Business Circle: Herr Dr. Ginner, Sie leiten das Center of Excellence “Intelligent Automation”. Herr Mag. Schatz, Sie sind Experte in Prozessoptimierung und Digitalisierung bei KPMG. Können Sie uns kurz skizzieren, wie Ihr jeweiliger Weg dorthin verlaufen ist, wie Sie zu dem gekommen sind, was Sie jetzt tun?
M.Ginner: Als ich vor 6 Jahren zu KPMG kam, war das initiale Thema der Aufbau von Robotic Process Automation (RPA) Kompetenzen. Relativ rasch hatten wir erste Pilotprojekte und konnten so den Teamaufbau vorantreiben. Spannenderweise stellten wir relativ rasch fest, dass RPA ein mächtiges Werkzeug aber bei Weitem nicht das Ende der Fahnenstange ist. Somit nutzten wir den RPA Hype um Kompetenzen rund um weitere Automatisierungstechnologien wie Workflows, LowCode, Machine Learning etc. aufzubauen. Seit ca 2 Jahren liegt der volle Fokus auf die End2End Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen mit Hilfe der Kombination unterschiedlichster Technologien.
K.Schatz: Prozessoptimierung und Digitalisierung sind zwei eng miteinander verbundene Themen, die in der heutigen Geschäftswelt immer wichtiger werden. Seit meinem Start in der KPMG vor über 18 Jahren beschäftige ich mich damit, mit Hilfe der IT Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen, und hier spielt die digitale Unterstützung der Business-Prozesse eine wesentliche Rolle. In den letzten Jahren verlagerte sich der Fokus verstärkt auf die intelligente Automatisierung und vor allem die digitale Transformation der Geschäftsmodelle, und hier sehen wir noch ein enormes Potential für unsere heimischen Unternehmen.
BC: Was wäre ein typischer Quick-win, der aus digitalisierten Prozessen entstehen kann? Und haben Sie vielleicht jetzt schon eine besondere Erfolgsgeschichte, die Sie mit uns teilen möchten?
Ginner / Schatz: Quick Wins sind enorm wichtig, um spürbare Erlebnisse für die Geschäftsführung als auch für die Mitarbeiter:innen zu schaffen. Dies sollte immer parallel zur strukturierten Vorgehensweise rund um End-2-End Prozessbetrachtung und die strukturelle/organisatorische Einbettung von Digitalisierungsmaßnahmen passieren. Quick Wins und erste rasche Umsetzungen od. Prototypen nutzen wir in den Projekten vor allem für internes Marketing um Digitalisierung bzw. Automatisierung spür- und angreifbar zu machen. Dies hilft enorm um die Ideengenerierung anzuregen.
BC: „Wer einen schlechten Prozess digitalisiert, bekommt als Ergebnis einen schlechten digitalen Prozess“: Welche Vorarbeiten sollten erledigt sein, bevor man das Projekt der Prozessdigitalisierung angeht?
Ginner / Schatz: Natürlich ist es der optimale Weg vor der Prozessdigitalisierung/-automatisierung zu klären, ob denn der Prozess überhaupt noch benötigt wird und somit eventuell ganz eliminiert werden kann od. den neuen Prozess von Grund weg neu und digital zu denken. Diese Herangehensweise ist vor allem aus Sicht der Employer und Customer Experience zu empfehlen.
Auf der anderen Seite hören wir das oft als Vorwand, um das Thema nicht angehen zu müssen. Nicht optimale Prozesse zu automatisieren kann auch Freiräume und verfügbare Ressourcen, mit denen man sich um die Optimierung der Prozesse kümmern kann.
BC: Mit welchen Kennzahlen messen Sie die Erfolge beim Überführen von Prozessen in eine digitale Welt?
Ginner / Schatz: Zum einen spielen die klassischen Messgrößen wie zb Beschleunigung der Durchlaufzeiten eine Rolle. Daneben gibt es aber noch weitere entscheidende Kennzahlen wie Wiederauffindbarkeit von Informationen und Transparenz/Nachvollziehbarkeit entlang des End2End Prozess. Dies dient vor allem der Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen, die tagtäglich mit den neuen digitalen Prozessen arbeiten. Eine zweite wesentliche Kategorie von Kennzahlen betrifft die Zufriedenheit der Endkunden des Unternehmens. Gerade wenn Digitalisierung verstanden wird als die digitale Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle sollte dieser Blickwinkel zentral sein.
BC: Inwiefern bewerten und beobachten Sie Nachhaltigkeits- und Umwelt-Kriterien? Und wie kann Digitalisierung zum Erreichen von ESG-Zielen beitragen?
Ginner / Schatz: Im Rahmen der Nachhaltigkeits-Berichterstattung nach der CSRD und der Taxonomie wird eine Vielzahl von quantitativen und qualitativen Kennzahlen und Angaben notwendig. In Österreich sind rund 2000 Unternehmen von diesen Berichtspflichten betroffen. Diese Nachhaltigkeits- und Umweltkriterien zu ermitteln und zu berichten ist für einen Großteil der betroffenen Unternehmen eine große Herausforderung, insbesondere für Unternehmen, die heute noch nicht oder nicht umfangreich zu Ihren Nachhaltigkeitsbestrebungen berichten nach einem der gängigen Markt-Standards. Für uns ist die regulatorisch getriebene Berichtspflicht natürlich ein Schwerpunkt in der Umsetzung und Bewertung mit unseren Kunden. Wir erkennen aber zunehmend den Bedarf bei Unternehmen, Fragestellungen der Kunden der Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit und Umwelt zu beantworten. So beispielsweise Informationen zum CO2 Fußabdruck oder den Rezyklat-Quoten der verkauften Produkte. Also Fragestellungen aus den Einkaufsabteilungen die nicht regulatorisch getrieben sind.
Die Digitalisierung des Nachhaltigkeitsreportings für die regulatorischen Berichtspflichten ist eine wichtiger Aspekt um manuelle Arbeiten und damit hohen Aufwand und Fehleranfälligkeit zu reduzieren. Für eine Erreichung von ESG-Zielen ist die automatisierte, und damit regelmäßige Messung vom Ist Zustand und der Abgleich zum Ziel bzw. Planzustand unerlässlich. Das Erreichen der gesteckten ESG Ziele erfordert Maßnahmen und ggfs. Investitionen – diese müssen geplant und gesteuert werden. Ein ESG Controlling analog zum Finanzkennzahlen-Controlling wird damit notwendig. Hier ist die Digitalisierung neben dem Aufbau entsprechender Governance Strukturen der Schlüssel zum Erfolg.
Auf der Automatisierungsreise ein paar Umwege sparen
BC: Daran anschließend: Papier sparen ist nachhaltig. Denken Sie, dass sich ein komplett papierloser Arbeitsstil durchsetzen wird oder wird es immer Bereiche mit Papier geben und welche könnten das sein?
Ginner / Schatz: In unseren Projekten spielt der Umstieg von einem reinen Papierprozess in die digitale Welt kaum mehr eine Rolle. Vielmehr ist der Ausgangspunkt ein mühsamer unzusammenhängender Prozess in unterschiedlichsten Systemen, den es von Grund weg neu digital zu denken gilt. Papier wird meistens nur mehr als Begleitmedium zum eigentlichen System und nur mehr ganz selten für die eigentliche Prozesstätigkeit verwendet
BC: Was wäre der wichtigste Impuls, den das Publikum aus Ihrem Workshop mitnehmen sollte?
Ginner / Schatz: Digitalisierung ist kein Zauberstück oder Hexenwerk sondern ein strukturiertes Vorgehen bei dem gewissen Herangehensweise zum Erfolg oder Nicht-Erfolg führen. Diese Dos und Dont´s werden wir entsprechend herausarbeiten, um dem Publikum auf der Prozessdigitalisierungs bzw. -automatisierungsreise ein paar Umwege zu ersparen.
BC: Abschließend: Wie stehen Sie im „War for Talents“ und welche Tipps haben Sie an junge Menschen, die sich für eine Karriere im Prozessmanagement interessieren?
Ginner / Schatz: Leider haben auch wir das Thema, nicht ausreichend Mitarbeiter:innen zu finden, die sofort beim Kunden einsatzbereit sind. Wir investieren daher mittlerweile sehr sehr viel in den Know-How Aufbau und das Training von motivierten Berufsein- oder -umsteigern, die dann perspektivisch die Kundenanforderungen erfüllen können
BC: Lieber Herr Dr. Ginner, lieber Herr Mag. Schatz, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns, Sie zum Form „Process MEETS Automation“ zu begrüßen!
Dr. Michael Ginner verantwortet in seiner Funktion als Director im Bereich IT-Advisory bei KPMG das Thema „Automatisierung” mit den thematischen Schwerpunkten wie zb Robotics Process Automation (RPA). Seine zentrale Aufgabe in Kundenprojekten ist die Potentialanalyse für Automatisierungsinitiativen, die Identifikation des richtigen Einsatzgebietes der Technologie und die Begleitung der Umsetzung mit dem KPMG Entwicklerteam.
Mag. Klaus Schatz, MSc ist Parnter und Experte in Prozessoptimierung und Digitalisierung bei KPMG. Als Leiter des Bereiches CIO Advisory und ERP Transformation verfügt er über langjährige Erfahrung in der Beratung von nationalen und internationalen Institutionen, die Informationstechnologie in einer Art und Weise einzusetzen, die zu einer Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit am Markt führt.
Michael Ginner und Klaus Schatz gestalten am 15. Mai im Rahmen des Forums „Process MEETS Automation“ eine Workshop zum Thema „Prozesse in eine digitale Welt überführen“