Business Circle: Zunächst etwas Persönliches: Sie sind Principal Legal Tech & Innovation bei der Axel Springer Legal Group. Wann und wie haben Sie für sich die Entscheidung getroffen, dass Legal Tech Ihre berufliche Zukunft ist?
Yunna Choi: Ich habe mich direkt nach dem Referendariat für Legal Tech entschieden. Eine klassische juristische Karriere konnte ich mir nicht so recht vorstellen. Ganz mit Jura abschließen wollte ich aber auch nicht. Deshalb habe ich nach Arbeitsfeldern gesucht, in denen ich meinen juristischen Hintergrund mit einem anderen Bereich kombinieren kann. Dabei bin ich auf Legal Tech gestoßen. Mich hat es gereizt, in einem innovativen Bereich zu arbeiten, in dem es noch viel zu gestalten und zu lernen gibt. Ich habe dann bei einer Legal Tech-Kanzlei angefangen und es nicht bereut. Ausschlaggebend dafür war nicht zuletzt, die freie, kollaborative und kreative Art zu arbeiten, die aus der Tech- und Startup-Szene in den Legal Tech-Bereich übergeschwappt ist. Das erklärt wohl auch, warum ich dem Thema bis heute treu geblieben bin.
BC: Wenn wir einmal zurückblicken: Was (und wann) war Ihr erstes Projekt, das sich explizit mit Legal Tech beschäftigt hat?
Choi: Das war noch vor meinem ersten Job Anfang 2019. Ein Freund ist zufällig auf den Berlin Legal Tech Hackathon gestoßen und hat mir den Link geschickt. Ich habe mich spontan beworben. Wir haben dann mit einem vor Ort zusammengestellten Team an einem Prototyp zum Thema Whistleblowing gebastelt und den zweiten Platz gewonnen. Das hat mich weiter motiviert, im Bereich Legal Tech zu arbeiten. Zwei Monate später bin ich dann als Legal Engineer in ein neues Venture einer Legal Tech-Kanzlei in Berlin eingestiegen. Dort hatte ich mein erstes großes Legal Tech-Projekt und bekam die Möglichkeit, den Prozess für ein Massenklageverfahren zu konzipieren, technisch in der entsprechenden Software umzusetzen und diese dann gemeinsam mit einem Scrum-Entwicklerteam weiterzuentwickeln. Darauf aufbauend haben wir dann an eigenen Lösungen gearbeitet, die in die Prozesse integriert wurden. In dieser Zeit habe ich unglaublich viel gelernt – vor allem von unserem Scrum-Team.
KPIs helfen, Leistung und Mehrwert der Rechtsabteilung für das Unternehmen sichtbar zu machen
BC: Welche Kennzahlen nutzen Sie zur Erfolgsmessung: Gibt es außer Geld und Zeit noch weitere Kriterien (wie beispielsweise Stakeholder-, oder Mitarbeiterzufriedenheit)?
Choi: Ein wichtiges Instrument sind Key Performance Indicators (KPIs), die die Effektivität widerspiegeln. Dafür ist es wichtig zu verstehen, was Effektivität für die jeweilige Abteilung bedeutet. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, nicht nur Faktoren wie Zeit und Geld in die Bewertung der Effektivität einfließen zu lassen. Es ist z.B. nicht effektiv, wenn ein Mitarbeiter eine Aufgabe 20 % schneller erledigt, dafür aber Abstriche bei der Qualität macht und der Entwurf deshalb mehrfach nachbearbeitet werden muss. Ebenso wenig ist es effektiv, einen Prozess zu etablieren, der zwar schneller ist und weniger Ressourcen bindet, langfristig aber die Unzufriedenheit und damit die Mitarbeiter-Fluktuation erhöht. Bei der Bewertung des Outputs stellt die Zufriedenheit der Stakeholder, aber auch der Mehrwert für das Unternehmen einen wichtigen Ankerpunkt dar. Dies ermöglicht zum einen, den Fokus auf die Projekte und Themen zu richten, die den größten Mehrwert generieren, also effektiv sind. Zum anderen hilft es der Rechtsabteilung, ihre Leistung und ihren Mehrwert für das Unternehmen sichtbar zu machen und ggf. für Budget- und Investitionsdiskussionen zu nutzen. Es ist jedoch wichtig, die KPIs sorgfältig auszuwählen und regelmäßig zu überprüfen, um sicherzustellen, dass sie aussagekräftig sind.
BC: Daran anschließend eine Frage, welche Inhousejuristen immer beschäftigt: Wie kommunizieren Sie Ihre Erfolge und gegenüber Stakeholdern und dem Vorstand?
Choi: Dafür muss erstmal klar sein, wie sich Erfolg definiert. Man muss sich darüber im Klaren sein, was man mit Legal Operations erreichen will. Mit einer transparenten Strategie und einer Bestandsaufnahme kann man klar kommunizieren, wo man angefangen hat, was das Ziel der Veränderung war, welchen Beitrag sie zu Zielen leisten sollte und ob diese Erwartungen erfüllt wurden. Dies ermöglicht es, den Fokus während eines Projektes klar zu halten und sich immer wieder zu fragen, ob man dieses Ziel noch verfolgt oder ob man schon links oder rechts abgebogen ist. Es führt auch manchmal zu der Frage, ob das Ziel überhaupt noch erreicht werden kann oder soll. Mit so einer Strategie oder Vision ist für die Stakeholder immer transparent, wo wir aktuell stehen und von welchen Grundannahmen wir ausgehen. Eine Vision oder Strategie ist nicht in Stein gemeißelt, sondern dient als Diskussionsgrundlage, um strategische Überlegungen transparent hinterfragen zu können.
BC: Nachdem Nachhaltigkeit in aller Munde ist: Welchen Beitrag können verbesserte Prozesse im Bereich Legal Operations da leisten?
Choi: Das Offensichtlichste ist: Wer digital arbeitet, verbraucht weniger Papier. Aber auch die Rechenleistung hat einen negativen Einfluss auf unsere Umwelt und ist daher ESG-relevant. Straffere und effizientere Prozesse helfen uns, unnötige Prozesse durch Datensilos, doppelte Ablage, Altlasten und Kommunikationsschleifen zu vermeiden. Darüber hinaus kann Legal Operations in Governance-Prozessen helfen. Es gibt im Bereich Compliance bereits sehr gute Use Cases, bei denen Legal Tech und Legal Operations einen wichtigen Beitrag dabei leistet.
BC: Der erste Hype um Legal Tech-Lösungen scheint ja etwas abgeflacht zu sein, andererseits wird der Trend zur Digitalisierung weitergehen: Womit werden sich Legal-Tech-Spezialisten in den nächsten Jahren vorrangig beschäftigen, wohin könnte die Reise in den nächsten 5 Jahren gehen?
Choi: Derzeit sind viele Rechtsabteilungen dabei, Transparenz in ihre Prozesse zu bringen und Prozesse zu streamlinen, die bisher einen sehr hohen administrativen Aufwand verursacht haben. Darüber hinaus hat die Diskussion um KI-Lösungen durch Chat-GPT an Fahrt aufgenommen. In den nächsten Jahren werden wir uns zwar weiterhin mit Themen wie Standardisierung, (Teil-)Automatisierung, Self-Service und Wissensmanagement beschäftigen, um Standardkonstellationen mit möglichst geringem Aufwand für die Rechtsabteilung abzuwickeln. Bei der klassischen anwaltlichen Tätigkeit in Kanzleien und Rechtsabteilungen wird sich meines Erachtens nach die Kombination aus automatisierter Vorarbeit durch KI, Teilautomatisierung, Standardisierung etc. und anwaltlicher Veredelung durchsetzen - der “tech-enabled lawyer”. Dieser verbindet gewissermaßen das Beste aus beiden Welten: die effiziente Nutzung von bereits erworbenem Wissen und Erfahrung in Kombination mit der Sicherheit der anwaltlichen Einzelfallprüfung.
BC: Sie waren ja 2022 schon auf der Vienna Legal Tech – möchten Sie Ihren Eindruck von der Konferenz mit uns teilen und gibt es in Deutschland ein vergleichbares Format?
Choi: Für mich war es die perfekte Mischung aus Input und Interaktion, einerseits klassische Vorträge, andererseits interaktive Diskussionsrunden, kleine Workshop-Formate. Und natürlich ist die Vienna Legal Tech eine gute Chance zum Networking. Für mich als deutsche Teilnehmerin ist auch spannend zu sehen, woran die österreichischen Kolleginnen und Kollegen derzeit arbeiten und welche Lösungen hier auf dem Markt sind, die wir noch nicht kennen, aber für den deutschen Markt interessant sein könnten.
BC: Liebe Frau Choi, wir danken Ihnen für das Gespräch und freuen uns, Sie wieder in Wien zu begrüßen!
Yunna Choi verantwortet das Thema Legal Tech als Principal Legal Tech & Innovation bei der Axel Springer Legal Group des Konzerns. Sie war zuvor COO des Legal Tech Company Builders Push! Founders and Head of Legal Operations LV für ein Venture im Versicherungsbereich bei der Legal Tech Kanzlei Gansel Rechtsanwälte. Schwerpunkt: Gründung von Start-Ups im Legal Tech Bereich, Legal Operations, Produkt- und Prozessentwicklung sowie Legal Tech Strategieberatung von Kanzleien. Bei der Vienna Legal Tech am am 25. / 26. April 2023 moderiert sie einen Workshop zum Thema „Digital Strategy - Warum wir strategischer & wirtschaftlicher in Legal Tech/Legal Operations vorgehen müssen“