Was passiert, wenn wir wirklich rund um die Uhr erreichbar sind? Wann sind wir süchtig und was können wir dagegen tun? Als Querdenker beim Unternehmensjuristen Circle am 6. und 7. Juni 2019 wurde der Autor und Neurobiologe Dr. Bernd Hufnagl gewonnen, der uns die Antworten in einem PodCast gibt. Wir haben für Sie hier die wichtigsten Aussagen zusammengefasst.
Abschalten ist schwer
Bei mehr als 70 Prozent der Bevölkerung, die ein Smartphone besitzen, ist das Erste und das Letzte, was sie jeden Tag machen, der Blick auf das Gerät. Schuld daran sind die archaischen Triebe Neugierde und Angst: Ich habe Angst, etwas Wichtiges zu versäumen. Mit dem Phänomen „FOMO“ (Fear Of Missing Out) ist man knapp davor, ein neues Krankheitsbild zu definieren. Das subjektive Gefühl, 'nicht dazu zu gehören' fühlt sich nicht gut an.
Triebe befriedigen
Wenn wir auf unser Smartphone schauen, machen wir nichts anderes, als unsere Triebe zu befriedigen. Unser Hirn folgt nach wie vor einer Logik, die wir früher zum Überleben gebraucht haben. Wir müssen nachschauen, wenn wir ein Geräusch hören, es könnte ein gefährliches Tier sein.
Suchtgefahr Smartphone
Studien haben gezeigt, dass bei Managern und Drogensüchtigen dieselben Hirnareale aktiviert werden, wenn man den einen ihr Smartphone, den anderen eine Injektionsspritze zeigt. Klar ist aber auch: Nicht jeder, der Smartphones intensiv nutzt, ist auch süchtig. Aber das Potenzial ist da, leider.
Der Arbeit Lohn: Dopamin
Menschen möchten für ihre Anstrengungen belohnt werden. Das Belohungs-Hormon Dopamin erledigt diese Aufgabe im menschlichen Körper. Das funktioniert aber nur, wenn die Belohnung zeitnah, als direkte Auswirkung auf die Anstrengung, erfolgt. Sonst ist die Arbeit für uns nicht (be)lohnenswert. Multitasking und moderne Arbeitsprozesse machen es für unser Belohnungssystem schwierig zu erkennen, wofür man belohnt werden soll. Ist nicht klar ersichtlich, wofür man sich anstrengt, dann bleibt die Belohnung aus. Das Gehirn fällt die Entscheidung: Es macht keinen Sinn, sich dafür noch einmal anzustrengen.
Mehr Likes, mehr Oxytocin
Um Dopamin zu produzieren, reicht es nicht, ein Posting auf Facebook abzusetzen und auf Likes zu warten. Für Dopamin braucht es eine echte Leistung. Social Media hat aber Einfluss auf das soziale Empfinden. Man kann sich ausgeschlossen oder geliebt fühlen, je nachdem wird auch unser Liebes- und Beziehungshormon Oxytocin beeinflusst.
Multitasking: Digital Natives ticken anders
Es gibt keinen wissenschaftlich belegten Beweis, dass Frauen besser als Männer mit Multitasking klarkommen. Die Parallelität unserer modernen Arbeitswelt stresst beide Geschlechter. Aktuelle Untersuchungen zeigen allerdings, dass sich Kinder und Jugendliche nicht mehr so stressen lassen. Die Vermutung liegt nahe, dass sie besser damit umgehen können, weil sie damit aufgewachsen sind.
Konzentration leidet
Unsere Gespräche ändern sich allein dadurch, dass ein Smartphone im Raum ist. Wissenschafter sprechen von dem sogenannte iPhone-Effekt: Menschen haben weniger empathische Besprechungen, wenn ein iPhone dabei ist. Den Leuten fällt es zunehmen schwerer, zuzuhören. Aufmerksamkeitsstörungen nehmen nicht nur bei Kindern zu, auch Erwachsenen sind unfähig, für längere Zeit eine Sache konzentriert zu verfolgen – ein Buch bis zum Ende zu lesen, einen Film ohne Unterbrechung zu schauen, einem Gesprächspartner wirklich zuzuhören.
Permanente Erreichbarkeit erschöpft
Es gibt Patienten, die nicht mehr abschalten können, Menschen, die glauben, immer erreichbar sein zu müssen. Das macht etwas mit ihnen. E-Mails um 23 Uhr, die von der Chefin geschickt werden, werden anders gelesen, als die von einem Kollegen. Wer um Mitternacht ein Problem für seinen Chef löst, wird vermutlich dafür anders belohnt, als wenn er es in seiner üblichen Arbeitszeit am Vormittag macht. Hier kommt wieder das Dopamin, das wir so sehr brauchen, ins Spiel. Wir brauchen sozial verträgliche Spielregeln.
Digital Detox: Gegentrend ist da
Immer mehr Menschen entscheiden, dass sie bei 24/7 nicht mehr mitmachen wollen. Notifications abschalten und für bestimmte Zeiten nicht erreichbar zu sein, macht Sinn und gibt dem Gehirn die Möglichkeit zum Ausruhen. Je öfter man es probiert hat, desto einfacher wird es wieder, mal die Finger vom Smartphone zu lassen. Viele trauen sich anfangs nicht, aber das Gute ist: Es passiert nichts!
Leistungskultur versus Erfolgskultur
Wir sind für eine Leistungskultur gemacht, nicht für eine Erfolgskultur. Wir sind aber ständig unter Erfolgsdruck und die Menschen übersehen, was ihre eigene Leistung ist. Kinder, die mit einer guten Schularbeit nach Hause kommen, werden sofort darauf hingewiesen, dass sie es beim nächsten Mal doch sehr gut machen könnten. Besser wäre es, eine Leistung zu honorieren und nicht sofort auf die nächste Sache hinzuweisen. Auch im Berufsleben: Ein kurzes Lob, das aber gleich von der nächsten Forderung wieder konterkariert wird, ist kontraproduktiv.
Wir müssen (wieder) Tagträumen
Wenn wir vor 200.000 Jahren permanent gestört worden wären, hätten wir uns einen anderen Ort zum Leben ausgesucht. Wir müssen uns also wieder ein Offline-Leben gönnen, wo wir die Muße finden zu sinnieren, wo wir nicht ständig mit Problem-Lösen konfrontiert sind, wo es nicht um zielgerichtetes Denken geht.
Hier der gesamte Text als Podcast auf soundcloud.
Dr. Bernd Hufnagl ist Neurobiologe und Autor. Er hat 15 Jahre Erfahrung in der Beratung, Implementierung, Organisation und Evaluierung professionellen betrieblichen Gesundheitsmanagements in national- und international tätigen Organisationen. Am 6. Juni 2019 spricht er als "Querdenker" am Unternehmensjuristen-Circle in Stegersbach.