Frau Tshidibu, Sie wollen Klischees über Schwarze Menschen in Deutschland bekämpfen. Wie kamen Sie dazu und was ist für Sie das Wichtige an Ihrem Beruf (oder Ihrer Berufung)?
Julie Tshidibu: Ich selbst musste als Kleinkind mit zweieinhalb Jahren aus meiner Heimat in Afrika flüchten. Durch Umwege kamen meine Familie und ich nach Deutschland. Einem schönen Land, das für uns aber auch viel veränderte. Das Problem war, wir hatten nur wenige deutsche Freunde, waren meist allein oder unter Geschwistern unterwegs. Gingen wir durch die Straßen fiel uns auf, dass alle schwarzen Menschen irgendwie in dieser sozialen “Kaste” zu leben schienen. Der Schritt ins Gymnasium war auch hier für mich ein schwerer Weg. Ich musste das erste Mal meinen eigenen Weg finden. Zwei Jahre nach meinem Abitur bin ich ins Ausland und habe dort mit sehr internationalen und diversen Menschen gearbeitet und studiert. Nach knapp 6 Jahren ging es für mich zurück nach Deutschland. Unmittelbar nach meiner Rückkehr nahm ich die Unterschiede zwischen Schwarzen und Weißen viel bewusster wahr. Mein Podcast entstand, weil ich dem nachgehen wollte und auch der Frage, ob ich und mein beruflicher Werdegang wirklich eine Ausnahme sind oder ob es noch weitere Schwarze beruflich „erfolgreiche“ Menschen gibt.
Gab es auf dem Weg auch Zweifel und Rückschläge?
Tshidibu: Logisch, ich war mehr deutsch als afrikanisch. Habe meine Kultur früher versteckt, sogar teilweise geleugnet, nur um nicht aufzufallen. Das hat übrigens auch an meinem Selbstbewusstsein massiven Schaden angerichtet. Der Vorschlag mit dem Podcast war gut, ich unterhielt mich auch mit den Leuten, aber veröffentlichte nichts. Viel zu groß war die Angst vor den Reaktionen.
Doch so wie es war, konnte es auch nicht weitergehen. Durch Zufall traf ich eine schwarze Gynäkologin, die in Deutschland lebte und praktizierte. Sie war einer der ersten schwarzen, erfolgreichen Personen in meinem Alter. Sie zeigte mir, dass es wirklich jeder schaffen konnte und keiner sich verstecken musste. Ich ging nach der Begegnung nochmal in mich und merkte, dass es nicht anders ging. Ich musste damit raus in die Öffentlichkeit. Auch mein Mentor, ein weißer, amerikanischer älterer Herr half mir bei dieser Entscheidung. Er ist einer der Menschen in meinem Leben, die mir gezeigt haben, dass es dieses Schwarz-Weiß Denken eigentlich gar nicht geben sollte. Wir sind alle besonders – als Teil einer Gemeinschaft.
Also veröffentlichte ich den Podcast und rief AFRIKANAH ins Leben.
Nicht bloß „halbherzige“ Initiativen oder Projekte
Divers besetzte Teams sind erfolgreicher – Haben Sie ein Beispiel für uns, das das besonders gut illustriert?
Tshidibu: Es ist nicht besonders zielführend, wenn es lediglich „halbherzige“ Initiativen oder Projekte bleiben, denen sich eine Abteilung - meistens HR oder People & Culture - widmen soll. Diversität hat auch einen wirtschaftlichen Vorteil, denn neue Märkte wollen schließlich erschlossen werden, Kunden mit anderen Sprachen und kulturellen Hintergründen wollen gewonnen werden. Wenn sich Angestellte oder auch Vorgesetzte sich mit diesen Sprachen, Kulturen und allem, was damit einhergeht, nicht auskennen, ist das schwer durchzuführen. Diversität ist ein Wettbewerbsvorteil und echte Inklusion schafft nachhaltige, stabile Teams.
Wie schätzen Sie die Lage in Deutschland derzeit ein? – Was ist zu tun?
Tshidibu: Wenn man Personen wie Gerald Asamoah, Motsi Mabuse, Aminata Touré, Janina Kugel und andere schwarze bekannte Gesichter im deutschsprachigen Raum sieht, könnte man leicht denken: „Hier gibt es doch schwarze erfolgreiche Menschen!“ Das ist sicherlich so und die aufgezählten Personen beweisen es. Doch das Ausschlaggebende sind die Lebensrealitäten dieser Menschen. Ich denke, wir sind noch am Anfang. Aber das ist ja nichts Schlechtes, es ist eben nur der Anfang und wie man so schön sagt, aller Anfang ist schwer. Es geht da um Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Die vielen Gespräche im Podcast sind eine gute Basis, um die Lebensrealitäten Schwarzer Menschen in Deutschland besser zu verstehen und hoffentlich auch dem einen oder anderen Vorbilder zu liefern, die es sich nachzueifern lohnt.
Was sind die Erfolgsfaktoren für Menschen mit afrikanischer Kultur oder Sozialisierung in Unternehmen?
Tshidibu: Beispielsweise wachsen viele Schwarze Menschen multilingual auf, nicht selten mit mindestens 3 Sprachen. Dank diverser Studien wissen wir beispielsweise auch, dass eine Sprachenvielfalt kennzeichnend ist für exzellente kognitive Fähigkeiten. Nicht nur für die Kundengewinnung und -haltung, die Mitarbeiterzufriedenheit, Expansionen und die Entscheidungen um diese Bereiche herum sind all dies essentielle Eigenschaften. Sowohl für ein produktives, als auch lukratives Zusammenleben und Arbeiten in dieser zunehmend vernetzten und voneinander abhängigen Welt ist eine lernwillige Einstellung seitens der Führungsetage daher im wahrsten Sinne des Wortes Gold wert.
Wir freuen uns auf Ihren Input bei unserer Konferenz in Wien!
Julie Tshidibu ist die Gründerin von "Afrikanah" und Moderatorin ihres gleichnamigen Podcasts. Ihre Plattform zielt darauf ab, das stereotypische Narrativ Schwarzer Menschen im deutschsprachigen Raum zu transformieren und Brücken zu bauen. Nach ihrer Ausbildung zum Leadership & Executive Coach ließ Julie ihre Leidenschaft für persönliche Entwicklung und konstruktive Zusammenarbeit erfolgreich in ihre Arbeit als Head of People & Culture (P&C) sowie als Chief of Staff einfließen. Heute nutzt Julie ihre Kompetenzen und Unternehmen “Afrikanah”, um Unternehmen in verschiedenen Bereichen zu unterstützen. Dazu gehören u.a. Recruiting, Employer Branding, Kommunikation und Teambuilding. Darüber hinaus teilt sie ihr Wissen als Speakerin zu Themen rund um "Schwarze Expertise". Beim Inclusive Business & DEI Excellence Summit am 3. Juni 2024 ist Sie Teil eines Diskussionspanels zum Thema“ Kulturelle Vielfalt als Karriere-Motor – Talentebindung und -gewinnung durch Belonging“