Ein Event-Bericht vom Kongress „Corporate Health & Culture“ in Wien. Oder eher mein persönliches Best-Of von einer abwechslungsreichen und inspirierenden Konferenz. Vielen Dank an alle Vortragenden und Teilnehmenden für die gute Zeit!
Kultur als Wandertag, Menschen als Kostenfaktor?
Was ist Unternehmenskultur? „Na, da haben wir eh gerade einen Wandertag mit geselligem Beisammensein gehabt – damit hätten wir das Thema ja für heuer abgehakt, oder?“ Orginalton, gehört von Reza Razavi, BMW Group München, der gerade deswegen vor eineinhalb Jahren den BMW Corporate Culture Club gegründet hat. Doch dazu später.
Tanja Weidinger ist HR Managerin bei Runtastic. HR heißt Human Relations und nicht Human Ressources, stellt sie mit einem herzlichen Lächeln klar und das lebt sie auch. Der Mensch als „Ressource“, diese Ansicht gibt es seit Taylor in den 1910er Jahren und es prägt immer noch unser Bild von Arbeit und Management. Das hat mit Potentialentfaltung wenig zu tun. Ein Angestellter wird morgens angestellt, abends abgestellt und dazwischen wird aufgepasst, dass er nichts anstellt, wird Prof. Jürgen Fuchs zitiert. Eine Gallup Studie präsentiert vom Glücksforscher Michael Mitterwallner zeigt, dass 80% der Mitarbeitenden ihre Stärken am Arbeitsplatz nicht nutzen! (Nachdenkpause…) Jene die es tun, sind hingegen 6 x engagierter.
Zurück zu Mensch als Ressource – mit einem Blick in die Bilanz: Der Bürosessel auf dem Sie sitzen, ist ein Vermögen in der Bilanz, der Computer auch. Und Sie? Bilanztechnisch ein reiner Kostenfaktor. Ein Hinweis zum Umdenken und Neudenken?! Gewinner des digitalen Zeitalters wird, wer auf menschliche Stärken, wie z.B. Kreativität und Empathie setzt…
Emotionen im Unternehmen – Frust & Lust
Wir haben vom Konferenzraum direkten Blick auf eine Lust&Frust-Zone. Der Golfplatz im Süden von Wien breitet sich vor uns aus, besser gesagt, die Driving Range. Eine Wiese voller Golfbälle; manche davon sind nur 2-3 Meter weit gekommen… Das bringt uns zur Diskussion über „We fail to learn“ – Fehlerkultur, geleitet von Tanja Weidinger (Runtastic). Spannende Unternehmensbeispiele und einige Instrumente, wie z.B. bei A1 Fehler mit Lösungsvorschlägen posten im „A1 Workplace“ (internes social network) oder ein regelmäßiges „Versemmelt-Frühstück“ werden hier ausgetauscht.
Es ist absolut notwendig sich mit den Emotionen am Arbeitsplatz auseinanderzusetzen, ist Jochen Peter Breuer (HE2BE, Schweiz) überzeugt. Die Beziehungen mit den Kollegen sind der größte Stressfaktor und auf Vorstandsebene ist es nicht anders. Die Gefühle, die dahinter stehen und die Bedürfnisse werden kaum bis gar nicht ausgedrückt. „Wir leiden an emotionaler Anorexie“, meint Jochen Peter Breuer markig. Der Zugang zu dem „Unsagbaren“ und positive Verbindungen zwischen den Kollegen entstehen z.B. in Workshops, wo die Aussagekraft von selbst erstellten Zeichnungen („Zeichnen Sie bitte mal die Unternehmenskultur!“) oder Bilderkataloge („Ich fühle mich in Bezug auf unsere Zusammenarbeit wie…“) und selbstgesuchte Symbole genutzt wird. Ein Vorgehen das ich auch in meinen Projekten als hochwirksam erlebe.
Positive Psychologie macht glücklich?
Bei meinem Top-Thema setzt auch Michael Mitterwallner von der Universität Klagenfurt an. Er ist Glücksforscher und zeigt im Überblick welchen Nutzen Wohlbefinden/Glück/Positive Emotionen im Unternehmen haben und welche Strategien zur Entfaltung geeignet sind. Beispielsweise Job Crafting, bei dem Mitarbeitende nach ihren Stärken eingesetzt werden und die Jobs rund um sie gestaltet werden vs. einen passenden „Deckel“ zur Job Description zu suchen. Eine andere positve & wirksame Maßnahme ist Appreciative Inquiry, eine lösungsorientierte, beteiligende Zukunftsmaßnahme, die auf dem Besten aufbaut, das da ist.
Ungewissheit schafft kreative Räume für sinnvolles Vorangehen
„Ungewissheit schafft kreative Räume für Interpretationen und Lösungen“ sagt Bardia Monshi, Berater und fachlicher Leiter der Konferenz, und lässt die Teilnehmer in einem Pantomime-Stille-Post-Spiel erleben, wie „eigenartig“ wir Unsicheres interpretieren, weil wir es in unseren bekannten Kontext bringen. Damit wir uns verstehen ist unbedingt der konkrete Kontext und der Sinnrahmen notwendig. „Warum machen wir das?“ als zentrale Unternehmensfrage. Je agiler die Organisation, desto stabiler muss der Sinn sein, ist er überzeugt.
Das „start with the WHY“ von Simon Sinek kehrt noch zwei Mal wieder auf der Konferenz: Sie liegt greifbar in der Luft, die Suche nach dem Sinn. Welchen Sinn hat ein Unternehmen? Gewinn? Nein. Gewinn ist wie Sauerstoff. Er ist nötig, damit das Unternehmen überlebt, aber als Sinnkomponente ist er viel zu wenig. Nach Viktor Frankl finden wir Sinn entweder in einer Tätigkeit, die uns erfüllt oder darin für jemanden anderen da zu sein. Welchen Beitrag leistet z.B. Ihr Unternehmen für die Gesellschaft oder für die Mitarbeitenden?
Spannender Pausenaustausch
Re-Renaissance?
Reza Razavi (BMW Group) zeigt in einem inspirierenden Vortrag mit vielen Bildern, Metaphern, Beispielen und Videos den großen Bogen dieser digitalen Revolution und der Parallele zur Renaissance. Wie in der Renaissance, wo nicht nur Antikes aufgenommen und weiterentwickelt wurde sondern auch grundlegend Neues erfunden wurde, sind wir wieder an der Schwelle zu einem neuen Kapitel in der Menschheit. Eine Parallele: der Buchdruck und damit der Zugang zu Informationen und die Möglichkeit sich eigenständig eine Meinung zu bilden. Und heute? Von „Gutenberg“ zu „Zuckerberg“… ????
Als biologische Metapher dafür nennt Razavi die Metamorphose der Raupe in den Schmetterling – zwei völlig verschiedene Wesen mit unterschiedlichem Zweck und Funktionalitäten. Die kritische Phase ist die Verpuppung, die Imago-Phase. Der Wandel beginnt mit einigen, neuartigen Zellen, die zuerst vom Raupenorganismus angegriffen werden, bis sie sich verbinden und Cluster bilden. Das gleiche durfte er bei BMW aus innerer Überzeugung beginnen – die Gründung des „Corporate Culture Clubs“, wo sich Mitarbeitende mit einer zukunftsorientierten Kultur auseinandersetzen. Auch hier wachsen die Zellen und clustern sich. Über 2000 freiwillige Mitglieder gibt es bereits nach 1,5 Jahren.
Gestalten statt Reagieren, das ist seine Devise und eine neue Kultur entsteht, indem aus einzelnen Spuren Wege werden. „Wir sprechen nicht von Veränderung. Das will niemand mehr hören. Entwicklung oder Erneuerung – darum geht es!“
Marc Habermann (Berater & Coach) steuert in seinem anschließenden Workshop Elemente für eine gelingende Verhaltensänderung bei, die uns Menschen, wie jeder aus eigener Erfahrung weiß, schwer fällt. Lieber leiden, als sich ändern müssen… Neben Vorbildern, konkreten Zielen und kleinen Schritten sind es folgende drei kleine Tipps, die unseren inneren Veränderungsschweinehund austricksen: 72 – 30 – 5. Das sind nicht die neuen Idealmaße, sondern: Starte innerhalb von 72 Stunden nach deinem Entschluss, halte mindestens 30 Tage durch und mach jeden Tag zumindest 5 Minuten von der neuen Verhaltensweise.
Über die Autorin:
MMag. Silena Sabine Piotrowski, Unternehmensberaterin und Psychologin, ist zum Schwerpunkt „Mehr Lebensfreude!“ tätig. Durch den Einsatz der wissenschaftlichen Erkenntnisse der Positiven Psychologie in Training und Coaching steigert sie Wohlbefinden, Engagement und Arbeitsfreude in Unternehmen.