procareScience-Lecture beim Pflege-Management Forum 2017
Die Annahme, dass Menschen, die im Alter pflegebedürftig werden, dann auch Hilfe in Anspruch nehmen, ist nicht unbedingt richtig. Das zeigt sich häufig im Akutfall. Die Folge sind oft eine verzögerte Unterstützung und manchmal schlechtere Aussichten was den Erhalt der Selbstständigkeit betrifft. Prof. Dr. Thomas Boggatz von der Fachhochschule Salzburg hat die Gründe für die Vorbehalte untersucht und schlägt Lösungsmöglichkeiten vor. Bei der diesjährigen procareScience-Lecture beim Pflege-Management Forum 2017 stellt er seine Ergebnisse vor und diskutiert die Konsequenzen für die Pflege und Betreuung. Springer Pflege/procare setzt mit diesem Veranstaltungspunkt die bereits seit einigen Jahren bestehende Kooperation mit dem Pflege-Management Forum fort und leistet damit einen Beitrag in der Verbindung zwischen Praxis und Forschung.
Die Forschungsfrage für das Projekt der FH-Salzburg kam aus der Praxis: Sozialbeauftragte in den Gemeinden und Betreuungspersonen im Betreuten Wohnen, die häufig die erste Anlaufstelle bei entstehender Pflegebedürftigkeit im Alter sind, berichteten, dass ältere Menschen zum Teil nur zögernd Hilfe in Anspruch nehmen. Daher stellten sich zwei Fragen, wie Boggatz berichtet:
Was hält die Betroffenen davon ab, Pflege zu beanspruchen? Und: Wie können Angehörige und Betreuungspersonen auf dieses Zögern reagieren, wenn sie zugleich eine Pflegebedürftigkeit bei den Betreffenden wahrnehmen?
Zwei qualitative Studien des Studiengangs Gesundheits- und Krankenpflege an der FH Salzburg beschäftigten sich mit der Perspektive älterer Menschen bei ihrem Umgang mit entstehender Pflegebedürftigkeit. Ziel war, ein besseres Verständnis für die Beweggründe des zögerlichen Vorgehens zu bekommen. Dabei kamen sowohl noch nicht pflegebedürftige, ältere Menschen zu Wort, als auch Sozialbeauftragte oder Ehrenamtliche, die Senioren in ländlichen Gemeinden beraten. Betreuungspersonen aus betreuten Wohneinrichtungen machten Vorschläge, wie sie bei älteren Menschen mit entstehender Pflegebedürftigkeit auf deren Akzeptanz von notwendiger Pflege hinwirken können, ohne das Recht der Betroffenen auf Selbstbestimmung einzuschränken.
„Bei der Befragung der älteren Menschen zeigte sich, dass einige bezüglich ihrer zukünftigen Pflege angaben, noch sorglos zu sein, dabei aber die Auseinandersetzung mit dem Thema mieden“, so Boggatz. Konkrete Vorbehalte gegen eine Inanspruchnahme von Pflege gab es aus Angst, dadurch Selbstbestimmung und Privatsphäre zu verlieren, als auch aus Scham und einem reduzierten Selbstwertgefühl, die sich aus diesem Verlust von Selbstversorgungsfähigkeiten für sie ergeben würden. Regelmäßiger Kontakt und eine haltbare Vertrauensbeziehung zu den älteren Menschen ist für die Betreuungspersonen eine notwendige Grundlage, um das Auftreten von Pflegebedürftigkeit rechtzeitig zu erkennen und die Problematik anzusprechen. Dies ermöglicht dann auch die schrittweise Akzeptanz von Pflege.
„Vorbehalte gegen Pflege sind ein bislang verkanntes Phänomen“, stellt Boggatz fest. Das hat beträchtliche Auswirkungen auf den Betroffenen, auf die Betreuer und auch auf das Gesundheitssystem.
Verena Kienast, Redakteurin der Springer-Verlag GmbH ist Autorin dieses Beitrags.
FH-Prof. Dr. Thomas Boggatz ist in der Lehre und Forschung an der FH-Salzburg, Studiengang Gesundheits- und Krankenpflege tätig und ist Referent am Pflege-Management Forum am 2. / 3. März 2017 in Wien.