Braucht der Vertrieb im digitalen Zeitalter neue Vertriebsmitarbeiter? Gastautor Michael Paul hat darüber eine klare Meinung.
Ist die Digitalisierung eigentlich Job-Killer oder Job-Maschine? Die Frage ist wahrscheinlich so alt wie der erste Transistor, gewinnt aber angesichts zahlreicher Studien zunehmend an Bedeutung. Einerseits hoffen Unternehmen, dass viele qualifizierte, sachbearbeitende Tätigkeiten zunehmend automatisiert erledigt werden können. Das geht bis hin zur Produktionssteuerung, Buchhaltung oder gar Rechtsabteilung. Andererseits wird über neue Jobchancen in der Konzeption von Dienstleistungen, Programmierung etc. gesprochen. Aber was wird eigentlich aus dem Vertrieb? Elektronische Marktplätze und Modelle à la amazon sind längst nicht mehr nur im B2C-Bereich zu finden, sondern etablieren sich fest auch für B2B-Geschäfte.
Die Antwort ist einfach und kompliziert zugleich: Es wird über alle Branchen hinweg sogar eher mehr Menschen im Vertrieb geben. Aber sie werden anders arbeiten. Mit zunehmenden Möglichkeiten der Personalisierung von Produkten und Dienstleistungen durch die Digitalisierung (Stichwort: Losgröße 1) wird es zu immer geringeren Kosten möglich sein, stark individualisierte Angebote zu machen. Der Wert wird nicht mehr überwiegend in der Produktion geschaffen, sondern im Vertrieb, besser gesagt: im Kundenmanagement. Das wird diesem Bereich im Allgemeinen gute Jobchancen sichern.
Lediglich bei stark standardisierten Produkten, die für Kunden gut verständlich sind, wird das teilweise automatisch erfolgen. Darunter leiden im Moment in hohem Maße etwa die Banken. Ihre Kapazitäten – und ihre Konzepte der Differenzierung im Markt – sind teilweise noch auf einen hohen Beratungsbedarf ausgelegt, den die Kunden aber nicht mehr haben. Fintechs automatisieren große Teile der Beratung und leiten etwa mühsam zu erfragende Informationen des Kunden mittels intelligenter Algorithmen automatisiert aus vorhandenen Quellen ab (z. B. dem Social-Media-Verhalten des Kunden).
Dort, wo Vertrieb aber weiterhin der Vertriebsmitarbeiter bedarf, und das werden viele Bereiche sein, werden sie anders als heute arbeiten
- Sie sind Experten der Kundenintegration bei individualisierten Angeboten und Gestalter des Kundenerlebnisses, nicht mehr diejenigen, die vorgefertigte Standard-Angebote »an den Mann bringen«.
- Sie sind in der Lage, mit großen Datenbeständen umzugehen. Zwar nicht in der Detailtiefe, wie dies von CRM-Spezialisten und Data-Analysts erwartet wird, aber so, dass sie mit diesen zusammenarbeiten können. Denn das werden sie zukünftig sehr viel enger tun müssen.
- Sie arbeiten weniger in starren Strukturen (Vertriebsgebiet, straff vorgegebener SalesCycle), sondern mehr in Projekten. Angesichts sich rasant wandelnder Märkte wird Agilität auch im Vertrieb zu einem Gütekriterium der Organisation.
- Sie empfinden die Arbeit mit Systemen sowie daraus generierten Kennzahlen und Berichten nicht als Zeitverschwendung (lustloses Ausfüllen von Besuchsberichten), sondern sehen das als integralen, nutzbringenden Teil ihrer täglichen Routine.
Die Liste ließe sich noch beliebig weiter fortsetzen. Aber schon diese 4 Punkte zeigen: Aus- und Weiterbildung von Vertriebsmitarbeitern müssen verändert, andere Schwerpunkte gesetzt werden. Vor allem aber gilt mittelfristig: In den heutigen Vertriebsteams muss ein Kulturwandel einziehen. Denn andere Vertriebsmitarbeiter in großer Zahl zu finden, dürfte für viele Unternehmen fast unmöglich sein. Es gilt, den existierenden Vertrieb für ein anderes Arbeiten zu begeistern.
Michael Paul ist Geschäftsführer der paul und collegen consulting GmbH in Wien und Berlin. Er wird als Moderator beim Zukunftsforum Vertrieb und beim Praxis-Forum CRM & Customer Experience dabei sein.