Lukas Treichl ist Rechtsanwalt und Co-Head des Freshfields Lab, der globalen Plattform zur Entwicklung digitaler Lösung der Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer. Im Interview sprechen wir unter anderem über die Schnittstelle von IT und Recht und darüber, welche Anforderungen Digitalisierungsprojekte an die Teams stellen, die sie umsetzen.
Business Circle: Sehr geehrter Herr Mag. Treichl, eingangs etwas Persönliches: Wie hat es Sie in die Schnittstelle von IT und Recht gezogen? Wie war Ihr Werdegang dorthin?
Lukas Treichl: Bereits vor meinem Jus Studium – in den Jugendjahren – habe ich Erfahrungen in der Webentwicklungen gesammelt. Nach meinem Jus Studium an der Universität Wien habe ich einen LLM in Berkeley, Kalifornien absolviert. Technologie und Digitalisierung sind natürlich im Studium präsent. Mit Freunden, die in großen Technologieunternehmen arbeiteten, habe ich schließlich eine Machine Learning Software entwickelt. Spätestens zurück in Europa war für mich klar, dass ich fortan an der Schnittstelle von Recht und Technologie arbeiten wollte.
BC: Sie werden in Ihrem Vortrag auf der Vienna Legal Tech Ihre Lessons learned vorstellen: Über welchen Zeitraum erstreckt sich Ihre Projekterfahrung, wann haben Sie angefangen?
Treichl: Bei Freshfields habe ich direkt ab meinem Berufseinstieg in der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten gearbeitet. Die ersten „Lessons learned“ konnte ich daher seit Anfang 2017 sammeln. Mit Übernahme der Co-Head Funktion beim Freshfields Lab haben sich natürlich auch die „Lessons learned“ entwickelt. Waren viele der anfänglichen „Learnings“ im Bereich der Konzeptionalisierung, Sammlung von Anforderungen und technischer Umsetzung verortet, wandelten sich diese in neue Bereiche der Skalierung der Lösungen für tausende von Nutzern, Operationalisierung und Lokalisierung von Lösungen in über einhundert Jurisdiktionen und Einsatz von Machine Learning.
BC: Wann stellten sich die ersten Erfolge ein, ab wann „rechnet“ sich ein solches Projekt?
Treichl: Der Einsatz von Technologie lohnt sich vom ersten Moment an. Im Freshfields Lab entwickeln wir Lösungen direkt am Mandat, also anhand der konkreten Anforderungen des Projekts, oder auf Basis der Anforderungen von einer Vielzahl von Projekten. Der Schlüssel liegt in der iterativen und agilen Entwicklung in cross-funktionalen Projektteams. Unter Einbindung der mandatsführenden Anwältinnen in die Entwicklungsteams und Release eines minimum viable product stellen wir sicher, dass die Technologie möglichst rasch in im Business ankommt und verhindern Fehlentwicklungen.
BC: Was wäre ein typischer Anfängerfehler, was würden Sie ihrem fünf Jahre jüngeren Ich sagen, wenn sie einen Satz übermitteln könnten?
Treichl: Change Prozesse – vielfach durch Technologie ausgelöst – benötigen Zeit. Wichtiger als die technische Leistungsfähigkeit von Lösungen ist daher die Einbettung in den Business Prozess, das Training von Usern im Umgang mit einer Lösung und die Vermarktung der Lösung innerhalb einer Organisation.
BC: Welche Kennzahlen nutzen Sie zur Erfolgsmessung: Gibt es außer Geld und Zeit noch weitere Kriterien wie beispielsweise Mitarbeiter- oder Mandantenzufriedenheit?
Treichl: Effizienzgewinne stehen bei unseren Lösungen nicht im Mittelpunkt, sondern sind ein Nebeneffekt. Ziel ist vielmehr die bestmögliche rechtliche Beratung zu leisten. Selbstentwickelte digitale Lösungen sind dabei der Schlüssel für mehr Transparenz in der Zusammenarbeit mit Mandanten oder die Möglichkeit der Mandantin mit Daten (etwa aus der rechtlichen Vertragsprüfung) zu arbeiten und mit anderen Aspekten zu verknüpfen (etwa Ergebnissen der kommerziellen Analyse in Transaktionen). Vielfach sind technische Lösungen zur Bewältigung der Herausforderungen die sich im Mandat stellen schlichtweg notwendig. Das beste Beispiel hierfür sind Massenverfahren. Der Umgang und die Bearbeitung von hunderttausenden klageweise geltend gemachten Ansprüchen ist ohne Technologieeinsatz undenkbar. Die Erarbeitung einer Strategie ohne datenbasierte Analyse – unmöglich.
Jeder ist froh, wenn repetitive, manuelle Tätigkeiten wegfallen
BC: Daran anschließend: Was wurde mit der gesparten Zeit gemacht? Wurden einige Mitarbeiter überflüssig oder haben jetzt alle einfach interessantere und spannendere Aufgaben?
Treichl: Eindeutig Letzteres. Der Einsatz von Technologie reduziert vor allem repetitive manuelle, fehleranfällige Tätigkeiten. In der Praxis ist jeder froh, dass diese Tätigkeit wegfallen. Gleichzeitig entstehen zig neue Tätigkeitsfelder – etwa Durchsicht und Prüfung der „Extraktionsergebnisse“ der Machine Learning Pipeline, Erstellung von Dashboards für das strukturierte Reporting der Ergebnisse einer internationalen regulatorischen Abfrage, Modularisierung und Aktualisierung von Schriftsatzmustern zur Dokumentenautomatisierung. Schließlich bleibt auch mehr Zeit für traditionelle juristische Aufgaben…
BC: Was bedeutet die fortschreitende Digitalisierung für den juristischen Arbeitsmarkt der Zukunft?
Treichl: Durch die Digitalisierung entstehen zahlreiche neue Rollen in der Rechtsbranche. Es findet eine – aus meiner Sicht überfällige – Diversifizierung statt. Während etwa für die Herstellung von Fahrzeugen Softwareentwickler bereits eine lange Zeit am Auto „mitschrauben“, ist die Anstellung von Machine Learning Experten oder Softwareentwickler innerhalb einer Kanzlei noch immer etwas Neues und Innovatives. Dagegen ist die Arbeit von Legal Project Manager innerhalb von Großkanzleien und auch auf Seiten von Mandanten bereits alltäglich. Derzeit sind Experten an der Schnittstelle von Recht und Technik sehr gefragt. Diese erbringen eine wichtige Übersetzungsleistung, nämlich der juristischen Anforderungen in technisch Leistbares. Neben der Arbeit an Projekten leisten diese vor allem auch einen wichtigen integrativen Beitrag.
BC: Der Hype um Legal Tech – Lösungen ist ja etwas abgeflacht, wie wird sich dieser Bereich Ihres Erachtens nach in Zukunft weiterentwickeln?
Treichl: In Zukunft werden wir noch wesentlich diversere Teams in der Rechtsberatungsbranche, aber auch in Rechtsabteilungen sehen. Die Arbeit mit neuen Technologien – jenseits der bloßen Nutzung von Office Produktivitätslösungen (eMail, Textverarbeitung etc) etwa Machine Learning, Chatbots für Knowledge Management, Vertragsanalysesoftware wird bald alltäglich werden. Dabei wir die Sensibilität für „Legal Tech“ abnehmen, da es sich um technische Lösungen mit breitem Anwendungspotential handelt, die dann eben auch im Rechtsbereich eingesetzt werden.
Business Circle: Lieber Herr Treichl, wir danken Ihnen für das Gespräch und freuen uns schon auf die Vienna Legal Tech am 25. / 26. April 2023!
Mag. Lukas Treichl, LL.M. ist Counsel / Rechtsanwalt bei Freshfields Bruckhaus Deringer und Co-Head des Freshfields Lab. Als Mitglied Global Transactions Praxisgruppe berät er im Bereich von Transaktionen, vornehmlich im Bereich Telekommunikation, Technologie und Outsourcing. Im Rahmen der Vienna Legal Tech ist er Gastgeber eines Workshops zum Thema „Massenprozesse im Fokus - Machine Learning – Wie funktioniert es tatsächlich? Lessons learned in der Großkanzlei“