Sandra Donhauser ist Psychologin, Trainerin und leidenschaftliche Beraterin im Bereich People & Organisation bei BDO. Gemeinsam mit ihrem Team Learning & Development unterstützt sie Unternehmen in allen Themen der Personalentwicklung und begleitet Menschen auf ihrer Entwicklungsreise. Im Vorfeld der"Personalentwicklung pur 2022" sprechen wir mit Ihr über das Thema ihres Vortrags "High Performing Teams".
BC: Was sind High Performing Teams und warum werden sie von Unternehmen benötigt?
Donhauser: Stellen wir uns eine lebenskritische Situation in einer Notaufnahme vor, bei der jede Sekunde entscheidend ist und rasche Handlungsfähigkeit gefragt ist. Wie hoch wäre die Überlebenschance für den bzw. die Patient:in, wenn jede:r im Notaufnahmeteam so handeln würde, wie er oder sie es für richtig hielte? Wenn keine Klarheit über die Verteilung von Aufgaben und Zuständigkeiten herrschte oder wenn es an einer effizienten Kommunikation fehlte? Vermutlich wäre die Überlebenswahrscheinlichkeit ziemlich gering. Das Ganze sieht deutlich anders aus, wenn eine klare Rollenverteilung, definierte Arbeitsabläufe sowie der geteilte Sinn des Teams, Leben zu retten, bestehen.
Auch wenn wir nicht alle jeden Tag Leben retten, so stellen uns genau diese Themen im Unternehmensalltag vor Herausforderungen in der Zusammenarbeit. Die Entwicklung von High Performing Teams greift genau diese Elemente einer effektiven Teamarbeit auf, um das gemeinsame Potenzial für eine höhere Leistungsfähigkeit zu nutzen und sich als Team stets weiterzuentwickeln. Kernelemente von High Performing Teams sind neben des geteilten Purpose und der Rollenklarheit auch die Verfolgung gemeinsamer Ziele sowie die Sicherstellung psychologischer Sicherheit. Letztere beschreibt eine vertrauensvolle Umgebung, in der jedes Teammitglied sich offen äußern darf, ohne auf irgendeine Arte und Weise negativ beurteilt oder sanktioniert zu werden (vgl. Amy Edmondson, Professorin an der Harvard Business School: Psychological safety is „a sense of confidence that the team will not embarrass, reject, or punish someone for speaking up“). Vielmehr ist es möglich, Neues auszuprobieren, Fehler offen zu kommunizieren und Informationen zu teilen, da individuelle Stärken, Perspektiven und Fähigkeiten geschätzt werden. In einer solchen Atmosphäre werden daher Inklusion sowie der Wissens- und Erfahrungsaustausch gefördert und Innovation ermöglicht. Dadurch weisen High Performing Teams insbesondere auch die Fähigkeit auf, sich flexibel an sich verändernde, unbekannte Situationen anzupassen, was vor allem in aktuellen Zeiten des Umbruchs von großem Vorteil ist.
BC: Worin liegen die Herausforderungen beim Aufbau von „High Performing Teams“ und welche Fehler können dabei passieren?
Donhauser: Die Entwicklung zu einem High Performing Team kann nicht über ein paar Schulungen oder Trainings erzwungen werden. Vielmehr handelt es sich um einen stetigen Prozess, der Zeit, die richtigen Rahmenbedingungen sowie eine gute Begleitung der Team Journey benötigt. Letztere erfolgt idealerweise in Anpassung an die Bedürfnisse und Anforderungen des jeweiligen Teams durch einen abgestimmten Mix an Entwicklungsmaßnahmen wie Team Coaching, Team Development Trainings, Reflexions- und Austauschrunden sowie gemeinsame Workshops. Wichtig ist es, das Team dort abzuholen, wo es steht und auf den vorhandenen Stärken des Teams aufzubauen. Das kann sehr unterschiedlich sein, je nachdem in welcher Phase sich das Team befindet. Steckt man noch in der Kennenlernphase und versucht gemeinsame Werte zu entdecken, gibt es Unklarheiten in der Rollen- und Aufgabenverteilung oder diskutiert man bereits über nahtlose Arbeitsabläufe und eine effiziente Kommunikation?
Eine wesentliche Rolle im Aufbau von High Performing Teams spielen insbesondere eine unterstützende Unternehmens- und Führungskultur, in der Lernen und Entwicklung einen hohen Stellenwert aufweisen und autonomes Handeln ermöglicht wird. Neben der Systemebene darf die individuelle Ebene ebenfalls nicht vernachlässigt werden. Als Teammitglied muss ich mit den wesentlichen Kompetenzen ausgestattet sein, damit Teamentwicklung stattfinden kann. Hierzu zählen vor allem wesentliche „Future Skills“ wie z.B. Perspektivenwechsel, Kooperationsfähigkeit, Reflexionsfähigkeit und Empathie.
BC: Welche Rolle übernimmt die Führungskraft im Aufbau und Erhalt eines High Performing Teams?
Donhauser: Für die Entwicklung eines High Performing Teams braucht es ein modernes, zeitgemäßes Führungsverständnis, welches sich von einer autokratischen, hierarchisch geprägten Führung distanziert. Viel mehr bedarf es einer unterstützenden und bestärkenden Form der Führung, die Autonomie und Selbstorganisation der Mitarbeiter:innen und Teams aktiv fördert. Der Führungskraft obliegt es insbesondere, die richtigen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen zu schaffen und das Team bei seinem Reifen zu begleiten. So kann die Führungskraft beispielsweise bei der Findung der gemeinsamen Ziele unterstützen oder die Weichen zur Entwicklung der psychologischen Sicherheit stellen.
Geht man einen Schritt weiter, so kann Führung in High Performing Teams als eine von mehreren Teamrollen etabliert werden, die denselben Stellenwert wie andere Rollen aufweist (z.B. Koordinator:in, Umsetzer:in, vgl. Belbin). Noch etwas mutiger ist der Führungsansatz des Shared Leaderships, der mit einer vollständigen Selbstorganisation der Teams einhergeht. Bei dieser Form der Führung obliegt die Führungsrolle nicht mehr nur einer Person, sondern rotiert innerhalb des Teams oder kann von mehreren Personen gleichzeitig besetzt werden – abgestimmt auf die zu bewältigende Aufgabe, das Wissen und die Erfahrung der Mitarbeiter:innen. Dadurch werden Macht und Ungleichheiten reduziert und Verantwortung geteilt.
BC: „Purpose oder pure pose?“ – ist es wichtig, eine gemeinsame Vision im Team zu finden und wenn ja, warum?
Donhauser: Unternehmen brauchen ein WHY, Teams arbeiten effektiver mit einem geteilten Purpose, jede:r Mitarbeiterin muss den Sinn in der Arbeit sehen. Ob das tatsächlich so ist, wird derzeit vielfach diskutiert. Allerdings gibt es die Diskussion nicht erst seit Simon Sinek (The Golden Circle Modell) oder der Generation Z, der man das Bedürfnis nach Sinn in der Arbeit zuschreibt. In der japanischen Kultur beschäftigt man sich bereits seit Jahrhunderten mit der Frage nach dem Sinn der Arbeit, sodass sich daraus bereits ein eigenes Wort entwickelt hat: Ikigai – iki = Leben und gai = Wert, Wirkung, Nützlichkeit (vgl. Reis M., Kermas, S., Erfolgsfaktor Teamarchitektur, 2020). Ikigai ist dort, wo sich deine Leidenschaft, deine Mission, deine Berufung und deine Karriere überschneiden und beschreibt gleichzeitig den Weg, den du finden sollst, um deine Arbeitszufriedenheit und Leistung optimal auszuschöpfen. Am besten jedoch fasst das Zitat des französischen Schriftstellers Antoine de Saint-Exupéry („Der kleine Prinz“) zusammen wofür Purpose steht und warum es ihn braucht: „Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
Allerdings reicht ein Purpose alleine nicht aus, um vorwärtszukommen. Die „Sehnsucht“ genügt nicht, um das Schiff tatsächlich zu bauen, stellt aber eine wichtige Ausgangsbasis für unsere Motivation zu Handeln dar. Wenn wir einen Grund haben, in der Früh aufzustehen, dann fällt es uns leichter in die Gänge zu kommen und die gemeinsamen Ziele zu verfolgen. Dies ist aber nur dann gewährleistet, wenn es sich um einen gemeinsam erarbeiteten und von allen Teammitgliedern geteilten Purpose handelt, andernfalls bleiben es lediglich schöne, leere Worte auf dem Papier. Essenziell ist daher, dass jedes einzelne Teammitglied hinter dem Purpose steht und sich bewusst ist, wie sein bzw. ihr individueller Beitrag zur Realisierung dieses aussieht.
Sandra Donhauser ist im Consulting der BDO in den Bereichen Learning & Development, Organisationsentwicklung und Personaldiagnostik tätig.
Bei der Personalentiwcklung pur, am 6. / 7. Oktober 2022 in Eisenstadt bringt Sie mit ihrem Wissen alle informationen rund um den Aufbau von High Performing Teams!