„Know your Shareholders“: Möglichkeit verpasst
Seit 2018 ist ja die sogenannte „EU-Aktionärsrechte-Richtlinie II“ in Kraft. Diese ruht auf vier Säulen: Identifizierung von Aktionären, Übertragung/Kommunikation von Informationen zwischen Emittent und Aktionär, Erleichterung der Ausübung der Aktionärsrechte, sowie Transparenz von institutionellen Investoren, Asset Managern und Stimmrechtsberater (Proxy Advisors). Aber erst seit September 2020 ist nun die dazugehörige Durchführungsverordnung in Kraft, die die Deadline für die Umsetzung der Säulen ein bis drei ist. Damit geht es nun um die Direktkommunikation zwischen Depotkunde und Aktiengesellschaft. Die muss „grenzüberschreitend und maschinenlesbar“ (ISO 20022) sein, betont Christoph Diregger, Rechtsanwalt und Spezialist für Kapitalmarktrecht. Aber: „Viele Emittenten haben nicht die Möglichkeit, das elektronisch lesbare Format zur Erfüllung der Durchführungsverordnung selbst zu gestalten und brauchen einen Information Provider als Partner.“ Das konstatiert Andreas Posacac, Executive Director & Global Head of ESG, Governance and M&A Advisory des internationalen Datenanalysedienstleisters IHS Markit. Die HV-Einladungen funktionieren in Österreich schon sehr gut, die Oesterreichische Kontrollbank mache da einen „guten Job“, lobte er bei der Business-Circle-Fachkonferenz „AG-Hauptversammlung - Update und Spezialfragen“. Was aber noch nicht ganz behoben sei: Es fehle noch an Standardisierung und Vergleichbarkeit.
Wozu?
Warum die Shareholder-Identifikation so wichtig ist? Es gehe um „Market Best Practice“ betonen die beiden Experten. Denn das Ziel der Aktionärsrechte-Richtlinie II sei ja die Harmonisierung und Vereinheitlichung der Aktionärsmitwirkung, um die nachhaltige und aktive Beteiligung der Aktionäre und eine Verbesserung der Corporate Covernance von Emittenten an regulierten Märkten in der EU zu verbessern, indem die Aktionäre in die Lage versetzt werden, ihre Stimm- und Informationsrechte grenzüberschreitend auszuüben. „Know your shareholders“ heißt also: Die meisten Emittenten haben einen Überblick über die Zusammensetzung ihres Aktionariats, insbesondere ihres Free Float. Der Überblick über das Aktionariat hilft Hauptversammlungen, Roadshows und M&A-Transaktionen vorzubereiten, den Zugang zu frischem Kapital zu sichern, die Zusammensetzung des Aktionariats steuern zu können, sowie Governance- Risiken rechtzeitig zu erkennen.
Hohe Schwellen
Nationale Unterschiede gibt es bei der sogenannten „Meldegrenze“: Jedes EU-Mitgliedsland kann eine Beteiligungsschwelle festlegen, ab der die Richtlinienvorgaben zu erfüllen sind: von einer einzigen Aktie bis zum Maximum von 0,5 % des von der AG ausgegebenen Kapitals. „Österreich hat hier eine Möglichkeit verpasst und hat den Schwellenwert hoch auf 0,5 % des ausgegebenen Kapitals bzw. der Stimmrechte festgesetzt“, kritisiert Posavac. Denn über der 0,5-%-Schwelle seien ohnehin die (institutionellen) Investoren, die die AG „eh kennt“. „Die spannenden“ Aktionäre würden darunter liegen. So habe Österreich „eine Riesenchance vertan“. Denn man ist nicht - wie in anderen Ländern sehr wohl gemacht - bis z.B. zu einer einzigen Aktie als Schwelle hinunter gegangen um „Kenne-jeden-Shareholder“ zu erreichen. Und was noch kein Emittent nützt, sei, Abstimmungsergebnisse namentlich auszuwerten. Das würde allfällige Auszählungsfehler erkennen, ergänzt Diregger. Austriacum Momentan ist die Durchführungsverordnung etwas ausgebremst. Bei Covid19-bedingten virtuellen Austro-HVs läuft die Kommunikation derzeit primär über Stimmrechtsvertreter, sodass der Emittent nicht involviert ist. Direkte Stimmrechtsausübung durch Fernteilnahme ist derzeit de facto „totes Recht“, sodass auch keine Bestätigungen ausgestellt werden. Und HV-Anmeldungen werden über Zusendung von Depotbestätigungen vollzogen, sodass eine - gemäß Durchführungsverordnung - gesonderte Anmeldung des Aktionärs zur HV nicht erforderlich ist.
Zur Rechtsmeinung des BMJ: Lieber vorsichtig bleiben
Darauf verlassen ist riskant. Gemeint ist die Rechtsmeinung des Justizministeriums (BMJ) zum Umgang mit „ausufernden Ausführungen und Fragen von Aktionären“ bei virtuellen Hauptversammlungen. Der jüngste Ministeriumserlass dazu ziemlich harsch: Auskunftsrecht soweit zur sachgemäßen Beurteilung eines Tagesordnungspunkts erforderlich - ja; aber kein generell uneingeschränktes Auskunftsrecht und kein Recht, „allzu viele und zu detaillierte Fragen“ zu stellen. Nach dem Aktienrecht könne der Vorsitzende „Ordnungsmaßnahmen“ ergreifen, um „ausufernde“ Ausführungen und Fragen von Aktionären abzustellen. Und im Fall einer virtuellen Hauptversammlung habe die Gesellschaft noch weitergehende Möglichkeiten, weil - für die Abgabe von Wortmeldungen während der Hauptversammlung „angemessene zeitliche Beschränkungen“ festgelegt werden können. Die - schriftlichen - Ausführungen des Aktionärs dürften einen bestimmten Umfang „im Regelfall nicht überschreiten“. Wenn doch, kann eine Kürzung erfolgen: wenn möglich vom Aktionär selbst, oder sonst durch die Person, die die Wortmeldung vorzutragen hat. Soweit der Erlass des Ministeriums. Aber ist es so einfach, die Generaldebatte bei einer virtuellem Hauptversammlung zeitlich so zu limitieren? Der Erlass ist nur eine Rechtsmeinung, aber nicht Gesetz. Also sind Praktiker da vorsichtig. Rupert Brix, bekannter - weil seit vielen Jahren routinierter - Notar bei zahlenreichen HVs mit viel Aktionärspublikum, hält ein Festlegen eines Zeitlimits für die Generaldebatte schon vorab für nicht angemessen. Besser sei, erst im Verlauf der Wortmeldungssession, wenn der Vorsitz die Entwicklung abschätzen kann, eine zeitliche Frist zu avisieren. Damit sich die Aktionäre darauf einstellen können. Schließlich haben sie das Recht auf Verlesung ihre Wortmeldung. Außerdem ist der Begriff „im Regelfall“ im Ministeriumserlass schwammig. Daher riet Routinier Brix dazu, mit Kürzungen von Aktionärswortmeldungen vorsichtig umzugehen. Sonst bestehe Anfechtungsrisiko. Auch der ebenso HV-erfahrene Friedrich Rödler, routinierter Aufsichtsratsvorsitzender der Erste Group, hält nichts von einer „zeitlichen Guillotine“, die zu „Widerspruch zu Protokoll“ führen könne. Fazit: Bei Hauptversammlungen ist Hausverstand gefragt.
Der Beitrag erschien zuerst im Börsen-Kurier
Am 25. März findet die Jahrestagung "Kapitalmarktrecht" statt