Business Circle: Sehr geehrte Frau DDr. Kohl, Sie leiten die Stabstelle Legal & Compliance in der TÜV AUSTRIA Group. Welche Regeln haben Sie in Ihrem Team in Bezug auf Home-Office und Büro-Präsenz und wie lange hat die Umstellung gedauert? Gab es einen Unterscheid zwischen Sommer und zweitem (drittem) Lockdown?
Manuela Kohl: Im ersten Lockdown haben alle Mitarbeiter:innen durchgehend im Homeoffice gearbeitet, bis auf die Führungskräfte, die weiterhin an den Standorten vor Ort waren. Über den Sommer waren alle Mitarbeiter:innen wieder vollzählig vor Ort, seit September ist der TÜV AUSTRIA im 2-Schicht-Betrieb, jeweils die Hälfte des Teams wechselt sich wochenweise mit der Anwesenheit ab, wobei es keine Verpflichtung zur Anwesenheit gibt. Wir sind sehr flexibel in der Handhabung von Arbeitszeiten im Homeoffice, was z.B. längere Unterbrechungen betrifft und wollen nicht nur Homeoffice nach der Pandemie in gewissem Ausmaß beibehalten, sondern auch eine Flexibilität bei Anwesenheit im Büro, dass z.B. studentische Mitarbeiter:innen die Arbeitszeit durch eine Online-Lehrveranstaltung unterbrechen können.
BC: Sie sind promovierte Soziologin und Juristin, eine ungewöhnliche Kombination. Was hat Sie dazu bewogen, diesen Weg so einzuschlagen?
Kohl: Ursprünglich wollte ich bereits direkt nach dem Abitur Rechtswissenschaften studieren, habe mich dann aber für Soziologie entschieden. Soziologie als Wissenschaft von der Gesellschaft, die das Zusammenleben nach sozialen Regeln, also Normen und Werten, untersucht, hat eine Verwandtschaft zur Rechtswissenschaft, die sich mit den Rechtsnormen, die das gesellschaftliche Zusammenleben regeln, befasst. Soziologie und Rechtswissenschaften ergänzen sich ideal in meiner Position als Compliance Officer, da es bei Compliance nicht nur um die Einhaltung von Gesetzen, sondern auch um die Einhaltung von ethischen Grundsätzen geht.
BC: Sind Sie die Digitale Transformation nur mit bereits vorhandenen Ressourcen angegangen oder haben Sie sich noch Verstärkungen ins Team geholt?
Kohl: Wir haben die digitale Transformation mit den vorhandenen Ressourcen in Angriff genommen; selbstverständlich gibt es in einem Konzern Unterstützung durch Projektmanager:innen und die IT, dennoch gerät man bei der Umsetzung solcher Projekte neben dem Tagesgeschäft an seine Grenzen. Langfristig macht sich diese Investition jedoch in einer Effizienzsteigerung bezahlt. Man sollte die Digitalisierung seiner Prozesse und die technische Umsetzung durch den Lieferanten jedenfalls nicht in Komplexität und Zeitaufwand unterschätzen.
BC: Eine Frage, die sich bei Digitalisierungsprojekten immer stellt: Werden Unternehmensjuristen in Zukunft überflüssig sein oder wird das Aufgabenspektrum viel interessanter und erfüllender werden, weil mehr Zeit bleibt, sich auf Wesentliches, wie zum Beispiel Strategien zu konzentrieren?
Kohl: Überflüssig werden Unternehmensjurist:innen in meinen Augen noch lange nicht. Im Angesicht der digitalen Transformation wächst allerdings schon die Ungeduld, sich der einfachen Routineaufgaben zu entledigen und sich auf die interessanten Aufgaben zu fokussieren. Durch Digitalisierung gewonnene Kennzahlen werden den Fokus auf Strategien fördern.
BC: Daran anschließend: wie konnten Sie freiwerdende Ressourcen gewinnbringend einsetzen?
Kohl: Ich habe zwei Mitarbeiterinnen im Team, die nebenbei noch Jus studieren. Diese werden in naher Zukunft von einfachen Aufgaben entlastet und können anspruchsvollere Aufgaben übernehmen.
BC: Mit welchen Kennzahlen messen sie den Erfolg?
Kohl: Derzeit ist es noch schwierig, an Kennzahlen zu kommen, so lange noch nicht alle Prozesse digitalisiert sind. Bis dato kann man meist nur gut die externen Kosten für Rechtsberatung überwachen. Wir haben bereits die Anzahl an unterzeichneten Verträgen, künftig haben wir auch die Durchlaufzeiten und können hoffentlich auch gegenüberstellen, wie oft unsere internen Mandant:innen sich direkt der Vorlagen bedient haben.
Was man einem Legal Bot anvertrauen kann (und was nicht)
BC: Wo werden Ihres Erachtens nach immer menschliche Intelligenz und menschliche Empathie notwendig sein, was kann man Legal Bots auf keinen Fall anvertrauen?
Kohl: Einfache juristische Fragen, sozusagen die FAQs, kann man durchaus einem Legal Bot anvertrauen. Doch die Beurteilung von Details und die Abwägung derselben im Gesamtbild ist noch immer eine Aufgabe, die ich menschlicher Intelligenz vorbehalten würde. Ich mache immer wieder die Erfahrung bei Schulungen unserer technischen Angestellten, dass die Bedeutung von Details unterschätzt wird. Komplexere Themen können von Legal Bots immerhin vorsondiert und Jurist:innen zugewiesen werden.
BC: Welche Empfehlung hätten Sie an junge Menschen, die eine Karriere als Legal Counsel anstreben?
Kohl: Ich empfehle jungen Menschen ganz klassisch, sich frühzeitig einen Studentenjob in einer Rechtsabteilung zu suchen. Nicht nur, um in die Aufgabe hineinzuwachsen, sondern auch, um daraus Benefits für das Studium zu ziehen. Man tut sich im Studium leichter, wenn man Erfahrungen in der Praxis sammeln kann, sofern man nicht nur für Kopieren oder Botenwege eingesetzt wird. Ein Studentenjob in einer Rechtsabteilung hilft auch für eine frühzeitige Spezialisierung, wenn man weiß, was einen mit dem entsprechenden Schwerpunkt in der Berufswelt erwartet. Als Absolvent kann man dann frühzeitig für anspruchsvollere Aufgaben eingesetzt werden.
BC: Zum Abschluss: Ist die (universitäre) Ausbildung an Schnittstelle Legal / IT in Österreich gut aufgestellt?
Kohl: Meines Erachtens ist im regulären Studium noch zu wenig IT im Angebot, es gibt jedoch Schwerpunktstudien oder interessante Postgraduate-Studiengänge. Ansonsten beschränkt es sich wohl auf Kennenlernen einzelner Softwares oder sporadische Vorträge. Die noch studierenden Mitarbeiterinnen in meinem Team haben an ihren beiden Universitäten nur die eben genannten Berührungspunkte.
DDr. Manuela Kohl ist promovierte Soziologin und Juristin. Sie leitet die Stabstelle Legal & Compliance in der TÜV AUSTRIA Group. In ihrer Funktion verantwortet sie die Digitalisierung von Prozessen in der Rechtsabteilung. Sie ist u.a. Mitglied in der Vereinigungösterreichischer Unternehmensjuristen,beim Compliance Officer Verbund und bei den Privacy Officers.
Auf der "Vienna Legal Tech" am 1. September '21 stellt sie in einem Use-Case vor, was Künstliche Intelligenz kann und was (noch) nicht.