Business Circle: Herr Mag. Hofbauer, Sie sind jetzt 2016 Vorstandssprecher der APAB, haben Sie etwas annähernd Vergleichbares wie Wirecard schon erlebt?
Peter Hofbauer: Vorweg muss ich festhalten, dass meine Informationen zum Fall Wirecard ausschließlich aus öffentlich zugänglichen Medien stammen und ich daher – wie alle Außenstehenden – meine Schlussfolgerungen aus Vermutungen ziehen muss. In Österreich haben wir aktuell leider mit der Commerzialbank Mattersburg einen ähnlichen Fall, auch wenn es sich dabei nicht um ein börsennotiertes Unternehmen gehandelt hat. Es ist sehr bedauerlich, dass solche Fälle immer wieder vorkommen, ich denke da an Parmalat, Enron, Refco, Bernie Madoff, Lukin Coffee, Barings Bank/Nick Leeson oder Olympus. Bereits in meiner Ausbildung zum Wirtschaftsprüfer wurde uns Anfang der 90er Jahre ein ähnlicher Skandal namens ZZZZ Best/Barry Minkow als Case Study präsentiert.
BC: Wirecard war ein DAX-Unternehmen, so wie zum Beispiel VW oder Siemens. In Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal steht die bundesdeutsche BaFin stark in der Kritik. Ist etwas Ähnliches bei einem ATX-Unternehmen für Sie derzeit auch vorstellbar? Und wie könnte eventuell jetzt gegengesteuert werden?
PH: Wie Sie aus der nicht vollständigen Liste von ähnlichen Bilanzskandalen in meiner ersten Antwort ersehen können, können auch andere Finanzmarktaufsichten wie die US-amerikanische SEC oder die japanische FSA solche Bilanzskandale nicht gänzlich verhindern. Wenn sich einmal der gesunde unternehmerische Ehrgeiz wegen Misserfolgs in kranke kriminelle Energie umwandelt, ist wohl kein System in der Lage Malversationen frühzeitig aufzudecken – außer man könnte in die Menschen hineinschauen. Ich denke, dass es bereits ausreichend komplexe Regeln für ordentliche Finanzberichterstattung und die dazugehörige Governance gibt, diese sind jedoch noch nicht in allen Köpfen angekommen. Es gilt Abschlussprüfer und Aufsichtsräte auf ihre Verantwortung so hinzuweisen, dass diese auch wahrgenommen wird.
Abschlussprüfer und Aufsichtsräte müssen ihre Verantwortung wahrnehmen
BC: Die Krise als Chance: jetzt gibt es vielleicht die Möglichkeit, Reformen anzupacken. Ihnen obliegt die Aufsicht über Abschlussprüfer und Prüfungsausschüsse, was müsste in Ihren Augen zuerst umgesetzt werden?
PH: Wie schon gesagt, Abschlussprüfer und Aufsichtsräte müssen die ihnen vom Gesetzgeber zugewiesene Verantwortung wahrnehmen; das können sie nur wenn sie (a) kompetent, (b) kritisch und (c) unabhängig sind. In diese Richtung müssen wir arbeiten. Konkret bedeutet das aus meiner Sicht bezüglich Kompetenz, dass der Aufsichtsrat als Gremium dafür sorgen muss und dies auch fallweise einer externen Überprüfung (nicht nur bei Banken und Versicherungen) unterzogen werden sollte. Die Abschlussprüfer werden ja bereits von uns beaufsichtigt. In Hinblick auf die Unabhängigkeit sollte überlegt werden die externe Rotation der Abschlussprüfer auf alle Pflichtprüfungen auszudehnen, nicht nur für kapitalmarktorientierte Unternehmen. Ich finde es auch überlegenswert die Dauer von Prüfungsmandaten von derzeit einem auf drei bis fünf Jahre auszudehnen.
BC: Noch vor Wirecard ist ja Corona das nach wie vor beherrschende Thema. Ist im Zuge der COVID-19-Krise auch etwas sichtbar geworden, das einen evtl. Handlungsbedarf generiert?
PH: Im März/April 2020 gab es plötzlich viele offene Detailfragen für Jahresabschlussersteller und -prüfer, hier wurde in jedem Land eng zwischen Aufsichtsbehörden und Berufsvertretern zusammengearbeitet um möglichst einheitliche Rahmenbedingungen zu schaffen. In der Folge hat sich gezeigt, dass die Digitalisierung bei den meisten Prüfern bereits so weit fortgeschritten ist, dass Prüfungshandlungen größtenteils remote erfolgen können, die einzige Ausnahme ist die Inventurbeobachtung. Des Weiteren wurde das zentrale Fachgutachten über den Bestätigungsvermerk so angepasst, dass dieser nun auch problemlos mittels qualifizierter digitaler Signatur erteilt werden kann. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Krise werden wir wohl erst dann sehen, wenn die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen aufhören werden, daher ist bei den kommenden Jahresabschlüssen großes Augenmerk auf alle zukunftsgerichteten Aussagen zu legen.
BC: Denken Sie, dass die Hauptversammlungen österreichischer AGs im Lichte von Wirecard turbulenter werden als zuvor?
PH: Hier hat COVID-19 dazu geführt, dass Hauptversammlungen zur Gänze virtuell abgehalten werden können, dadurch müssen sie strukturierter ablaufen als es manchmal bei Präsenz-Veranstaltungen der Fall war. Ich hoffe, dass die Aktionäre und deren professionelle Vertreter verstärkt Fragen an die Abschlussprüfer stellen werden inwieweit sich diese mit den Thema „management fraud“ und den besonders wichtigen Prüfungssachverhalten („key audit matters“) beschäftigt haben. Dadurch kann die Abschlussprüfung einen vertrauenserhöhenden Beitrag zur Finanzberichterstattung liefern und wird hoffentlich weniger als formaler Schritt wahrgenommen.
BC: Prinzipiell ist es ja ein schönes Gefühl zu bemerken, dass man von vorneherein recht hatte. Schade nur, wenn dann Kassandrarufe nicht gehört werden. Gerade bei Wirecard gab es seit den Artikeln in der Financial Times im Jahr 2015 begründete Verdachtsfälle. Wie erklären Sie sich, dass dort nicht umgehend gehandelt wurde?
PH: Dazu kann ich nichts sagen, da ich weder die damals vorgebrachten Vorwürfe konkret kenne noch mit der deutschen Rechtslage vertraut bin. Ich möchte aber daran erinnern dass es im Fall von Bernie Madoff ähnlich war, auch hier gab es Hinweise von Analysten an die Aufsicht (SEC), dass die wirtschaftlichen Daten nicht stimmig seien. Aber erst die spätere Finanzkrise von 2008 hat zum Einsturz des Kartenhauses geführt.
BC: In den USA gibt es mit der SEC eine seit dem Börsencrash von 1929 bestehende Aufsichtsinstitution – wäre etwas Ähnliches für Österreich wünschenswert oder sollte es zumindest im europäischen Rahmen geschaffen werden?
PH: Es gibt in der EU mit der ESMA eine zentrale Aufsichtsinstitution für den EU-Kapitalmarkt, die die nationalen Finanzmarktaufsichten koordiniert. Diese haben durch ein Rahmenwerk von EU-Richtlinien und direkt in nationalem Gesetzesrang stehende EU-Verordnungen einheitliche Regeln zur Beaufsichtigung der Finanzmarktteilnehmer. Die 2016 erfolgte Einrichtung von Abschlussprüfer-Aufsichtsbehörden ist meines Erachtens der letzte Baustein in diesem Gefüge.
WP/StB Mag. Peter Hofbauer ist seit 2016 Sprecher des Vorstandes der Abschlussprüferaufsichtsbehörde („APAB“). Die APAB beaufsichtigt Abschlussprüfer und auch Aufsichtsräte von Unternehmen von öffentlichem Interesse hinsichtlich der Einhaltung abschlussprüfungsrelevanter Vorschriften. Davor war er 18 Jahre in verschiedenen Management Positionen bei Banken tätig, zuletzt CFO der HypoVereinsbank, München. Nach seinem Studium der Betriebsinformatik arbeitete er 11 Jahre bei einer großen internationalen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft mit den Schwerpunkten Bankprüfung und Insolvenzabwicklung. Am 25. März 2021 nimmt er im Rahmen der Jahrestagung Kapitalmarktrecht an einer Podiumsdiskussion teil.