Business Circle: Eingangs eine allgemeine Frage: Wie sind sie in Ihrem Team mit dem Übergang ins Homeoffice umgegangen, wie lang hat Umstellung gedauert und wie werden Sie das in Zukunft handhaben?
Dr. Norbert Lenartz: Homeoffice und digitales Arbeiten war ein steiler Lernprozess in unserem Team. Wir haben unsere Workshops, Beratung und Begleitung in der ersten Corona-Welle schnellstmöglich auf digitale Formate umgestellt und uns als Team gegenseitig sehr unterstützt. Ich persönlich war erstaunt zu lernen, wie viel von dem, was wir vorher vor Ort gemacht haben, letztlich auch digital gleichwertig möglich ist. Ich glaube, dass dieser Lerneffekt nicht mehr von der Hand zu weisen sein wird. Das bringt viele Vorteile, die uns in Zukunft von Nutzen sein werden. Mehr Flexibilität, höhere Schnelligkeit, weniger unnütze Wegezeiten. Eine gute Kombination aus digital und analog wird in Zukunft ein Vorteil sein.
BC: Auch in der Organisationsentwicklung stellt sich die Frage nach Make or buy: arbeiten Sie in Ihrer jetzigen Tätigkeit noch mit externen Beratern und Trainern zusammen und ab wann wäre der richtige Zeitpunkt, sie hinzuzuziehen?
Lenartz: Ja, wir arbeiten weiterhin mit Beratern und Trainern zusammen. Da haben wir in den letzten Jahren unterschiedliche Strategien verfolgt. Aktuell ist für uns die passgenaue Zusammenarbeit mit externen Partnern sehr wichtig. Dabei gibt es nicht den einen richtigen Zeitpunkt für uns. Wichtig ist, dass wir genau wissen warum wir die Zusammenarbeit suchen und wie wir sie intern mit unseren Aktivitäten und Intentionen verschränken. Aber im Zweifel wäre meine Antwort: Make! ... and buy, wenn der externe Input dich substantiell bei Deinen Zielen weiterbringt.
BC: Nachhaltige Entwicklung in der Führungsarbeit muss auch heißen, Fach- und Führungskräfte langfristig zu binden, welche Impulse setzen Sie hier?
Lenartz: Das ist ein großes Thema bei uns. Als wirtschaftlich erfolgreiches und wachsendes Unternehmen ist das für uns ein Schlüsselfaktor. Hier drehen wir letztlich an vielen Schrauben und einige Aspekte davon werden in meinem Konferenzbeitrag intensiv beleuchtet. Letztlich glaube ich, dass am Ende vieles zusammenkommen muss, um als Arbeitgeber attraktiv zu sein und Mitarbeiter und Führungskräfte dauerhaft - und immer wieder neu - von sich zu überzeugen.
BC: Wie schafft man es als Führungskraft, dass Veränderungen im Team auch positiv erlebt und von Anfang an mitgetragen werden? Wie „kommt man glaubwürdig rüber“?
Lenartz: (Mmmh …) die zentralen Schlagworte hierzu sind wahrscheinlich hinreichend bekannt und werden in jeder Literatur dargeboten. Ich denke, dass es am Ende darauf ankommt, nicht nur glaubwürdig rüber zu kommen, sondern wirklich glaubwürdig zu sein. Wenn ich mich für nur einen Erfolgsfaktor entscheiden müsste, dann wäre mein persönlicher Favorit ganz klar die Empathiefähigkeit, also die Fähigkeit, sich in sein Gegenüber hineinzuversetzen und die Perspektive und das Erleben des anderen nachvollziehen zu können.
BC: Dinge müssen sich ändern, wenn sie sich bessern sollen, aber nicht alles, was sich ändert, wird automatisch gut: Was sind sichere Indikatoren dafür, in einer Sackgasse zu stecken und wie kommt man am besten heraus?
Lenartz: Das kommt auf die Perspektive an. Was das Business oder Kerngeschäft angeht, da müssen alle hellwach sein und hinschauen. Hier gilt es alle Indikatoren zu nutzen, die man an der Hand hat. Mein Blick geht ja vor allem auf den Menschen und das Zwischenmenschliche. Um hier mitzubekommen, wo Fallstricke liegen und welche Sackgassen drohen, müssen wir nah dran sein, mit den Menschen sprechen, Zugänge haben. Die Einschätzung von Führungskräften alleine reicht mir da nicht. Idealerweise braucht es fast so etwas wie einen 360-Grad-Blick. Ich will schon verstehen, was die Mitarbeiter beschäftigt, was an Schnittstellen passiert, wie das Management auf die Thematik schaut. Wenn hier ein guter Dialog stattfindet und man im gemeinsamen Interesse hinschaut, dann habe ich auch viel Vertrauen, dass der Change ein Erfolg wird.
Das Leben ist nach vorne offen
BC: Unvorhergesehene Dinge passieren immer wieder, vor COVID hatten wir die Finanzkrise 2008/09, das Platzen der dotcom-Blase oder auch schon den Ölpreisschock in den 1970er Jahren. Wie kann die Organisationsentwicklung dazu beitragen, dass Unternehmen stabil aber nicht starr, flexibel, aber nicht passiv, also letztendlich erfolgreich bleiben?
Lenartz: Das Leben ist nach vorne offen. Das war schon der Leitspruch unseres Gründers Senator h. c. Helmut Vetter. Da kommen wir alle nicht raus. Die richtige Balance im Handeln muss immer wieder gefunden und aktualisiert werden. Da ist keine Antwort dauerhaft richtig. Das ist in meinen Augen auch in Unternehmen ein quasi gesellschaftlicher Prozess, der sowohl durch Kultur und wie auch durch Personen geprägt wird. Ein starkes Unternehmen lebt hier meines Erachtens nicht aus der Vergangenheit sondern aktualisiert seinen Blick ständig neu, führt diesen inneren Diskurs und schaut proaktiv in die Zukunft. Wenn wir als Organisationsentwicklung dazu beitragen können, dann sind wir gut unterwegs.
BC: Abschließend ein Blick nach vorn: wenn Sie 5 Jahre zurückdenken und dann 5 Jahre nach vorn extrapolieren – was könnte sich allgemein in der OE-Landschaft getan haben?
Lenartz: Gefühlt erlebe ich Organisationsentwicklung gerade sehr vital und in einer lebendigen Entwicklung. Viel Veränderung, viele neue Methoden und Ansätze. Alles sehr spannend. Ich glaube, vieles davon wird uns erhalten bleiben und sich weiterentwickeln. Wie umfassend sich das in einer neuen Organisationslandschaft niederschlagen wird, wage ich nicht zu prognostizieren. Ich glaube aber, dass die Perspektive der Organisationsentwicklung in den Unternehmen weiter stetig an Bedeutung gewinnen wird, weil sie letztlich erfolgskritisch ist.
Dr. Norbert Lenartz, Senior Manager Organisationsentwicklung bei Vetter Pharma in Ravensburg. Zuvor arbeitete er als Unternehmensberater und promovierter Psychologe insbesondere zu psychischer Gesundheit und organisationalen Ansätzen im BGM. Am 20. September 21 spricht er auf der PoP -Power of People zum Thema „Ein agil gefärbter Ansatz zur Entwicklung der Führungskultur in einem streng regulierten Umfeld“