Martin Wolf ist globaler Kultur- und Führungsexperte und Gründer von Visible Leader Advisory. Im Vorfeld der PEp sprechen wir über die zukünftige Zusammenarbeit von Mensch und Maschine und warum das kein unfairer Kampf sein muss.
Business Circle: Sehr geehrter Herr Wolf, Eingangs etwas Persönliches: Was hat Sie bewogen, Visible Leader Advisory zu gründen, und was waren Ihre ersten Meilensteine auf dem Weg mit der eigenen Firma?
Martin Wolf: Die Gründung von Visible Leader Advisory basiert auf der Überzeugung, dass in Zeiten schnellen Wandels der Mensch im Mittelpunkt stehen muss. Besonders in Österreich, und Mitteleuropa besteht hier leider oft noch Nachholbedarf. Unsere Mission ist es, Führungskräften und Expert:innen die Fähigkeiten zu vermitteln, die sie benötigen, um in einer digitalisierten Welt effektiver, sichtbarer und erfüllter in ihrer beruflichen Rolle zu agieren. Dazu haben wir 50 unternehmerische Verhaltensmuster und psychologische Fähigkeiten identifiziert, die erfolgreiche Persönlichkeiten und Führungskräfte auszeichnen.
Im Visible Leader Podcast haben erfolgreiche Visible Leader wie Philipp Maderthaner, Dr. Johannes Braith oder die Kultur-Expertin Christina Grubendorfer ihr Wissen dazu großzügig öffentlich geteilt. Seitdem bin ich zutiefst überzeugt, dass emotional starke Führungskräfte und Expert:innen der Schlüssel zu einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung in diesen Zeiten sind. Ein bedeutender Meilenstein war die Erkenntnis, dass immer mehr Unternehmen unsere Expertise nicht nur für die Personalentwicklung suchen, sondern auch, um diese den Faktor Mensch in ihre Strategie-Entwicklung zu integrieren. Diese Nachfrage führte zur Gründung von „Business & Psychology“, einer Initiative, die sich auf psychologische Einblicke konzentriert, um kritische Geschäftssituationen bei Marktveränderungen oder innerhalb der Organisation zu lösen.
Wo Arbeitsplätze verdrängt werden und wo der Bedarf steigen wird
BC: Welche Tätigkeiten werden Ihrer Meinung nach in Zukunft vermehrt an Maschinen und KI-Systeme ausgelagert? Und welche neuen Jobprofile könnten auf der menschlichen Seite entstehen, welche Fähigkeiten werden in Zukunft noch mehr gefordert sein?
Wolf: In Zukunft werden Maschinen und KI verstärkt routinemäßige und datenbasierte Aufgaben übernehmen, wie etwa Buchhaltungsprozesse und Datenanalysen. Dennoch wird der menschliche Faktor dadurch nicht weniger wichtig, sondern entscheidender. Bei Aufgaben wie der Mustererkennung oder der Ausführung von Routinearbeiten haben Menschen gegen Maschinen keine Chance. Stellen Sie sich vor, Sie nehmen an einer Quizshow teil und spielen gegen jemanden, der alle Bücher der Welt gelesen hat und jederzeit auf diese Informationen zugreifen kann. Ein unfairer Kampf.
Dennoch werden neue Jobrollen entstehen, die sich auf unsere einzigartigen menschlichen Stärken konzentrieren, wie Kreativität, Empathie und ethische Entscheidungsfindung. Diese Bereiche sind für KI schwer zu reproduzieren und stellen somit menschliche Stärken dar. Berufe wie „KI-Trainer“ und „Datenethiker“ werden notwendig sein, um sicherzustellen, dass Technologie verantwortungsvoll genutzt wird. Ergänzend könnten die Rollen von “Innovationsmanagern” und “Kulturdesignern” verstärkt gefragt sein, da sie helfen, die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine zu optimieren. Es geht schließlich um Kollaboration mit der Maschine und nicht Verdrängung.
Insight: Laut einer McKinsey-Studie könnten bis 2030 bis zu 375 Millionen Arbeitskräfte (14 % der weltweiten Belegschaft) durch Automatisierung und KI verdrängt oder umgeschult werden. Gleichzeitig wird die Nachfrage nach sozialen und emotionalen Fähigkeiten um 26 % steigen.
BC: Wie holt man das Team mit ins Boot? Welche Maßnahmen sollten Unternehmen ergreifen, um das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter im digitalen Wandel zu unterstützen?
Wolf: Der digitale Wandel stellt nicht nur technische, sondern auch menschliche Anforderungen. Es ist wichtig zu verstehen, dass Menschen vor ähnlichen psychologischen Herausforderungen stehen, wenn sie mit Veränderungen wie der Digitalisierung konfrontiert werden.
Diese Veränderungen führen zu einem erhöhten Energieverbrauch im Gehirn, beeinflussen den Hormonhaushalt, unsere Fähigkeit zur Entscheidungsfindung und können die innere Ausgeglichenheit stören.
Um das Team erfolgreich mitzunehmen, ist es entscheidend, den Fokus auf diese Auswirkungen zu legen. Unternehmen sollten regelmäßige Schulungen und Workshops anbieten, die nicht nur technisches Wissen, sondern auch emotionale Unterstützung und Empowerment vermitteln. Zusätzlich könnten Wellness-Programme oder flexible Arbeitszeiten implementiert werden, um den Mitarbeitern zu helfen, sich anzupassen.
Insight: Eine Studie der American Psychological Association zeigt, dass 71 % der Arbeitnehmer berichten, dass Unterstützung am Arbeitsplatz ihre Produktivität und ihr Engagement erhöht – das ist ein starker Hebel, besonders in Zeiten des Wandels.
BC: Wie sind Führungskräfte und HR-Abteilungen gefordert, eine Unternehmenskultur zu etablieren, in der die Vorteile, welche die „Tech World“ bietet, mit Pioniergeist und Experimentierfreude genutzt werden?
Wolf: Führungskräfte und HR-Abteilungen müssen eine Unternehmenskultur fördern, die technologische Innovation mit menschlichen Werten verbindet. Es geht darum, ein Umfeld zu schaffen, in dem Mitarbeiter ermutigt werden, neue Ideen einzubringen und mutig zu experimentieren.
Offene Kommunikation und Vertrauen sind entscheidend, um die Mitarbeiter zu motivieren, die Möglichkeiten der Technologie in Verbindung mit ihren einzigartigen menschlichen Fähigkeiten zu nutzen. Unternehmen könnten Maßnahmen wie Hackathons oder Innovationslabore einführen, um Experimentierfreude zu fördern.
Unternehmen, die es schaffen, Vertrauen und Innovation zu fördern, sind meist auch die Gewinner in Krisen und globalen Veränderungsprozessen. Diese Kultur zieht auch High-Performer aller Altersgruppen an. Auch wenn junge Talente heutzutage andere Werte und Ziele haben als unsere Generation, so eint uns dennoch das grundlegende Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Wirksamkeit, Selbstbestimmtheit und Anerkennung. Innovative Unternehmen fördern diesen Dialog und die Gestaltung der sich stets verändernden Kultur, anstatt auf statische „Top-Down“-Leitwerte zu setzen.
BC: Wie wird sich Ihres Erachtens die Grenze zwischen maschineller und menschlicher Arbeit noch weiter verschieben, und wo könnten Grenzen sein, über die Maschinen nicht hinwegkommen?
Wolf: Obwohl Maschinen zunehmend komplexe Aufgaben übernehmen können, wird die menschliche Arbeit in Bereichen unverzichtbar bleiben, die auf Kreativität, Empathie und ethischer Entscheidungsfindung beruhen. Die Grenze wird sich verschieben, aber es gibt Aspekte menschlicher Erfahrung und Intuition, die Maschinen nicht replizieren können. Es ist entscheidend, den Fokus auf menschliche Stärken zu legen, um in der digitalisierten Arbeitswelt erfolgreich zu sein.
Außerdem ist KI immer nur so gut wie die Daten, mit denen sie trainiert wird, und kann bestehende Probleme wie Vorurteile und Ungerechtigkeit verstärken. Wenn Sie heute z.B. ChatGPT bitten, einen Avatar eines CEOs zu erstellen, wird dieser – wenn nicht anders angegeben – oft männlich, gut aussehend und kaukasisch sein. Ein Spiegelbild unserer gesellschaftlicher Missverhältnisse. Dies zeigt, dass neue Herausforderungen und Aufgabenbereiche entstehen, um solche Biases zu erkennen und zu korrigieren. Da wir diese Probleme heute noch nicht direkt spüren, fällt es manchmal schwer, hier ein Zukunftsbild zu entwickeln, aber genau darüber werden wir beim Vortrag noch mehr sprechen.
BC: Abschließend - wenn wir schon neugierig sein dürfen: Sie werden auf der PEp das Plenum zu einem spannenden Experiment einladen, möchten Sie uns vorab schon ein paar Hinweise geben?
Wolf: Ich möchte nicht zu viel verraten, aber es geht mir darum, gemeinsam zu verstehen, was biologisch in uns passiert, wenn eine Organisation digitalisiert wird und wir diesem Prozess ausgesetzt sind. Das Experiment soll verdeutlichen, dass der Mensch im Mittelpunkt der technologischen Transformation stehen muss, um das volle Potenzial der Digitalisierung zu nutzen. Wer sein Auge für diese menschlichen Feinheiten schärft und den Mut aufbringt, sie in ein Konzept zu verankern und umzusetzen, wird bessere Lösungen für sich und seine Organisation entwickeln können.
BC: Sehr geehrter Herr Wolf, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen, uns, Sie zur PEp begrüßen zu dürfen!
Martin Wolf ist globaler Kultur- und Führungsexperte und Gründer von Visible Leader Advisory und hat die Vision, dass der Service von Visible Leader kluge Köpfe dazu inspiriert, ihre Sichtbarkeit zu erhöhen, um mehr Menschen positiv zu beeinflussen - und das für und mit Weltmarktführern wie Nike, T-Mobile, Samsung, Hewlett Packard, DHL, ING-DiBa, Garnier, BMW oder Dynatrace. Im Rahmen der PEp 2024 ist er am 1. Oktober 2024 Gastgeber eines interaktiven Impulstalks mit der Überschrift: „Being Human in a Tech World: Warum der Faktor Mensch mehr zählt als je zuvor“