Business Circle: Sehr geehrte Frau DDr. Kohl, bei unserem letzten Interview im Juni 2022 haben wir schon über die agile Rechtsabteilung gesprochen, die sich durch eine hohe Kundenorientierung, Selbstorganisation des Teams und Innovationsfreude auszeichnet. Wie kann Künstliche Intelligenz – das Buzzword des letzten Jahres- helfen, diese Ziele zu erreichen?
Manuela Kohl: Nachdem wir schon ein weltweites Vertragsmanagement-Tool samt digitaler Signatur einsetzen und uns damit von sehr einfachen, aber unspannenden Aufgaben wie Vertragsablage und Einholung handschriftlicher Unterschriften befreit haben, setzen wir jetzt künstliche Intelligenz ein, um uns von weiteren wiederkehrenden Aufgaben zu entlasten und gleichzeitig damit Self Service durch unsere internen Kunden zu ermöglichen. Derzeit trainieren wir eine KI zur automatisierten Analyse von Verträgen wie NDAs, insbesondere aber auch umfangreicher Ausschreibungsunterlagen, um die manuelle, zeitaufwendige Analyse durch eine Software-Analyse zu ersetzen. Wenn wir mit den Ergebnissen und der Zuverlässigkeit der Software zufrieden sind, weiten wir den Einsatz aus und ermöglichen damit raschen Self Service durch die operativen Bereiche, anstatt dass diese eine gewisse Bearbeitungszeit durch die Rechtsabteilung einplanen müssen. Innovationsfreudig sind wir also nicht nur, um uns selbst zu entlasten, sondern um optimalen Kundenservice zu liefern, selbst wenn der durch von uns trainierte KI erfolgt.
BC: Daran anschließend: Welchen Einfluss hat die zunehmende Verwendung von KI-basierter juristischer Software auf das Verhältnis einer Rechtsabteilung zur Anwaltskanzlei, mit der man vornehmlich zusammenarbeitet?
Kohl: Wer kennt es nicht? Um die Anfrage einer Rechtsabteilung zu beantworten, wird auf dem Weg zur Beantwortung der Frage die gesetzliche Situation erläutert und die Judikatur zusammengefasst, da können schon einige Seiten zusammenkommen, die teuer verrechnet werden. Da mittlerweile auch schon auf dem österreichischen Rechtsmarkt von etablierten Anbietern Lösungen angeboten werden, wo künstliche Intelligenz Entscheidungen zusammenfasst und Kernaussagen hervorhebt, erwarte ich mir, dass diese Möglichkeiten kostensenkend auch von Anwälten genutzt werden und nicht mehrere Stunden Rechercheaufwand verrechnet werden. Wir überlegen auch selbst den Einsatz solcher Tools, womit sich die Notwendigkeit des Einsatzes von Anwälten noch weiter verengt, da wir schon bisher nur komplexe Themen und Gerichtsverfahren an Anwälte geben. Ich setze also auf Kosteneinsparung durch KI, weil wir einerseits mehr inhouse recherchieren könnten und andererseits die Anwälte weniger (Zeit-)Ressourcen einsetzen müssen.
BC: Was wären die ersten Schritte für eine Rechtsabteilung, die selbst innovativer und agiler werden möchte, gibt es so etwas wie quick-wins und low hanging fruits?
Kohl: Für die Arbeit innerhalb der Rechtsabteilung kann ich ein gemeinsames Postfach oder – mit höheren Kosten verbunden, ein Ticketsystem – zur selbstorganisierten Bearbeitung der eingehenden Anfragen sowie eine Kollaborationssoftware empfehlen, in der beispielsweise Projektmanagement, aber auch Knowledge-Management durchgeführt werden. Wir haben unsere wichtigen Informationen und Anleitungen für alle in der Rechtsabteilung zugänglich in einer Kollaborationssoftware abgebildet. Solche Tools fördern die Selbstorganisation und Agilität und sind tatsächlich quick-wins ohne großen Investitions- und Implementierungsaufwand. Eine größere Investition, aber jedenfalls ein guter erster Schritt ist ein Vertragsmanagement mit digitaler Signatur, wo es Angebote „von der Stange“ gibt.
Die Rechtsabteilung vom TÜV AUSTRIA pflegt außerdem einen regelmäßigen Austausch mit anderen Rechtsabteilungen, wo wir uns Anregungen aus deren Best Practices holen.
BC: Wie gestalten Sie im Innovationsprozess das Schnittstellenmanagement zu anderen Abteilungen wie Prozess- und Projektmanagement?
Kohl: Bei unseren größeren Innovationen in den letzten Jahren haben wir neben unserem Prozessmanager auch alle Stakeholder an einen (virtuellen) Tisch geholt. Regelmäßige Meetings mit den Beteiligten, die Abfrage ihrer Bedürfnisse, frühzeitige Einbindung in Tests, aber auch regelmäßige Zwischenberichte an den Prozessmanager haben den Innovationsprozess effektiv gestaltet.
Hilfreich war dabei, dass unsere Projekte dem allgemeinen Digitalisierungsziel des Konzerns zugeordnet waren und so alle ein gemeinsames Ziel hatten und unsere Innovationsprojekte nicht nur einen Mehrwert für uns als Rechtsabteilung hatten, sondern auch für andere Abteilungen.
Wir nutzen gemeinsam ein Kollaborationstool, in dem geplante Innovationen und Änderungswünsche angemeldet werden können und beispielsweise auch Stakeholder wie der Datenschutzbeauftragte oder der CISO von Anfang an eingebunden werden können.
Legal Tech: Wir suchen quasi „MacGyvers“
BC: Was macht ein agiles Team aus und worauf ist da beim Recruiting besonders zu achten?
Kohl: Ein agiles Team zeichnet sich durch Flexibilität, Offenheit für Veränderungen und eine hohe Kundenorientierung aus. In meinem Team sind alle angehalten, Potential für Verbesserungen und kreative Lösungen, auch für unsere internen Kunden, zu finden. Deshalb suchen wir auch nach Kandidaten, die gerne selbständig arbeiten, Eigeninitiative zeigen und Lösungen statt Probleme sehen. Wir fragen jedenfalls nach der Affinität zu digitalen Tools und ob die Kandidaten Beispiele aus ihrer beruflichen Vergangenheit erzählen können, in denen sie das Mindset unter Beweis gestellt haben. In der zweiten Runde mit Bewerbern gibt es ein Gruppeninterview und das Team ist eingebunden, um das potentielle neue Teammitglied mit auszuwählen. In der Beschreibung der Aufgaben und des Arbeitsumfeldes betonen meine Mitarbeiter, dass sich jeder die Arbeit selbst einteilen kann, Verbesserungsvorschläge gefragt sind und kreative Lösungen willkommen sind. Wir suchen quasi „MacGyvers“, wobei die Fernsehserie jüngeren Kandidaten vermutlich nicht mehr bekannt ist ;-)
BC: Wenn man sich in zwei Jahren noch an Ihre Keynote erinnert, was wäre das wichtigste Learning, das Ihr Publikum aus Ihrem Impuls mitnehmen soll?
Kohl: Dass man sich die Zeit für Innovation tatsächlich nehmen und sich ggfs Unterstützung von Kollegen aus Prozess-, Projekt- oder Innovationsmanagement holen sollte. Auch wir hatten Zeiten, in denen uns das daily business voll in Anspruch genommen hat, aber die digitalen Innovationen haben uns in den letzten Jahren freigespielt.
BC: Abschließend etwas Persönliches: Wir gehen jetzt schon seit einiger Zeit ein Stück gemeinsamen Weges, was ist für Sie das Besondere an Business Circle Konferenzen?
Kohl: Ich schätze nicht nur die vielfältigen fachlichen Inputs, die ich mir aus den Konferenzen der letzten Jahre mitgenommen habe, sondern auch die Settings, wo ich Bad Hofgastein und die Location „The Social Hub“ in Wien besonders hervorheben möchte. Die Konzeption der Konferenzen in solchen Settings ermöglicht wertvolles Netzwerken und ich pflege viele Kontakte von Business Circle Konferenzen noch heute.
BC: Liebe Frau DDr. Kohl, wir danken Ihnen für dieses Interview und freuen uns, Sie wieder zur Vienna Legal Innovation zu begrüßen!
DDr. Manuela Kohl ist promovierte Soziologin und Juristin. Sie leitet die Stabstelle Legal & Compliance in der TÜV AUSTRIA Group. In ihrer Funktion verantwortet sie die Digitalisierung von Prozessen in der Rechtsabteilung. Sie ist u.a. Mitglied in der Vereinigung österreichischer Unternehmensjuristen, beim Compliance Officer Verbund und bei den Privacy Officers. Die Rechtsabteilung des TÜV AUSTRIA wurde 2023 bei The Legal 500 GC Powerlist: Austria gelistet und im selben Jahr für ihre Legal Tech Innovationen ausgezeichnet. Am 16. April 2024 hält sie bei der Vienna Legal Innovation die Key Note mit dem Thema “Entwicklung des Legal Innovations Denkens beim TÜV Austria“.