Business Circle: Was waren, wenn man die Entwicklungen seit Frühjahr 2022, also seit dem Ende der Corona-Maßnahmen betrachtet, die entscheidenden Entwicklungen im Nachhaltigkeitsrecht? insbesondere hinsichtlich des von Ihnen für Ihren Workshop gewählten Mottos „Von der Kür zur Pflicht“
Katharina Gamharter: Wir blicken im Bereich der europarechtlichen Rechtsgrundlagen auf eine sehr aktive Gesetzgebungsperiode zurück, über weite Strecken geprägt von den Vorhaben zum „European Green Deal“. Dessen Ergebnisse prägen die Entwicklungen der vergangenen Jahre für davon erfasste Unternehmen innerhalb der EU: sowohl bereits in Kraft getretene Rechtsgrundlagen (Stichworte: EU Taxonomie, CSRD, CS3D, Empowering Consumers Directive) als auch noch laufende Vorhaben (Green Claims Directive). Vor allem integrierte Berichtspflichten, wie bereits jetzt unter der CSRD (in deren Anwendungsbereich) geboten, haben das Thema Nachhaltigkeit aus der Nische spezialisierter Organisationseinheiten in den unternehmerischen „Mainstream“ geführt. So versteht sich auch der Titel unseres Workshops: während eine Ausrichtung auf nachhaltiges Wirtschaften vor einigen Jahren noch als „Kür“ gesehen werden konnte, gibt es für viele Unternehmen im Anwendungsbereich mittlerweile klare Pflichten. Diese zu kennen und entsprechend zu handeln, ist das Gebot der Stunde.
BC: Warum denken Sie, dass das „S“ in ESG in Zukunft entscheidend sein wird? Mit dem „E“ haben wir uns ja schon beschäftigt und oft wurde in letzter Zeit das „G“ diskutiert.
Christian Richter-Schöller: Das denke ich wegen drei Buchstaben und einer Zahl: CS3D. Die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CS3D, auch völlig missverständlich "EU-Lieferkettengesetz" genannt) tritt in drei Jahren in allen Mitgliedstaaten in Kraft. Es handelt sich um die anspruchsvollste ESG-Gesetzgebung jemals auf der ganzen Welt. Und das S – also Arbeitnehmer:innenrechte und Menschenrechte – steht im Zentrum. Unternehmen müssen erstmals nicht nur bei sich selbst aktiv negative Auswirkungen auf Menschenrechte bekämpfen, sondern auch bei ihren Lieferant:innen und allen deren Vertragspartner:innen.
CS3D und die Rolle der Finanzindustrie
BC: Hinsichtlich der Einbeziehung der Finanzindustrie in die Corporate Sustainability Due Diligence Directive soll es ja noch ein weiteres Review geben, welche Aspekte zeichnen sich jetzt schon ab?
Richter-Schöller: Ein:e geschulte:r Psychotherapeut:in würde der CS3D gewisse schizophrene Züge unterstellen, was die Finanzindustrie angeht. Einerseits muss sie – anders als alle anderen Branchen – nur bei ihren Lieferanten und nicht auch bei ihren eigenen Kunden auf negative Auswirkungen checken. Andererseits wird von Finanzunternehmen ausdrücklich erwartet, "dass sie negativen Auswirkungen Rechnung tragen und ihren sogenannten „Druck“ nutzen, um Unternehmen zu beeinflussen. Eine Möglichkeit, diesen Druck auszunutzen, ist die Ausübung von Aktionärsrechten." Also irgendwie geht es dann doch auch wieder um die Kunden. Man merkt einfach, dass man sich da im Entwurfsprozess nicht ganz einig werden konnte. Die Rolle der Finanzindustrie war bis zum Schluss heiß umstritten. Momentan kann man nur auf Leitlinien warten, welche die Anforderungen konkretisieren und etwas Licht ins Dunkel bringen.
BC: Aus Ihrer speziellen Perspektive: Wie können Banken, Anwaltskanzleien und Unternehmen besser zusammenarbeiten, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen?
Gamharter: Wie bei anderen Fragestellungen ist es entscheidend, die Innen- und Außenperspektive möglichst wirksam zu kombinieren, um gemeinsam gute Ergebnisse zu erzielen. Im Bereich Nachhaltigkeit muss wohl jedes Unternehmen (auch beratende oder finanzierende) bei sich selbst anfangen hinsichtlich Standortbestimmung und Zielen – diese liefern die Grundlage sowohl für den eigene Beitrag als auch eine wirksame Beratung oder Begleitung von Kund:innen und Klient:innen.
BC: Daran anschließend: Welche Empfehlungen würden Sie heimischen Industrieunternehmen geben, die sich auf die zukünftigen Anforderungen im Bereich Nachhaltigkeitsrecht und Regulatorik besser vorbereiten möchten?
Richter-Schöller: Mut zum eigenen Handeln auf Grundlage einer pragmatischen Interpretation der Rechtslage.
BC: Sie beide kennen Business Circle ja schon aus eigener Erfahrung, was ist für Sie das Besondere an unseren Formaten?
Gamharter: Ich schätze an der RuSt neben dem Austausch auf hohem fachlichen Niveau vor allem das „à la carte“ Programm im Rahmen paralleler Sessions – so kann jede und jeder das Programm nach den eigenen Schwerpunkten und Interessen zusammenstellen und die eigene Zeit optimal nutzen.
BC: Sehr geehrte Frau Dr. Gamharter, sehr geehrter Herr Dr. Richter-Schöller, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns auf Ihren Input zur RuSt!
Dr. Katharina Gamharter, LL.M. ist Senior Director im Bereich Legal Services Banking, Regulatory and Innovation der Raiffeisen Bank International AG. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte sind internationale Unternehmensfinanzierungen (Projekt-, Handels- und Exportfinanzierung, Syndizierte Kredite, Restrukturierung) und Bankenregulierung, besonders auch zum Thema Nachhaltigkeit.
Dr. Christian Richter-Schöller ist Rechtsanwalt bei DORDA und Co-Leiter der Sustainability Group. Seine Schwerpunkte sind Bank- und Kapitalmarktrecht, Versicherungsaufsichtsrecht und Nachhaltigkeitsrecht. Er ist Autor zahlreicher Fachpublikationen und trägt insbesondere zu Sustainable Finance und Lieferkettenregeln auch regelmäßig an Universitäten, Fachhochschulen und Aus- und Fortbildungseinrichtungen vor. Zuletzt gab er das "Praxishandbuch Nachhaltige Finanzierung" (2023) heraus.
Auf der RuSt am 17./18. Oktober sind sie gemeinsam Gastgeber eines Nachhaltigkeitsrechts-Workshops.
Weiterlesen: CS3D - Der konsolidierte Text ist da! (Dr. Christian Richter-Schöller und PD Dr. Bernhard Müller, DORDA Rechtsanwälte)