BC: Wie sieht es mit der Digitalisierung aus? Werden Unternehmensjuristen bald überflüssig sein oder werden sie einfach viel interessantere Jobs haben?
Steinbrecher: An der Digitalisierung im Rechtsbereich scheiden sich die Geister. Pessimisten prognostizieren das Ende der Juristen. Optimisten erwarten, dass Juristen mit Hilfe der Digitalisierung und dem Einsatz von Technologie eine zeitliche Entlastung in ihrer täglichen Arbeit erleben werden: weniger Zeit für repetitive, administrative juristische Arbeit und dadurch mehr Zeit für wesentliche und anspruchsvolle juristische Arbeit. Meine Sichtweise: ein Drittel der Arbeit von Unternehmensjuristen wird wegfallen, weil Nicht-Juristen in Unternehmen mit Hilfe von Legal Tech selbständig juristisch-relevante Aufgaben erledigen können („self-service“). Ein weiteres Drittel der Arbeit von Unternehmensjuristen wird mit Hilfe von Legal Tech vereinfacht und beschleunigt. Mensch und Maschine ergänzen sich bei diesen juristischen Aufgaben. Und ein Drittel der Aufgaben von Unternehmensjuristen werden völlig unberührt von der Digitalisierung und Legal Tech bleiben. Dazu zählt beispielsweise die juristische Beratung bei unternehmensstrategischen Entscheidungsfindungsprozessen.
alle neuerungen auf einen blick?
BC: An die obere Frage anschließend: wird es in Zukunft weniger Bedarf für Assistenzarbeit in der Rechtsabteilung geben?
Steinbrecher: Ja. In den letzten Jahren zeigt sich dieser Trend in Rechtsabteilungen und Kanzleien deutlich. Administrative Arbeit können Softwareanwendungen heute schon in beachtlichem Maße übernehmen. Mehr und mehr Paralegals werden in Rechtsabteilungen und Kanzleien arbeiten. Sie übernehmen Schnittstellen- und Koordinierungsarbeiten sowie inhaltlich-juristische Arbeiten und können die In-House-Anwälte sehr gut entlasten.
BC: Wird sich in Zukunft hinsichtlich der Zusammenarbeit mit externen Beratern/Anwälten etwas ändern?
Steinbrecher: Ja, auch wenn ich beobachte, dass Kanzleien mehr über Legal Tech sprechen als etwas damit zu tun. Ich habe dazu eine klare Haltung: wenn Unternehmensjuristen mit Hilfe von Legal Tech und Paralegals mehr Zeit für wesentliche Aufgaben haben, dann werden sie mehr selber machen. Externe Anwälte werden dann weniger mandatiert. Das Gegenargument, Unternehmen müssten allein aus Haftungsgründen weiter wesentliche juristische Fragen von externen Anwälten beantworten lassen, überzeugt mich nicht und deckt sich auch nicht mit meiner praktischen Erfahrung. Wenn die Geschäftsleitung ihrer eigenen Rechtsabteilung vertraut, weil sie juristisch kompetent ist und unternehmerisch denkt, dann wird sie auch aus wirtschaftlichen Gründen sorgfältig überlegen, ob die konkrete Aufgabe besser in-house oder extern erledigt wird.
BC: Wann hat in Ihrer Rechtsabteilung die Zukunft begonnen – seit wann ist Digitalisierung für Sie ein Thema?
Steinbrecher: Wir beschäftigen uns erst seit 2018 ernsthaft mit dieser Frage. Das ist im Vergleich zu anderen Unternehmen sehr spät. Aber wir haben uns im Roundtable Innovation und Legal Tech mit anderen Unternehmen aus Deutschland und der Schweiz zusammengetan, um miteinander und voneinander schnell zu lernen. Dank der Unterstützung des General Counsel von Bombardier Transportation beschäftigt sich ein internationales und interdisziplinäres Team damit, wie wir mit Hilfe von Innovation, Kreativität und Legal Tech zukünftig einfacher, schneller und besser für unser Unternehmen arbeiten können. Wir tauschen uns zudem mit Kanzleien, Start-Ups und Unternehmensberatungen aus. Es gilt der bekannte Grundsatz: Teams work.
BC: Höre nie auf, anzufangen: Was wären die ersten Schritte, die eine Rechtsabteilung in Richtung technologieunterstützer Weiterentwicklung gehen sollte?
Steinbrecher: Der erste Schritt sollte sein, nicht zu früh in diese oder jene Software- oder Legal-Tech-Anwendung zu investieren. Die Rechtsabteilung sollte drei Fragen nacheinander angehen: Warum beschäftigen wir uns als Rechtsabteilung mit Digitalisierung und Legal Tech? Es geht darum zu klären, welchen Mehrwert es für die Rechtsabteilung und das Unternehmen bringen wird, Zeit und Energie in dieses Thema zu investieren. Was will die Rechtsabteilung und das Unternehmen mit Digitalisierung und Legal Tech konkret erreichen? Wenn die Rechtsabteilung nicht weiß, was sie will, dann wird sie ziellos an dem Thema „rumdoktern“. Wie will die Rechtsabteilung die gesteckten Digitalisierungsziele erreichen? Es klingt abgedroschen: ohne Plan bleibt man planlos. Und wenn die Rechtsabteilung nicht bereit ist, Zeit und Energie in die Abarbeitung des Digitalisierungsplan zu stecken, dann wird sich nichts an der Arbeitsweise der Rechtsabteilung ändern.
BC: Welche Knackpunkte gibt es bei einer erfolgreichen Implementierung, welche Klippen sind zu umschiffen?
Steinbrecher: Nach meiner Erfahrung und Marktbeobachtung ist die größte Klippe der Business Case. Anders ausgedrückt: Wie überzeugt der General Counsel die Geschäftsleitung, Zeit und Geld für die Entwicklung und Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie der Rechtsabteilung bereitzustellen. Ich habe dazu eine provokative Herangehensweise entwickelt.
BC: Was sind typische Anfängerfehler und Kinderkrankheiten?
Steinbrecher: Ohne die Beantwortung der Fragen: „Warum? Was? Wie?“ blind in die erstbeste Legal-Tech-Anwendung zu investieren nur weil angeblich alle anderen Rechtsabteilungen das auch machen. Und der zweite Fehler ist nach meiner Meinung zu glauben, dass eine Rechtsabteilung einfach mal so nebenbei einen Digitalisierungsplan aufstellt und erfolgreich umsetzt.
RA Dr. Alexander Steinbrecher, LL.M. (Tulane), ist Head of Group Corporate, M&A and Legal Affairs bei Bombardier Transportation in Berlin. Er beschäftigt sich mit der technologieunterstützen Weiterentwicklung von Rechtsabteilungen. Am 27. März 2020 wird er die Abschluß-Keynote des Unternehmensjuristen-Circle halten.