Die Österreicher und Österreicherinnen werden immer älter. Diese Tatsache stellt vor allem Pflege und Betreuung vor große Herausforderungen. Dabei geht es nicht nur um das Älterwerden per se. In erster Linie geht es um die Würde des Alterns. Der Verein motiv.allianz.pflege will weg von einem familienbasierten System und fordert die Bundesregierung deshalb auf, das Pflegesystem zu professionalisieren. Dazu brauche es vorrangig eine Ausbildungsoffensive, die Attraktivierung des Berufes und mehr Geld.
Bereits im Vorfeld der Regierungsverhandlungen haben die Partner der motiv.allianz.pflege den Parteien ihre Forderungen für die Pflegereform übermittelt. Einige dieser Punkte finden sich im aktuellen Regierungsprogramm wieder, dennoch fehlt es laut Markus Mattersberger, Präsident des Lebenswelt Heim-Bundesverbandes, noch an einigen Details.
„Es braucht ein Bündel an Maßnahmen, um die Pflege in Österreich zukunftsfit zu machen! Wer die Herausforderungen in der Pflege und Betreuung ernst nimmt und insbesondere auch die Belastungen pflegender Angehöriger anerkennt, muss in die Zukunft der professionellen Pflege investieren“
sind sich die Partner der motiv.allianz.pflege einig. Sie wünschen sich, in die von Sozialminister Rudolf Anschober angekündigte Task Force zur Pflegereform eingebunden zu werden.
Die Forderungen im Detail:
- Die Pflegereform soll in einem strukturierten Prozess unter Einbindung aller relevanten Stakeholder und ExpertInnen erarbeitet werden. Dabei spielt neben der Finanzierung und der Organisation vor allem die Personaloffensive eine große Rolle. In Österreich herrscht derzeit ein massives Problem Personal zu bekommen. Mattersberger ist sicher, dass es hier konkrete Maßnahmen braucht, um die Lebenswelt der Älteren abzufangen. Zurzeit können aufgrund des eklatanten Personalmangels etwa 1500 Pflegebetreuungsplätze nicht bespielt werden. Schätzungen zufolge werden 2050 mehr als 1.2 Mio. Menschen in Österreich über 80 Jahre alt sein. „Auf diese Situation sind wir derzeit nicht vorbereitet“, meint Mattersberger. Er betont weiters, dass es ein nachhaltiges Pflegesystem benötige, weg von einem familienbasierten, hin zu einem professionellem.
- Erforderliche Sofortmaßnahmen. Eines der größten Probleme im Pflegebereich ist die fehlende Wertschätzung. Das führt auch dazu, dass an sich gut ausgebildete Fachkräfte den Pflegeberuf nach durchschnittlich sieben Jahren wieder verlassen. Der Wiedereinstieg ist schwierig, da vor allem Frauen nach einer längeren Karenz das Gefühl haben, Entwicklungen verpasst zu haben und nicht mehr firm zu sein. Die konkrete Forderung lautet daher, entsprechende Wiedereinstiegsprogramme anzubieten, um diese Menschen wieder ins Boot zu holen. Josef Zellhofer, Bundesvorsitzender der ÖGB ARGE Fachgruppenvereinigung für Gesundheits- und Sozialberufe betont, dass es zudem neue Arbeitszeitmodelle brauche. „Die Jugendlichen sind nicht mehr bereit 48 oder 60 Stunden pro Woche zu arbeiten“, so Zellhofer. „Das Wesentliche seien die Arbeitsbedingungen, dann die fehlende Wertschätzung erst an dritter Stelle die Bezahlung“, erklärt Zellhofer.
- Die Wege in die professionelle Gesundheits- und Krankenpflege müssen attraktiver und ausgebaut werden. Derzeit stehen mehrere Ausbildungsmodelle zur Verfügung: ein-, zwei- und dreijährig. Diese Modelle können derzeit erst ab 17 Jahren absolviert werden. Hier entsteht also eine Lücke zur Pflichtschule. Zusätzlich wurde von der neo-Regierung ein weiteres Ausbildungsmodell beschlossen, welches bereits ab Herbst 2020 in die Pilotphase geht. „Dieser neue Ausbildungsweg ist ein wichtiger und richtiger Schritt“, ist sich Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes (ÖGKV) sicher. Diese Ausbildung schließt mit Matura ab und schließt die Lücke zwischen Regelschule und Hochschulreife. Zudem ist eine Aufsplittung ab dem dritten Ausbildungsjahr in Richtung Gesundheits- und Krankenpflege sowie in Richtung Alten-, Familien-, oder Behindertenarbeit möglich. Im Rahmen der Ausbildungsoffensive muss auch die Gruppe der Berufsumsteiger berücksichtigt werden. Derzeit gibt es für diese Gruppe kaum Möglichkeiten, durch geeignete Umschulungen in den Pflegebereich einzusteigen. „Aktuell ist es so, dass man erst arbeitslos werden muss, um Umschulungen mach zu können“, so Frohner. Hier bedürfe es eines vollen Zeit- und Lohnausgleiches für Quereinsteiger.
- Steuerungsinstrument für die Pflege. Kaum ein Bereich ist in Österreich so zersplittert wie die Pflege, das führt unweigerlich dazu, dass sich keine Organisation hauptverantwortlich fühlt. Eine Fülle an Stakeholdern, etwa Bund, Gemeinden, Länder, Versicherungen, AMS, etc. sind eingebunden, es fehlt jedoch an einer Dachgesellschaft. Die Bündelung all dieser Akteure ist ein zentrales Anliegen. „Zu verstehen sei eine solche Institution als Netzwerkknoten, um das Beste aus allen Systemen zusammenzuführen“, betonte Walter Marschitz, Geschäftsführer der Sozialwirtschaft Österreich.
- Finanzierung und Betreuung der Pflege in Österreich sind nachhaltig sicherzustellen. Die Pflege ist eine Wachstumsbranche, die Investitionen in die Pflege entlasten Angehörige, allen voran Frauen. Silvia Rosoli, Abteilungsleiterin der AK Wien für Gesundheitsberuferecht und Pflegepolitik betont, dass die Finanzierung der Pflege nachhaltig sichergestellt werden müsse. Es ginge dabei nicht nur darum, ob ausreichend Mittel zur Verfügung stünden, sondern auch um das „Wie“. Im aktuellen Regierungsprogramm gibt es dazu bereits einige Schlagworte, aber noch keine konkreten Pläne. Sicher ist jedenfalls, dass der derzeitige Handlungsdruck aufgrund der demografischen Entwicklung sehr hoch ist. In Österreich wird ca. 1 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Pflege ausgegeben, in den skandinavischen (Vorzeige)- Ländern bis zu 3 %. „Nur mit ausreichenden Investitionen können Menschen gewonnen und gehalten werden, in der Pflege zu arbeiten“, so Rosoli. Sie betont, dass sich der Wert einer Gesellschaft daran messe, wie man mit Schwächeren umgeht. Einer Pflegeversicherung stehen die Teilnehmer der Pressekonferenz eher kritisch gegenüber, denn diese würde in erster Linie die Lohnnebenkosten erhöhen.
Die Pressekonferenz zeigte einmal mehr, dass es viel zu tun gibt in der Pflege. Das Gute ist: Die Mühlen mahlen bereits, wenngleich es noch einiges an Arbeit bedarf, um ein nachhaltiges und strukturiertes Programm zu verabschieden. Es wird also viele Diskussionen zu dem Thema geben, eine Möglichkeit des Austausches bietet unser Pflege-Management Forum am 5. / 6. März 2020 in Wien. Hier geht's zum Programm.