Business Circle: Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Forgó, Sie waren Datenschutzbeauftragter und CIO einer Universität. Welches sind die Besonderheiten beim IT-Management an einer Hochschule im Gegensatz zum IT-Management in der Industrie?
Nikolaus Forgó: Eine (deutschsprachige) Universität ist, wenigstens nach dem Selbstverständnis mancher Ordinarien (meistens männlich), organisiert als loser Verbund kleiner, absolutistisch regierter Königreiche. Da werden strategische Vorgaben, auch der Universitätsleitung, mitunter als Störungen von außen wahrgenommen und entsprechend bekämpft - egal, ob es um die inhaltliche, die administrative oder die IT-Steuerung geht. Die Kunst für eine gelingende IT-Strategie ist es, dieses Monadentum zu durchbrechen. Das geht nicht mit einer Brechstange, schon gar nicht mit einer rechtlichen Brechstange. Man muss zuhören, argumentierten, lernen und überzeugen.
Bei genauerem Hinsehen habe ich allerdings den Eindruck, dass diese Herausforderung in ganz ähnlicher Form auch bei Privatunternehmen ab einer gewissen Größe existiert.
BC: Welche KPIs verwenden Sie zur Überprüfung und Steuerung Ihrer Prozesse?
Forgó: Erreichung individueller und kollektiver wissenschaftlicher Ziele in qualitativer und quantitativer Hinsicht (Research Output), Erreichung der Lehrziele, Studierendenzufriedenheit, Höhe und Qualität der Drittmitteleinwerbungen, Zufriedenheit und Verweildauer der Mitarbeiter:innen, Gesellschaftlicher Impact (Third Mission).
BC: Stichwort Fake-News und künstliche Intelligenz: Die Ergebnisse einer KI sind davon abhängig, mit welchen Daten sie „gefüttert“ und welche Algorithmen hinterlegt sind. Da kommt dann wieder der menschliche Faktor ins Spiel. Denken Sie, dass zum Administrieren künstlicher Intelligenz besondere ethische Qualifikationen notwendig sind und wie könnten diese gesteuert werden?
Forgó: Wir verstehen noch schlecht, was AI ist, was sie kann und wohin sie sich entwickelt. Es ist die genuine Aufgabe von Universitäten, in diesen Zuständen des Nicht- oder Wenig-Wissens Denkräume zu ermöglichen. Das verlangt Inter- und Transdisziplinarität, Grundlagenforschung und Ruhe.
BC: Wo werden Ihres Erachtens nach immer menschliche Intelligenz und menschliche Empathie notwendig sein, was sollte man Legal Bots bzw. einer KI auf keinen Fall anvertrauen?
Forgó: Das weiß ich (noch) nicht. Ich glaube aber, dass es oft vorschnell ist, schon jetzt bestimmte Bereiche als KI-frei zu framen. Wir müssen genau(er) verstehen, wen wir wovor schützen wollen. Ein zentrales Orientierungskriterium, das allerdings schon jetzt feststeht und unantastbar ist, ist die menschliche Würde. Die wäre, beispielsweise, in einem KI-gesteuerten Überwachungsstaat, der in Echtzeit Emotionen registriert und verfolgt, verletzt. Wir müssen uns sehr davor hüten, in einer Gesellschaft aufzuwachen, in der niemand mehr weiß, was der/die andere über das intime, eigene Ich weiß. Eine solche Welt wäre mit unserer Würde nicht vereinbar und eine Gesellschaft, die so organisiert wäre, wäre mit der Demokratie nicht vereinbar.
BC: Welche Fähigkeiten werden für die Juristen von morgen viel wichtiger werden als heute?
Forgó: Die Fähigkeiten, sich auf Neues einzustellen, neugierig zu bleiben, interdisziplinär zu arbeiten, gesellschaftliche Relevanz erhalten zu wollen, selbstkritisch und methodenkritisch zu sein.
Ich lerne ständig staunend von den Jungen
BC: Für Sie als Hochschullehrer: Gibt es genügend Nachwuchstalente in den Hörsälen und werden diese auch richtig im Hinblick auf kommende Herausforderungen gefördert?
Forgó: Es gibt mehr als genug Talent. ich lerne ständig staunend von den Jungen. Es ist allerdings zunehmend schwierig(er) geworden, die wirklich Guten auch von einer Karriereperspektive an den Unis zu überzeugen. Junge High Potentials haben wirklich viele Möglichkeiten. Es ist eine großartige Zeit, um junge Juristin oder Jurist zu sein.
BC: Daran anschließend: Was würden Sie als erstes angehen, wenn Sie plötzlich Bildungsminister wären?
Forgó: In die Verlegenheit werde ich nicht kommen. Käme ich in sie, würde ich zunächst versuchen, mir ein möglichst zutreffendes Bild von der Ist-Situation zu machen, das, vermute ich, wesentlich weniger rosig aussehen würde, als das, was wir in Pressemeldungen usw. ständig lesen. Ich würde also, zB, wissen wollen, wie gut in Österreich KPIs tatsächlich erreicht werden, absolut und im Wettbewerb zu anderen - und zwar in möglichst vielen Bereichen - von der Lesekompetenz bis zum Digitalisierungsgrad. Dann würde ich versuchen herauszubekommen, woran das liegt und was sich davon mit den (beschränkten) Mitteln eines Ministers überhaupt beeinflussen lässt Minister haben ja in Wirklichkeit auf der einen Seite nur sehr beschränkt wirksame Instrumente in der Hand, müssen aber auf der anderen Seite ständig so tun, als rissen sie - und nur sie - die Welt aus den Angeln. Mit dieser Schere im Kopf würde ich sehr rasch Schluss machen - und das wäre dann wohl auch mein letzter Tag als Bildungsminister.
BC: Was wäre für Sie das wichtigste Learning, das das Publikum aus der Schluss-Diskussion mitnehmen soll? Welcher Impuls hinsichtlich KI sollte von der RuSt 2023 ausgehen?
Forgó: Da zitiere ich Hansi Lang: "Keine Angst".
BC: Abschließend: Wir gehen nun schon seit Ihrem ersten Vortag auf der PriSec 2017 ein gutes Stück gemeinsamen Weges, was ist für Sie das Besondere bei Business Circle?
Forgó: Das ist ein großartiger, offener, facettenreicher Ort des Gesprächs und der Neugier, ein Raum, die großen Ideen zu suchen und die kleinen auszuprobieren, eine Mischung aus Bewährtem und Neuem, von der man lange zehren kann, mit einem Wort: ein nicht nur, aber auch, großes intellektuelles Vergnügen.
BC: Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Forgó, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns sehr, Sie wieder in Rust zu begrüßen!
Prof. Dr. Nikolaus Forgó ist Professor für Technologie- und Immaterialgüterrecht an der Universität Wien sowie Expertenmitglied des österreichischen Datenschutzrats. Davor war er von Professor für IT-Recht und Rechtsinformatik an der Leibniz Universität Hannover sowie der Datenschutzbeauftragte und CIO dieser Universität. Auf der RuSt 23 ist er am 13. Oktober Podiumsgast und Mitdiskutant der Closing Session zum Thema „KI – Gamechanger, Plagiat oder Bedrohung?“.