Wie ist Bildung definiert?
Bildung als Begriff ist in Deutschland erst im 18. Jahrhundert angekommen. Der Philosoph und Theologe Meister Eckhart hat es 400 Jahre zuvor viel schöner definiert: das Erlernen von Gelassenheit. Friedrich Schleiermacher und Wilhelm v. Humboldt formulierten den Gedanken, sich durch Bildung zum Autoren seiner eigenen Geschichte machen zu können. Hier kommt die Selbstverantwortung und damit auch der Spaß ins Spiel, Bildung macht Spaß, weil sie zur Selbstbestimmung befähigt. Das deckt sich mit den Ideen von John Locke ebenso wie mit den Gedanken von Immanuel Kant zur Förderung der Urteilskraft und Georg Wilhelm Friedrich Hegels Idee der Geistestätigkeit. Alles zielt letztendlich darauf ab, frei zu sein und unabhängig zu leben. Bildung heißt also, neugierig zu sein und zu bleiben, neugierig auf die Welt und darauf, wie man selbst in der Welt ist. Das kann süchtig machen, in immer höheren Dosen: Der Wissendurst ist nicht zu stillen. Auch aus der Gehirnforschung weiß man, dass Neugier notwendig ist, um nicht in Depressionen zu verfallen.
Warum ist davon in Schule und Ausbildung so wenig zu spüren?
Kinder lieben das Lernen, sie sind voller Fragen an die Welt und an ihre manchmal genervten Eltern. Doch in der Ausbildung, beginnend mit der Schule, wird das Lernen zur Pflichtübung. Das selbstständige Erforschen wird dadurch ersetzt, das vorhandene Wissen anderer zu erlernen; nur getrieben von der vagen Hoffnung, dass es einmal relevant werden könnte. Mit dem Lustverlust geht die Langeweile einher. Ich bin Hochschullehrer, meine Tochter ist quasi an der Universität aufgewachsen. Kurz vor ihrer Schulwahl fragte sie mich, wozu sie denn auf die Schule gehen solle, wenn sie doch eigentlich an die Universität will. Das konnte ich nur formal beantworten, was nicht besonders überzeugend war. Im Verlauf der Grundschule kam dann noch die Frage dazu, warum man selbst Dingte lernen muss, die Google und Smartphone schneller und besser beantworten können.
Ist Bildung nicht schon lange überbürokratisiert, zählen vergleichbare Abschlüsse mehr als Ergebnisse?
In der Tat. Seit den 1990er Jahren hat die Diskussion um Bildung eine neue Richtung genommen. Es geht jetzt um „globale Wissensökonomie“, gut gemeint muss dabei nicht unbedingt gut gemacht sein. Wenn zuvor die innerliche Welterkennung, aus der sich alles Weitere ergab, im Vordergrund stand, so ging es seitdem um die technische Beschreibung und Lesbarkeit der äußerlichen Welt. Diese so genannte Literalität mag für Entwicklungs- und Schwellenländer angebracht sein, sie darf aber nicht ohne Fokus auf die Folgeerscheinungen wie Formalisierung und Bürokratisierung betrachtet werden. Letztendlich gelangt man zur Verzweckung von Bildung, die nur noch der Befähigung zu einer Beschäftigung dient. Das bringt auch mit sich, dass formalen Bildungsabschlüssen trotz Qualitätskontrolle nicht mehr vertraut wird. Je reglementierter der Lernprozess ist, desto mehr stirbt die Lust am Lernen. Eigentlich fängt Bildung ja da an, wo Wissen aufhört, diese Ironie der Wissensökonomie wird erst allmählich erkannt. Die Bildungsdiskussion dreht sich also wieder, und das ist gut so. Digitalisierung, Algorithmisierung und künstliche Intelligenz – wie man sie auch immer definieren mag – werden nicht nur neue Abschlüsse und Prüfungen notwendig machen, sie werden auch die Art des Lernens und Forschens selbst verändern.
Was verstehen Sie unter „sinnlicher Bildung“? Warum setzen Sie sich dafür ein?
Über Jahrtausende galt der Grundsatz „Wissen ist Macht“. Das Internet macht Wissensquellen frei zugänglich und demokratisiert Wissen, das erfordert auch ein neues Management von Lernen und Forschen. Auch die Art und Weise, wie Wissen in einer digitalisierten Welt vermittelt wird, muss neu überdacht und anregender gestaltet werden. Gleichzeitig muss auch darüber nachgedacht werden, wie heute neues Wissen erschaffen werden kann. Es gibt unterschiedliche Wahrnehmungstypen, die mit verschiedenen Formen der Wissensvermittlung korrespondieren. Für manche Menschen ist nach wie vor das Buch das optimale Interface, andere lassen es sich lieber in Form eines Hörbuches vorlesen, wieder andere lernen über Video und andere durch Spiele. Wir haben jetzt viele mehr Möglichkeiten.
Meint „sinnlich“ also „Lernen mit allen Sinnen“?
Es geht dabei nicht um Esoterik, sondern darum, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt, auf künstliche Intelligenz zu reagieren, nämlich künstliche Dummheit oder menschliche Intelligenz, wobei diese sich nicht ausschließen. Künstliche Dummheit meint eine naiv anmutende Befragung von Selbstverständlichkeiten, die keine sind. Menschliche Intelligenz fängt da an, wo Kreativität notwendig ist, um über das bestehende Wissen, über die gesetzten Regeln hinaus zu gehen. Auch lernende Algorithmen können da nicht mithalten. Freiheits- und Gerechtigkeitssinn, Orientierungs- und Irritationssinn, Eigen- und Gemeinschaftssinn, Realitäts- und Möglichkeitssinn oder Körper- und Mediensinne werden die mehr als sieben Sinne sein, die man in unseren Zeiten beisammen haben sollte.
Der Text basiert auf einer Kolumne von Stephan A. Jansen im Wirtschaftsmagazin „brand eins“.
Prof. Dr. Stephan A. Jansen ist Professor für Management, Innovation & Finance an der Karlshochschule Karlsruhe & Leiter des dortigen »Center for Philanthropy & Civil Society« (PhiCS) sowie CEO von BICICLI Corporate Cycling Solutions. Am 30. November hält er die Eröffnungs-Keynote beim Lehrlingsforum.