Der promovierte Philosoph Nicolas Dierks berät Unternehmen zum Thema Innovation, trinkt gerne guten Espresso und vermittelt Philosophie mit Leidenschaft und Humor.
BC: Sie sind promovierter Philosoph, welchen Mehrwert kann die Philosophie Ihrer Meinung nach im Arbeitsleben beisteuern?
Dierks: Die Philosophie kann helfen, Menschen besser zu verstehen, Denkfehler zu vermeiden, Kommunikation zu verbessern und werteorientiert zu agieren. Außerdem hilft Philosophie dabei, persönlich zu wachsen und das große Ganze zu sehen – derzeit konkret ersichtlich bei Themen wie Nachhaltigkeit oder dem fairen Einsatz von Algorithmen.
BC: Viele Unternehmen haben ja, zumindest auf ihrer Website, einen Wertekanon definiert: Offenheit, Toleranz, Vertrauen. Ist damit schon ein Purpose geschaffen oder ist das nur Managementgeschwätz?
Dierks: Grundsätzlich begrüße ich es, wenn Unternehmen die Werte artikulieren, an denen sie dann ja auch gemessen werden. Wir brauchen z.B. großes Vertrauen in digitale Technologie, um die Herausforderungen unserer Zeit gemeinsam zu bewältigen – und vertrauenswürdig ist, wer wirklich werteorientiert handelt. Doch dafür müssen die Werte Teil der Kultur der Organisation werden. Und dazu gehört viel mehr, als eine Werteliste aufzustellen.
Ein Purpose, also die Erfahrung des Sinns des Unternehmens und der eigenen Rolle dabei, ist damit noch nicht automatisch geschaffen – aber wichtige Voraussetzungen auf dem Weg dahin.
Purpose oder Pure Pose?
BC: Branchenübergreifend suchen Unternehmen händeringend nach Mitarbeitern. Die heutigen Anforderungen sind jedoch so hoch wie selten zuvor. Wie kann der Purpose eines Unternehmens dabei helfen, die richtigen Menschen für Ihr Unternehmen zu gewinnen? Oder noch besser, die aktuellen Mitarbeiter zu halten?
Dierks: Viele Menschen entscheiden heute bei Konsum oder Berufswahl nicht mehr bloß nach individuellen Präferenzen, sondern nehmen moralische Werte wichtig. Etwa soziale Verantwortung. Ohne schlechtes Gewissen zu leben und das erfüllende Gefühl zu haben, an etwas Gutem mitzuarbeiten, das „größer ist als man selbst“. Das kann für viele eine wichtige Rolle spielen bei der Entscheidung für einen Arbeitsplatz. Wenn sie dann noch Teil einer respektvollen, wertschätzenden und freundschaftlichen Unternehmenskultur sind, bleiben sie auch gern.
BC: Dinge müssen sich ändern, wenn sie sich bessern sollen, aber nicht alles was sich ändert wird automatisch gut. Woran erkennen Sie, dass eine Veränderung auch wirklich eine Verbesserung bringt? Anschließend: mit welchen Messgrößen könnte man die Erfolge einer Veränderung quantifizieren.
Dierks: Man kann den Erfolg einer Veränderung empirisch prüfen, allerdings muss man sehr kontextspezifisch um die Ecke denken.
Nehmen wir an, Sie wollen die psychologische Sicherheit der Mitarbeiter verbessern. Sie werden dafür eine qualitative Startbefragung brauchen, dann Maßnahmen entwickeln und durchführen und schließlich die Effekte in einer weiteren qualitativen Befragung prüfen. Wenn Sie dabei nachhaltig erfolgreich sind, dann hat das auch quantifizierbare Auswirkungen, etwa weniger Krankmeldungen, geringere Fluktuation, effizientere Arbeit der Teams, höhere Ideenrate etc.
Doch Vorsicht: Die Mitarbeiter spüren die Motivation hinter den Maßnahmen häufig sehr genau. Es darf einem nicht primär um das quantifizierbare Ergebnis gehen, sondern es muss wirklich die psychologische Sicherheit der Mitarbeiter, also ihr Wohlergehen, im Vordergrund stehen. Es ist wie in einer guten Freundschaft: Sie nützt einem, aber wer nur auf den Nutzen kalkuliert, hat das Konzept der Freundschaft nicht verstanden.
"Bei einem Wertewandel sprechen wir von tiefsitzenden menschlichen Gewohnheiten"
BC: Welche sind ihrer Erfahrung nach die größten Widerstände, die es in Unternehmen zu überwinden gilt, um einen wirklichen Wertewandel durchsetzen zu können?
Dierks: Nun, Werte sind häufig in Unternehmen tief verankert, gerade wenn man damit erfolgreich gewesen ist. Nun einen Wandel durchzumachen, ist für manche kontraintuitiv und erklärungsbedürftig. Schon ein neues technisches System einzuführen, kann ja alles andere als rund laufen. Bei einem Wertewandel sprechen wir jedoch von tiefsitzenden menschlichen Gewohnheiten und unserem Selbstverständnis. Das kann auch erfahrene Leistungsträger verunsichern und zu innerer Abwehr führen. Um einen Wertewandel von der Führungsebene zu den Fachkräften zu transportieren, braucht es viel Geschick. Zum Glück kann hier die Philosophie helfen!
BC: Abschließend eine Frage zur Personalentwicklung: Wie könnten Fragen der Sinnstiftung in die Personal Aus- und Weiterbildung integriert werden „Um den Sinn in Unternehmen nachhaltig und wertebasiert zu verankern“?
Dierks: Zunächst einmal ist es dafür wichtig, die Menschen als eigenständig denkende und moralisch urteilende Wesen ernst zu nehmen. Schillernde Begriffe wie „Vertrauen“ und „Offenheit“ helfen dabei wenig. Sie sind inflationär abgenutzt, aber das hat seinen Grund auch darin, dass damit etwas ungeheuer Wichtiges und Unverzichtbares gemeint ist.
Für die Einführung solcher Werte braucht es zunächst Bewusstheit für diese Themen im ganzen Unternehmen, z.B. durch Vorträge, Workshops und Gelegenheiten zu informellem Austausch. Und dann braucht es auf Führungsebene eine intensive Auseinandersetzung mit diesen Themen, z.B. was einen vertrauenswürdigen und offenen Führungsstil angeht. An der Überzeugung und dem Vorbildcharakter der Führungskräfte hängt die Glaubwürdigkeit und damit der Erfolg aller folgenden Maßnahmen.
Dr. Nicolas Dierks, begeistert Menschen für neue Perspektiven – mit Vorträgen, Workshops und zuletzt dem SPIEGEL-Bestseller Was tue ich hier eigentlich? Treffen Sie ihn auf der Personalentwicklung pur, am 6. / 7. Oktober in Eisenstadt und finden Sie ihren individuellen Purpose im Alltag.