Wie Sie als Unternehmensjurist Ziele definieren
Budgets für technische Investitionen wachsen in Rechtsabteilungen nicht auf Bäumen. Sie müssen begründet und mit Zahlen (ROI) hinterlegt werden. So bringt die Digitalisierung einen Mehrwert:
I. Transaktionskosten und -zeit sparen
Juristen gehören zu den bestbezahlten Mitarbeitern im Unternehmen. Sie investieren viel Zeit in die Vertragsgestaltung und -verwaltung. Die Standardisierung, Industrialisierung und Automatisierung von Verträgen können die Kosten und Dauer einer Transaktion erheblich senken. Die gewonnene Zeit können die Juristen in Aufgaben und Tätigkeiten investieren, die auf andere Bereiche der Wertschöpfung des Unternehmens ausgerichtet sind.
II. Wissen bewirtschaften
Die Vertragsgeschichte eines Unternehmens enthält wertvolles Wissen. Einzelne Regelungen wurden entworfen, getestet, vor Gericht angegriffen bzw. erfolgreich verteidigt oder ließen sich nicht durchsetzen. Neues Wissen aus der aktuellen Rechtsprechung erweitert oder begrenzt laufend den Handlungsraum von Unternehmen. Scheinselbstständigkeit löst u.U. massive Haftungsfolgen aus. Grenzüberschreitende ‚Steuergestaltungen‘ müssen gemeldet werden. Wie kann dieses Wissen für jeden Mitarbeiter punktgenau in seiner Arbeit zur Verfügung stehen?
III. Qualität steigern
Werden vertragliche Regelungselemente verständlicher gestaltet und auf hohem Niveau standardisiert, lässt sich Qualität steigern.
IV. Handlungsmöglichkeiten für Nicht-Juristen erweitern
Wie können nicht-juristische Mitarbeiter rechtssicher handeln? Wie können Einkauf oder Vertrieb unterstützt werden, um nur in Ausnahmefällen auf Juristen zurückgreifen zu müssen? Wie kann der ‚Zugang zum Recht‘ im Unternehmen über die Rechtsabteilung hinaus gestaltet werden?
V. Compliance automatisieren und einbetten
Compliance-Management, also rechtskonformes Verhalten im Unternehmen sicherzustellen, kostet viel Zeit und viele Ressourcen. Aber die Kosten von Non-Compliance sind um ein Vielfaches höher. Können diese Prozesse, Reports und Prüfungen nicht zu einem erheblichen Teil automatisiert und in die Unternehmensabläufe eingebettet werden – Embedded Law?
VI. Daten für die Business Intelligence gewinnen
Aktenschränke und PDF-Archive bewahren Verträge auf, ohne Zugang zu dem dort vergrabenen Vertragswissen zu geben. Ziel ist es, die in Verträgen enthaltenen Daten über Kundengruppen, Haftungsklauseln, Rabatte, Fristen oder Kündigungsmöglichkeiten für die Intelligenz des Unternehmens zu nutzen. Ein Abgleich der historischen Vertragsdaten mit der tatsächlichen Vertragsabwicklung befähigt das Unternehmen und seine Juristen zu verstehen, wie gut (oder wie schlecht) die vertraglichen Regelungen die Geschäftsbeziehung gestalten. Dieses Lernen führt zu besseren Verträgen in der Zukunft.
Kriterien für eine Legal Tech-Unterstützung
Daraus folgen die möglichen Kriterien für die Auswahl einer Legal Tech-Unterstützung:
- Wünschenswert ist es, über möglichst viele qualitätsgesicherte Standardbausteine zu verfügen, um damit Verträge einfach und nutzerfreundlich generieren zu können. Sie repräsentieren das beste verfügbare Expertenwissen zum jeweiligen Vertragsbereich und berücksichtigen zugleich die besonderen Anforderungen und Eigenschaften der Geschäftsbeziehung der Parteien.
- Die Nutzerführung ist einfach und klar. Je nach Situation werden bestimmte Optionen vorgeschlagen. Die Klauseln passen zusammen und/oder schließen sich aus. Bestimmte Varianten ziehen andere Regelungsvarianten automatisch nach sich.
- Neue Optionen/Bausteine lassen sich einfach einpflegen und erweitern die Basis der Optionen. Das gilt auch für Klauseln, die gerade nicht erwünscht sind. Sie werden mit Warnhinweisen versehen, dass sie tunlichst nicht verwendet werden sollen.
- Daten aller Beteiligten und beliebige weitere Datensätze werden einmal eingegeben und stehen für den ganzen Lebenszyklus der Verträge auf Knopfdruck zur Verfügung.
- Die Vertragsbestandteile werden automatisch aus den Datensätzen individualisiert.
- Für bestimmte Situationen, Kundengruppen oder beliebige Konstellationen kann auf der Basis eingegebener Daten ein Vertrag automatisch konfiguriert werden.
- Jede Regelung, jede Mikrovereinbarung, jeder einzelne Baustein enthält wertvolle Informationen über Fristen, Preise, Laufzeit, Kündigung, Haftung und viele Details. Sie sollten auf einen Blick für jeden Vertrag und aggregiert für alle geschlossenen Verträge zur Verfügung stehen.
- Arbeitet die digitale Technik auf Baustein-Basis, stehen diese genannten Daten und alle weiteren Daten und Einzelheiten aus den Verträgen für ein beliebiges Reporting zur Verfügung. Eine Due Diligence auf Knopfdruck ohne teures Lesen ist möglich.
- Das beliebig konfigurierbare Reporting wird Bestandteil der Business Intelligence. Aus toten Vertragsarchiven werden wertvolle Informationen, die das Unternehmen für Strategie, Kundenansprache oder Verbesserungspotentiale nutzbar machen kann. Verträge leisten einen Beitrag zu ‚lernenden Geschäftsbeziehungen‘.
- Verträge aus digitalen Bausteinen eröffnen ein Datenmeer, das für weitere Möglichkeiten von Business Analytics mit Machine Learning und weiteren Werkzeugen Künstlicher Intelligenz nutzbar wird.
- Besonders schmerzvoll wird es, wenn in der Praxis lange Word-Dokumente mit unzähligen Markups in endlosen Schleifen ausgetauscht werden. Optimal ist, wenn eine integrierte Plattform beiden Seiten ermöglicht, gleichzeitig am Dokument zu arbeiten. Dann sollten die Zwischenversionen revisionssicher gespeichert und in beliebiger Kombination vergleichbar sein.
- Verträge sind Teile von Prozessen. Das Tool soll diesen Prozess und die verschiedenen Rollen darin als regelbasiertes Vorgehen abbilden.
Der Text ist ein Ausschnitt aus der bald erscheinenden 2. Auflage des „Rechtshandbuchs Legal Tech“ aus dem Beck-Verlag.
Der Autor:
Prof. Dr. Stephan Breidenbach ist Legal Tech Pionier, Hochschullehrer, Mediator und Unternehmer. Er hat den Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Internationales Wirtschaftsrecht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) inne. Er ist Mitgründer des Legal Tech Center.