder Technosphäre und keine Kreisläufe. Kreisläufe sind langweilig; das Blöde ist jedoch, dass gerade in der heutigen Zeit die Leute wieder in die Kreislaufwirtschaft zurückfallen. Die Unterscheidung zwischen Biosphäre und Technosphäre ist jedoch elementar wichtig bei C2C.
Business Circle: Das heißt also, wir wählten und wählen einen falschen Ansatz?
Prof. Braungart: Ja, wir machen das Falsche perfekt und das eben perfekt falsch. Die Frage ist nicht wie man es richtig macht, sondern was überhaupt das Richtige ist. Sonst optimiert man das Falsche. Das gilt eigentlich für jeden Bereich und jedes Produkt. Das Problem ist auch die Nachhaltigkeit, sie bringt uns um. Denn sie optimiert das Bestehende, aber das ist eben das Falsche. Genauso ist es mit Recycling. Wir sind stolz darauf, ein Produkt zu recyceln, dabei schaffen wir es gerade einmal, einen Bruchteil des Produktes wieder zu verwenden. Das ist nicht Recycling, die meisten Materialien sind nämlich gar nicht dafür gemacht.
"Der Punkt ist, die traditionelle Nachhaltigkeit macht den Kunden zum Feind."
Business Circle: C2C ist ein schlüssiges Konzept, doch, wenn man bisher den falschen Ansatz gewählt hat, wird es schwierig sein, hier ein komplettes Umdenken zu schaffen. Wie kann man das in bestehenden Systemen in Unternehmen umsetzen?
Prof. Braungart: Das heißt, wenn man ein Produkt gar nicht kauft, ist es sogar noch besser. Es sei denn, der Kunde unterstützt den Entwicklungsprozess und erwirbt ein Produkt, dass noch nicht zu 100 % entwickelt ist. Der Kunde wird dann zum Freund und somit zum Change Manager für das Unternehmen. Was es dazu aber braucht, ist eine ehrliche Kommunikation.
Man braucht neue Geschäftsmodelle. Man sollte sich eher auf die Nutzung konzentrieren, weniger auf das Produkt. Nehmen wir z.B. eine Firma her, die Ventilatoren verkauft. Kein Mensch braucht Ventilatoren. Was wir brauchen ist frische Luft. Warum verkauft diese Firma Ventilatoren, wenn man eigentlich nur die frische Luft benötigt? Wenn die Firmen zehn Jahre frische Luft anbieten würden, könnte man qualitativ hochwertige Ventilatoren herstellen. Verkauft man jedoch nur das Produkt, wird dieses relativ schnell kopiert, billig nachgebaut und günstiger auf den Markt gebracht. Das verschwendet nur Ressourcen.
Business Circle: Beim Banking Summit Vienna werden Sie genau zu diesen Themen sprechen. Welche Messages haben Sie für den Bankensektor? Wie kann dieser Bereich von C2C profitieren?
Prof. Braungart: Das ist ein wichtiger Punkt, denn wir brauchen künftig andere Bankenmodelle, weil sonst werden die Banken komplett zugrunde gehen. Das bestehende Bankenmodell kann direct banking oder ähnliches anbieten, mehr oder weniger kostengünstig. Wenn aber das Gebäude zur Materialbank wird, dann hätten die Banken eine richtige Aufgabe und eine echt Realwirtschaft. Die Banken denken immer noch in bestehenden Systemen und versuchen an der falschen Stelle zu optimieren, z.B. mit Kontoführungsgebühren oder ähnlichen Dingen versuchen sie noch Geld heraus zu pressen. Damit haben sie aber keine Zukunft. Das heißt eben, sie brauchen dringend andere Modelle und dafür spielt Cradle to Cradle eine wichtige Rolle, denn es geht nicht mehr um Langlebigkeit, sondern um definierte Nutzungszeiten.
Veranstaltungstipp:
Auf der PoP -Power of People 2021 wird Prof. Braungart die Eröffnungs-Key-Note "Zur Rolle von HR in außergewöhnlichen Zeiten" halten.
Prof. Dr. Michael Braungart ist Mitbegründer des Cradle to Cradle Prinzips, das er seit Jahren pioniert. Er ist Chemiker und Verfahrenstechniker. An der Rotterdam School of Management leitet er den Lehrstuhl für Cradle to Cradle für Innovation und Qualität. Er ist Professor an der Leuphana Universität Lüneburg, der Universität Twente in Enschede sowie an der TU Delft.