Ralf Martin ist Ausbildungsleiter bei Endress+Hauser Flow in Reinach, Kanton Basel-Landschaft. Ähnlich wie in Österreich gibt es auch in der Schweiz das Modell „Lehre mit Berufsmatur" (in der Schweiz ohne "a" am Ende geschrieben). Im Interview spricht er über die Vorteile dieses Modells und warum es eigentlich keine Nachteile gibt.
Herr Martin, Endress+Hauser ist ein bekannter Ausbildungsbetrieb: Wie lange bildet das Unternehmen schon aus und in welchen Berufen?
Ralf Martin: Endress+Hauser bildet seit 1976 Lernende aus. Die Berufsbildung hat schon immer einen sehr hohen Stellenwert im Unternehmen und ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Momentan bilden wir 14 Berufe aus, ein weiterer ist momentan in Abklärung.
Wie viele Lernende bilden Sie aktuell aus und wie viele davon absolvieren die Lehre mit Berufsmatur?
Martin: Derzeit befinden sich rund 60 Lernende in einer Berufsausbildung, diese Zahl wird in den nächsten Jahren auf 80 Lernende steigen. Bei den 4jährigen Lehren besuchen über die Hälfte den Berufsmaturunterricht.
Bei der Berufsmatur ist der Lernende einen Tag mehr in der Schule, und damit einen Tag weniger im Betrieb: ist das aus Ihrer Sicht ein Nachteil?
Martin: Auf den ersten Blick ist es ein Nachteil, da die Lernenden uns einen Tag weniger zur Verfügung stehen. Für viele Berufe wünschen wir uns jedoch ein anschliessendes Studium, daher unterstützen wir die Teilnahme am BM-Unterricht. Die Entwicklung unserer Mitarbeitenden ist uns sehr wichtig, das Aufzeigen von Möglichkeiten beginnt bereits während der Ausbildung. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass die Bereitschaft zur BM einen Ausbildungsbetrieb attraktiv macht und hilft, den Fachkräftebedarf aus den eigenen Reihen zu decken.
Sehen Sie einen Unterschied zwischen Lernenden mit einer EFZ Lehre und Lernenden mit EFZ + Berufsmatur hinsichtlich Motivation, Leistungsfähigkeit und Leistungsniveau?
Martin: Klares Nein. Wir haben genauso motivierte und leistungsfähige Lernende, die während der Lehre keine Berufsmaturität absolvieren. Auch für diese ergeben sich bemerkenswerte Karrierewege über berufliche Weiterbildungen oder Studiengänge an höheren Fachschulen. Nur stehen diesen Absolvierenden ohne BM nicht alle Wege gleich offen.
Wie viele der Lernenden können nach der Lehre vom Betrieb übernommen werden?
Martin: Wir bieten grundsätzlich allen Lernenden eine Anschlusslösung an. Erfreulicherweise haben auch in diesem Jahr alle Absolvierenden unser Angebot angenommen. Dabei gehen wir auf individuelle Wünsche ein. Die meisten Berufsmaturandinnen und Berufsmaturanden erhalten im Anschluss an die Lehre einen Studiumsvertrag.
Wie attraktiv sind für Sie Absolventen mit Berufsmatur als Fachkräfte?
Martin: Sehr attraktiv. Endress+Hauser ist ein wirtschaftliches getriebenes Tech- Unternehmen. Die Digitalisierung, Automatisierung und ständige Innovationen erfordern immer besser ausgebildete Fachkräfte. Weiterbildungen und Qualifizierungen sind für Arbeitnehmende und Unternehmen gleichermassen bedeutsam. Besonders viele Möglichkeiten stehen den BM-Absolvierenden offen.
Ist die Berufsmatur bei Bewerbungen ein Vorteil für die Bewerber?
Martin: Bei entsprechend guten Ergebnissen ist es ein Vorteil, da es sich um einen höheren Bildungsabschluss handelt.
Was raten Sie Schülerinnen und Schülern, die noch unsicher sind, ob sie eine Lehre mit Berufsmatur beginnen sollen?
Martin: Der Fokus sollte in erster Linie auf dem erfolgreichen Abschluss der Berufslehre mit EFZ liegen
Die Zeit für eine Berufslehre war noch nie so gut wie heute
Wie schätzen Sie die beruflichen Möglichkeiten in Ihrer Branche für Absolventen mit Berufsmatur ein?
Martin: Die Zeit für eine Berufslehre war noch nie so gut wie heute. Es herrscht Fachkräftemangel, alle Lehrstellen werden durch den Bedarf der Unternehmen generiert. Das Ergebnis sind sichere Arbeitsplätze mit Karrieremöglichkeiten.
Gibt es etwas, das Sie bei der Ausbildung von BM-Lernenden generell ändern würden?
Martin: Nein, alle Beteiligten machen einen guten Job. Ich würde mir wünschen, dass die Berufslehre mit Berufsmaturität auf der Sekundarstufe I bekannter wird, da sie für viele Schülerinnen und Schüler eine gute Alternative zum Gymnasium darstellt.
Dieses Interview erschien zuerst im Magazin des Berufsbildungszentrum Baselland
Ralf Martin ist Ausbildungsleiter bei Endress+Hauser Flow in Reinach, Kanton Basel-Landschaft. Er startete seine Karriere mit einer Berufsausbildung zum Mechaniker und kennt daher die Vorzüge und Möglichkeiten, die sich dadurch ergeben. Sein Fokus liegt auf der Nachwuchsförderung und im Ausbildungsmarketing. Er ist Feinwerkmechaniker-Meister, Betriebswirt und Ausbilder. Beim Lehrlingsforum gibt er am 30. November eine Best Practice zur Lehrlingsausbildung in der Schweiz.