Business Circle: Sehr geehrte Frau Dr. Redel, Sie beschäftigen sich jetzt seit eineinhalb Jahren mit dem EU-MPfG, was hat Sie in dieser Zeit hinsichtlich des behandelten Themas am meisten überrascht?
Nicole Redel: Als ich meine Tätigkeit im Finanzministerium begonnen habe, waren die Verhandlungen auf EU-Ebene zur DAC6-Richtlinie bereits abgeschlossen und das Projekt der nationalen Umsetzung, dh der Erstellung des EU-MPfG, war in vollem Gange. Wir haben ein tolles sogenanntes „virtuelles DAC6 Team“, das aus Mitgliedern aller betroffenen Abteilungen im BMF besteht und sich gemeinsam der Ausarbeitung des EU-MPfG und ergänzenden Informationen zur Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gewidmet hat. Die Materie des EU-MPfG, insbesondere die Abgrenzung der unterschiedlichen Kennzeichen („Hallmarks“), ist sehr komplex und greift tief in die Materie des internationalen Unternehmenssteuerrechts ein. Da sind offene Fragen und potentielle Auslegungsschwierigkeiten vorprogrammiert. Ich möchte nicht sagen, dass es mich überrascht hat, aber es hat mich umso mehr gefreut, wie reibungslos und gut die Kommunikation und Zusammenarbeit nicht nur mit den österreichischen Wirtschaftsvertretern im Rahmen der nationalen Umsetzung, sondern auch mit den anderen EU Mitgliedstaaten funktioniert hat. Es gab zahlreiche fruchtbare Gespräche sowohl vor als auch nach dem Inkrafttreten des EU-MPfG, in welchen Unklarheiten und Bedenken aus der Praxis seitens der Stakeholder geteilt und gemeinsam analysiert wurden. Insbesondere wenn eine EU-Vorgabe vage gehalten ist und dadurch viel Auslegungsspielraum auf nationaler Ebene zulässt, ist die Zusammenarbeit mit Praxisvertretern wichtig, um das Thema aus allen möglichen Gesichtspunkten zu beleuchten und Problemen in der Anwendung vorzubeugen.
BC: Inwiefern kamen neue Pflichten auf die Steuerberatung zu, was hat sich für die TAX-Manager in Unternehmen geändert?
Redel: Durch die Meldepflicht grenzüberschreitender Gestaltungen gem. EU-MPfG werden primär Intermediäre (das sind meist Steuerberater, Rechtsanwälte oder Notare) dazu verpflichtet, bestimmte potentiell schädliche (im Sinne von steuervermeidende) Steuerplanungsmodelle, die sie für ihre Klienten entwickelt oder beraten haben, an die österreichische Finanzverwaltung zu melden. Die Meldepflicht richtet sich deshalb vornehmlich an Intermediäre, da davon ausgegangen werden kann, dass diese eine wichtige Rolle in der Konzeption der Gestaltung einnehmen und ihnen die nötigen Informationen für die Meldung ohnehin verfügbar sein sollten. Steuerberater und andere Intermediäre haben somit die neue Verpflichtung zur Erstattung einer Meldung gem. EU-MPfG unter Einhaltung der Meldefrist zu befolgen und ihre betroffenen Klienten darauf aufmerksam zu machen.
BC: Was bewirkt das neue EU-MPfG für die „Anwender“ in Unternehmen: Erleichterung und Rechtsklarheit oder vor allem weiteren zusätzlichen Verwaltungsaufwand?
Redel: Der Verwaltungsaufwand sollte sich für meldende Personen (Intermediäre oder Unternehmen selbst) in Grenzen halten, da die notwendigen Informationen ohnedies durch die erfolgte Konzeption der Gestaltung vorliegen sollten. Das entsprechende Formular in FinanzOnline ist sehr anwenderfreundlich ausgestaltet und enthält eine Hilfeseite mit zusätzlichen Informationen zu den zu befüllenden Feldern, falls nötig. Der Grundgedanke hinter der Meldepflicht gem. EU-MPfG ist die Aufdeckung von aggressiven Steuerplanungsmodellen. Es ist selbstverständlich, dass Intermediäre nur rechtskonforme Projekte beraten und konzipieren (dürfen) und durch den Katalog an Kennzeichen gem. §§ 5f EU-MPfG werden sie dabei unterstützt, Gestaltungen herauszufiltern, die zwar zulässig sind, aber zu einem potentiell schädlichen Steuervorteil führen könnten. Die Rechtsklarheit steht dadurch klar im Fokus.
BC: Ein erklärtes Ziel ist ja die „fair Taxation“, kommen wir mit dem EU-MPfG diesem Ziel näher? Daran anschließend: wie müsste ein Steuersystem aussehen, dass möglichst „fair“ ist, geht das überhaupt?
Redel: Steuerfairness und Steuergerechtigkeit sind das oberste Ziel aller bislang erfolgten Erweiterungen der EU Amtshilferichtlinie (DAC) und zahlreichen anderen Initiativen auf EU-Ebene. Durch den automatischen Informationsaustausch von Daten zwischen den Steuerverwaltungen aller EU Mitgliedstaaten sollen Steuervermeidungs-, und Steuerumgehungspraktiken im internationalen Kontext aufgedeckt und verhindert werden. Das EU-MPfG als Umsetzungsrechtsakt zur DAC6-Richtlinie ist hierbei keine Ausnahme. Mithilfe der ausgetauschten Informationen können die Steuerverwaltungen etwa analysieren, welche EU Mitgliedstaaten besonders beliebt für risikobehaftete grenzüberschreitende Gestaltungen sind und um welche Art von Gestaltungen es sich vornehmlich handelt. Dadurch können innerstaatliche Rechtslücken oder Graubereiche zum Vorschein gebracht und bei Bedarf geschlossen werden.
Steuerfairness: Ein langer Weg, aber er geht in die richtige Richtung
Das Thema der Steuergerechtigkeit ist ein höchst aktuelles und wird auch stark medienwirksam diskutiert. Den Begriff der Fairness kann man natürlich auf viele Arten auslegen und für jede Person kann er etwas anderes bedeuten. Im Zusammenhang mit Steuerrecht verstehe ich unter „fair taxation“, dass jedermann seinen „fair share“, also seinen angemessenen Anteil, an Steuern und Abgaben entrichtet und zwar dort, wo er wirtschaftlich zuzuordnen ist. Es darf grundsätzlich nicht sein, dass bestimmte multinationale Konzerne aufgrund von hochkomplexen, grenzüberschreitenden Steuerplanungsmodellen ihre Umsätze gezielt in andere, „steuervorteilhaftere“ Länder verschieben und so ihre Steuerlast auf künstlichem Wege mindern. Initiativen wie die Erweiterungen der EU Amtshilferichtlinie sollen die Transparenz im steuerrechtlichen Bereich erhöhen und die Kommunikation zwischen Steuerbehörden der EU Mitgliedstaaten fördern und leisten so ihren Beitrag zur Herstellung von Steuerfairness. Der Weg ist zwar ein langer, aber es geht in die richtige Richtung.
BC: Mit welcher Methode werten Sie die Meldungen nach EU-MPfG aus?
Redel: Die Meldungen, die wir aufgrund des EU-MPfG erhalten, werden den betroffenen Steuersubjekten im System automatisch zugeordnet und in weiterer Folge von Mitarbeiter/innen der Außenprüfung ausgewertet. Hervorzuheben ist, dass die Meldung keine Reaktionspflicht der Behörde auslöst und die Meldung auch nicht als Anbringen iSd § 85 BAO zu sehen ist.
BC: Wo steht Österreich im internationalen Vergleich, welche Erkenntnisse wurden durch Gespräche auf EU-Ebene gewonnen?
Redel: Österreich gehörte zu den ersten Mitgliedstaaten, die Meldungen auf Basis des Umsetzungsrechtsaktes der DAC6-Richtlinie erhalten haben. Dies deshalb, da aufgrund des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie von der Europäischen Kommission eine Verschiebung des Inkrafttretens der Richtlinie um 6 Monate zugelassen wurde. Lediglich drei Mitgliedstaaten, darunter Österreich, haben sich dazu entschieden, von der Verschiebungsmöglichkeit keinen Gebrauch zu machen sondern am ursprünglichen Datum des Inkrafttretens des EU-MPfG, dem 1. Juli 2020, festzuhalten. Dadurch konnten frühzeitig technische aber auch fachliche Schwierigkeiten zum Vorschein gebracht und beseitigt werden. Auf EU-Ebene fanden seit Herbst 2020 drei mehrtägige Workshops im Rahmen des von der Europäischen Kommission eingerichteten „FISCALIS“-Programms statt, bei dem sich die EU Mitgliedstaaten zur praktischen Anwendung der DAC6-Richtlinie austauschen konnten. Einer der Workshops wurde vom österreichischen DAC6-Team des BMF veranstaltet und wir haben unsere ersten Erfahrungen und weitere Themen im Zusammenhang mit den erhaltenen Meldungen teilen können. Insgesamt erwiesen sich die Gespräche auf EU-Ebene als sehr positiv und fruchtbar – so konnten viele Gemeinsamkeiten aber auch offene Fragen in der nationalen Auslegung der Richtlinie identifiziert und diskutiert werden.
BC: Zum Abschluss etwas Persönliches: Sie sind zum ersten Mal Vortragende auf einer Konferenz von uns, wird das Ihr erster Live-Auftritt seit zwei Jahren sein und worauf freuen Sie sich am meisten?
Redel: Das wird tatsächlich mein erster Live-Auftritt seit Anbeginn der Pandemie sein! Nach so einer langen Zeit ist es ein unglaublich schönes – und ungewohntes – Gefühl, wieder der „alten Normalität“ zu begegnen. Am meisten freue ich mich auf den persönlichen Austausch und vor allem auch darauf, den Laptop beiseitelassen zu können und Vortrag nicht mit den Worten „ich hoffe Sie können mich hören“ beginnen zu müssen 😉
BC: Sehr geehrte Frau Dr. Redel, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!
Dr. Nicole Redel ist Referentin in der Abteilung für EU Steuerrecht, Bewertung und Grundsteuer der Sektion IV Steuerpolitik und Steuerrecht im Bundesministerium für Finanzen. Davor war sie Steuerberateranwärterin bei einer international tätigen Steuerberatungs-, und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Wien. Am 24. Juni ist sie im Rahmen des TAX Circle 2022 Gastgeberin des Workshops: „EU-MPfG - praktische Erfahrungen nach eineinhalb Jahren“.
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