Verschachteltes Regelungsgeflecht
Seit etwas mehr als einem Jahr, genau seit dem 3. Jänner 2018, ist das Börsegesetz 2018 in Kraft. Inzwischen hat sich die Praxis an das komplexe Zusammenspiel von EU-Verordnungen und ausführenden Regelungen auf EU-Ebene und den gesetzlichen Regelungen und ihren Interpretationen durch die FMA in ihrem Rundschreiben gewöhnt. „Gewöhnt“ ist allerdings eine beschönigende Beschreibung, ist doch der Umgang mit dem sehr dichten und ineinander verschachtelten Regelungsgeflecht wirklich aufwendig und schwierig. Jedes Mal ist eine intensive Vorbereitung und Beratung erforderlich, um in rechtskonformer Weise unternehmerische Entscheidungen vorzubereiten und durchzuführen, etwa eine Akquisition zu tätigen, eine Finanzierung aufzustellen, eine Kooperation einzuleiten oder zu beenden oder auch einen Personalwechsel vorzunehmen.
Kommt europäische Kapitalmarktaufsicht?
Auf der Grundlage der neuen Rechtslage kann man die Vorzüge, aber auch die Defizite und Nachteile für die einzelnen Beteiligten – nämlich die betroffenen Marktteilnehmer, die begleitenden Dienstleister einerseits, die Aufsichtsbehörden andererseits – analysieren und einer ersten Evaluierung unterziehen. Dies gibt auch die Chance, bei unklaren Gesetzesbegriffen, bei Generalklauseln und bei klar eingeräumten Ermessenspielräumen im Interesse der einzelnen Beteiligten und im Sinne der bestmöglichen Bedürfnisverfolgung Regelungen anzuwenden, ohne sofort nach dem Gesetzgeber auf europäischer oder nationaler Ebene zu rufen. Ob die medial laut angekündigte Neuformierung der Kapitalmarktaufsicht auf europäischer Ebene noch vor der Europawahl passiert? Spannend ist außerdem die Frage, wie sich die Aufsicht auf nationaler Ebene ausrichtet.
Änderungen bei Aktionärsrichtlinie
Eine ganz wesentliche Neuerung für börsenotierte Gesellschaften und damit Aktienemittenten liegt in der wöchentlich, ja geradezu täglich erwarteten Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie. Bedeutend sind hier einerseits die Regelungen über den Aufsichtsrat und die Vergütung des Aufsichtsrats, sowie andererseits die Geschäfte mit verbundenen Unternehmen. Was für die Emittenten aber unmittelbar und daher von noch größerer Bedeutung ist, sind die Fragen zur Aktionärsidentifizierung und –mitteilung: So muss sich künftig jeder Aktionär, der 0,5 % (und nicht 3 %!!) der Aktien der Gesellschaft hält, der Gesellschaft mitteilen. Das stellt die Gesellschaften vor neue Herausforderungen.
Wie dürfen diese Daten verwendet werden? Werden sie die Daten insbesondere auch für neue Investor-Relation-Maßnahmen – naturgemäß unter Einhaltung der DSGVO – benutzen und sinnvoll einsetzen?
Vorstandsmitglieder börsenotierter Unternehmen mit starkem Aktionariat im anglosächsischen Bereich versprechen sich von diesen Instrumenten neue Gestaltungsmöglichkeiten in der Kommunikation, im Meinungsaustausch und Dialog mit den Aktionären. Zugleich erwarten sie einen deutlich höheren Druck der unmittelbaren Forderungen der Aktionäre an Vorstand und Aufsichtsrat der Gesellschaft. Auch im Terrain des Verwaltungsstrafrechts begegnen Marktteilnehmer neuen Unsicherheiten; noch ist nicht höchstgerichtlich geklärt, ob die Bestrafung juristischer Personen – ein im Vergleich zum Justizstrafrecht vergleichsweise junges Sanktionsinstrument – ohne gleichzeitige verwaltungsstrafrechtliche Verfolgung der Geschäftsleiter zulässig ist und daher konzeptionell überdacht werden muss.
Auf dem Kapitalmarkttag 2019 wurden daher sowohl die ersten Erfahrungen der letzten zwölf Monate diskutiert. Zugleich standen aber auch die Aussichten, die die neue Gesetzeslage, aber auch die neue Marktlage und das Verhalten der großen Akteure und Investoren eröffnen, im Fokus.