In den letzten Jahren wird die Kluft wieder intensiver diskutiert: Zwischen der theoretischen Rolle der Aktionäre als Entscheidungsträger im obersten Gesellschaftsorgan – der Hauptversammlung – einerseits und der faktisch oft durch Apathie geprägten Teilnahme der Aktionäre am Unternehmensgeschehen andererseits besteht meist ein krasser Widerspruch. Sollen Aktionäre aber ihre Rolle innerhalb des Unternehmens wahrnehmen können, ist zumindest ein effektiver Informationsfluss zwischen Gesellschaft und Aktionär unabdingbar.
Der Fokus auf die effektive Wahrnehmung von Aktionärsrechten ist auch vor dem Hintergrund des massiven Wandels in der Zusammensetzung der institutionellen Anleger zu sehen: Ein stetig wachsender Anteil des verwalteten Vermögens befindet sich in der Hand rein „passiver“ Fonds, also etwa in passiven ETFs („Exchange traded Funds“, deren Aktien in Sekundärmärkten gehandelt werden) oder Fonds, deren Ziel lediglich das möglichst genaue Tracking eines Benchmarks, wie z.B. EURO STOXX 50, ATX, oder DAX, und nicht die Erzielung eines darüber hinausgehenden Ertrages ist. Solche passiven Investmentvehikel sind für den Anleger vor allem auch aufgrund der (deutlich) geringeren Kosten attraktiv.
Die Kehrseite dieser Entwicklung ist freilich, dass passive Investoren kaum die Motivation haben, die für die Ausübung ihrer Stimmrechte entscheidenden Informationen zu recherchieren bzw. diese im Detail zu analysieren, da ihre Vergütung eben nicht von der Performance des Fonds abhängt.
Auf unionsrechtlicher Ebene wird dieser Themenkomplex auch durch die Aktionärsrechterichtlinie (Richtlinie 2007/36/EC) adressiert, die im Jahr 2017 wesentlich überarbeitet wurde. So verlangt die „Aktionärsrechterichtlinie II“ nunmehr etwa – in Anlehnung an die im Vereinigten Königreich entwickelte Marktpraxis (Link siehe unten) – erhöhte Transparenz hinsichtlich der Mitwirkungs-, Stimmrechtsausübungs- und Anlagestrategie durch institutionelle Anleger bzw. Asset Manager.
Neu: Identifizierung von Aktionären seit September 2020
Eine weitere signifikante Neuerung der Aktionärsrechterichtlinie II betrifft die Aktionärsidentifikation. So wird es Emittenten in Zukunft möglich sein, auch die Identität solcher Aktionäre festzustellen, deren Anteil unterhalb der allgemeinen Schwellen für Beteiligungspublizität (vier Prozent bzw. drei Prozent, wenn in der Satzung vorgesehen) verbleibt. Die Identifizierung von Aktionären soll hierbei der effektiven und vor allem direkten Kommunikation zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären und der Aktionärsrechtsausübung dienen.
Während die Regelungen zur Transparenz bei der Stimmrechtsausübung und der Anlagestrategie in Österreich bereits im Juni 2019 durch eine Änderung des „Börsegesetzes 2018“ (BörseG) umgesetzt wurden, hat der österreichische Gesetzgeber hinsichtlich der Aktionärsidentifizierung von der Option Gebrauch gemacht, diese erst mit Ablauf der 24-monatigen Frist nach Annahme des Durchführungsrechtsaktes, am 3. September 2020 in Kraft treten zu lassen. Die neuen Bestimmungen finden sich in den §§ 179 ff BörseG.
Beteiligungsketten und Aktionärsidentifizierung
Aktien an börsenotierten AGs werden in der Praxis häufig durch eine Kette von Intermediären gehalten, was sowohl historische, als auch praktische Hintergründe hat. Dies erschwert für die Gesellschaft in der Praxis zum einen die direkte Kommunikation mit ihren Aktionären signifikant. Weiters wird dadurch auch die Ausübung von Stimm- und anderen Aktionärsrechten signifikant erschwert, zumal in einer längeren Kette von Intermediären für Weisungen etwa auch die verschiedenen Bearbeitungszeiten der involvierten Intermediäre zu berücksichtigen waren. Die Aktionärsrechterichtlinie II sieht in diesem Zusammenhang eine Erleichterung (und Beschleunigung) des beidseitigen Informationsflusses vor. So müssen Intermediäre nunmehr eine unverzügliche Weiterleitung von Informationen sicherstellen; dies wird nunmehr auch durch – in einer Durchführungsverordnung enthaltene – detaillierte Regelungen zum europaweit einheitlichen Format der Informationen ermöglicht.
Aktionärsidentifizierung bereits ab 0,5 Prozent Beteiligung
Künftig haben Emittenten das Recht, bereits ab einer Beteiligung von 0,5 Prozent an Aktien oder Stimmrechten Informationen zur Identität eines Aktionärs zu erhalten, wobei diese Informationen zumindest die folgenden Angaben enthalten müssen:
- Name und Kontaktdaten des Aktionärs;
- bei juristischen Personen die Register- bzw. Firmenbuchnummer oder andere eindeutige Kennungen; und
- die Anzahl der gehaltenen Aktien.
Auf Anfrage des Emittenten sind zudem die gehaltenen Aktiengattungen und die Haltedauer mitzuteilen.
Zur Informationsleistung verpflichtet sind dabei die jeweiligen Intermediäre; diese sind innerhalb einer Intermediärskette auch dazu verpflichtet, die Anfragen demjenigen Intermediär weiterzuleiten, der über diese Informationen verfügt – also typischerweise dem letzten Glied in der Verwahrungskette.
Problemlos möglich ist dies freilich nur dann, wenn ein Aktionär alle Aktien innerhalb derselben Intermediärskette hält, da jeder Intermediär jeweils nur über den bei ihm gehaltenen Bestand Kenntnis haben wird. Daher sieht § 179 BörseG nunmehr für Aktionäre mit einer Beteiligung von zumindest 0,5 Prozent die Verpflichtung vor, bei aufgesplittetem Aktienbesitz – also im Falle mehrerer Depots unterhalb des Schwellenwertes, die insgesamt den Schwellenwert erreichen oder überschreiten – die jeweiligen Depotführer von diesem Umstand zu informieren. Diesfalls gilt die Informationspflicht für Intermediäre auch unterhalb der 0,5-Prozent-Schwelle.
Mehrwert für den Emittenten?
Die neuen Bestimmungen zur Aktionärsidentifizierung werden in vielen Fällen dazu beitragen, die Informationen des Emittenten zur eigenen Aktionärsstruktur zu verbessern. Allerdings ist zu beachten, dass auch bereits jetzt zahlreiche Anbieter Informationen zur Aktionärsstruktur bis weit unter die allgemeinen Schwellen der Beteiligungspublizität anbieten. Diese werden regelmäßig auf Basis der Offenlegungen der institutionellen Anleger selbst erstellt.
Dennoch werden es die neuen Bestimmungen der Gesellschaft ermöglichen, genauere Daten zu ihren Aktionären zu erhalten, zumal sie auch die Beteiligungen von Aktionären mitumfassen, die keinen detaillierten Offenlegungsbestimmungen unterliegen (etwa Hedge-Fonds). Zudem ermöglicht das neue Recht zur Aktionärsidentifizierung dem Emittenten eine von den Reporting-Stichtagen der institutionellen Investoren unabhängige Sicht der Aktionärsstruktur. Dies kann vor allem im Vorfeld signifikanter Transaktionen von Bedeutung sein – so etwa im Zusammenhang mit Unternehmensübernahmen.
Frühwarnsystem für Aktivismus?
Wenngleich § 179 BörseG den Emittenten mehr Rechte zur Identifizierung ihrer Aktionäre verspricht, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass trotz der im Vergleich zur allgemeinen Beteiligungstransparenz niedrigeren Schwelle der Mehrwert wohl dort ausbleiben wird, wo diese Informationen für die Emittenten unter Umständen am wertvollsten wären – nämlich dort, wo ein Investor ein Interesse daran hat, die eigene Beteiligung geheim zu halten.
Während bei der Beteiligungstransparenz eine Reihe von Bestimmungen sicherstellt, dass die Meldepflichten nicht allzu einfach durch geschickte Strukturierung (etwa den Einsatz von Derivaten) vermieden werden können, stellt § 179 BörseG ausschließlich auf die Aktionärseigenschaft ab. Für „Shareholder Activists“ unter der allgemeinen Meldeschwelle wird es daher in der Praxis wohl verhältnismäßig einfach sein, sich auch weiterhin dem Blick der Gesellschaft zu entziehen.
Die Autorin: Dr. Eva-Maria Ségur-Cabanac, LL.M.,leitet das Kapitalmarktrechtsteam bei Baker McKenzie in Wien. Sie ist Mitglied des Baker McKenzie Steering Committee Capital Markets für die EMEA Region sowie der globalen Baker McKenzie Fokusgruppe Sustainable Finance / Green Debt.
Am 25. März 2021 spricht Sie auf der Jahrestagung "Kapitalmarktrecht"
Weiterführende Links:
Hier finden Sie den bereits 2010 erstmals erlassenen „Stewardship Code“ zur im Vereinigten Königreich entwickelten Marktpraxis
Verordnung (EU) 2018/1212: Durchführungsverordnung der EU zur Identifizierung der Aktionäre, die Informationsübermittlung und die Erleichterung der Ausübung der Aktionärsrechte