Business Circle: Sehr geehrter Herr Schreiber, Sie sind Diplom-Ingenieur und Master of Laws, eine ungewöhnliche Kombination, wie kam es dazu?
Thomas Schreiber: Für mich war immer klar, dass ich Informatik studieren wollte. Gleichzeitig hat mein Unterricht in der HAK-Oberstufe ein Interesse an der Rechtswissenschaft in mir begründet. Deshalb inskribierte ich nach meinem Präsenzdienst nicht nur an der TU, sondern wählte Wirtschaftsrecht an der WU als "Nebenstudium". Das war oftmals ein organisatorisches Problem - Vorlesungen und Wegzeiten mussten aufeinander abgestimmt werden - aber inhaltlich fesselten mich die Inhalte beider Studien so sehr, dass ich beide Studien für die gesamte Dauer parallel betrieb und annähernd zugleich abschloss. Seitdem arbeite ich in der Kombination beider Bereiche.
BC: Was denken Sie, dass die nächsten 5 Jahre in diesem Bereich bringen werden?
Schreiber: Sowohl der Zugang zum Recht, als auch der Zugang zur IT werden aktuell niedrigschwelliger. Rechtsanwaltskanzleien digitalisieren zunehmend. Meine Einschätzung wäre deshalb, dass "neue" Technologie und Automatisierung in den nächsten Jahren breiten Einzug im Rechtsbereich finden wird - auch getrieben durch die Juristen selbst.
Beurteilungskompetenz und menschliche Kreativität werden sich nicht automatisieren lassen
BC: In welchen Rechtsbereichen werden Ihres Erachtens menschliche Empathie und Kreativität immer unverzichtbar bleiben?
Schreiber: Die Juristerei ist keine Formalisierung von strikten Prüfschemata, die automatisiert abzuprüfen wären. Zur Erfassung und Beurteilung komplexer Sachverhalte kann Technologie eine Ersteinschätzung und Unterstützung bieten, aber die letztlich zu erfolgende Beurteilung und das Erfassen möglicher Folgen erfordert Kreativität, die derzeit automatisiert nicht abbildbar ist.
BC: Nach welchen Kriterien solle man eine Make or Buy-Entscheidung für Law Coding treffen - gerade in einer kleinen Kanzlei oder in der Rechtsabteilung eines Unternehmens?
Schreiber: Neben der technischen Komplexität ist das auch immer eine Frage der Unternehmenskultur. Für viele kleine, alltägliche Verbesserungen existiert bereits fertig zugeschnittene Software am Markt - teilweise auch kostenlos - die einfach adaptiert werden kann. Um diese einzusetzen, ist eine gewisse Neugierde und Offenheit, Neues zu lernen oder Lösungen einfach zu versuchen, notwendig.
BC: Was empfehlen Sie jemandem, der sich für „Make“ entschieden hat und jetzt beginnt, sich mit Law Coding zu beschäftigen? Was sollte man als Erstes tun, womit sollte man einsteigen?
Schreiber: Meine Empfehlung wäre, mit kleinen Problemlösungen zu beginnen, die mit relativ wenig Aufwand bereits kleine alltägliche Verbesserung bringen. Gerade zur Automatisierung von Abläufen extistieren für "Laien" einfach erlern- und bedienbare Tools wie TextExpander oder SikuliX, die mit einigen Zeilen Code bereits manuelle Tätigkeiten abnehmen. Und die Programmlogik ist in allen Tools und Sprachen gleich - sei es jetzt ein Python-Web-Ripper oder ein Excel-Makro.
BC: Sehen Sie durch die zunehmende Digitalisierung neue Einfallstore für White Collar Crime und Cyberkriminalität?
Schreiber: Sicherheit sollte immer mitberücksichtigt werden. Gleichzeitig bieten moderne Programmierumgebungen eine gute Basissicherheit gegen Angriffe, Cloud-Hoster eine gute physische Sicherheit. Sind heikle Daten betroffen, sollte aber fachkundiger Rat beigezogen werden.
BC: Daran anschließend: Cyberkriminalität und deren Abwehr stehen im ständigen Wettbewerb zueinander. Was wäre zu tun, um gezielt die „helle Seite der Macht“ zu stärken?
Schreiber: Zu diesem Problem gibt es eine Reihe bekannter Strategien - etwa ein Ausschreiben nennenswerter "Bug Bounties", so dass auch ein finanzieller Anreiz besteht, gefundene Einfallstore an den Hersteller zu melden. Wichtig ist auch die passende Kultur. Unternehmen sollten auf ihnen gemeldete Lücken mit Dankbarkeit und raschem Schließen der Lücke, statt mit Strafanzeigen, reagieren.
BC: Sehr geehrter Herr Schreiber, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!
DI Thomas Schreiber, LL.M. ist Co-Founder der NetzBeweis GmbH. Erleben Sie ihn am live auf der Vienna Legal Tech am 26. / 27. April 2022.