BC: Sie arbeiten im Bereich der Akutpflege: Mit welchen Herausforderungen haben Sie hier am meisten tagtäglich zu kämpfen?
PatientInnen weisen oftmals einen sehr niedrigen Informationsstand über ihre Erkrankung, Therapie und Möglichkeiten der Selbstpflege auf. Hier sind ExpertInnen der Patientenedukation gefragt, evidenzbasierte Modelle und Konzepte in ihre tägliche Praxis zu implementieren. Ziel ist es, die Betroffenen und ihre Angehörigen zu informieren, zu beraten und zu schulen. Dadurch werden PatientInnen empowert, um Verantwortung über ihre Gesundheit und die Kontrolle über ihre Erkrankung zu erlangen. Der Einbezug der Familie ist hier besonders wichtig, da sie mit den PatientInnen zusammenleben und eine große Auswirkung auf das Verhalten der jeweiligen Personen haben. Ich verfolge daher den Ansatz der Familienzentrierten Pflege nach Friedemann.
Eine weitere Herausforderung stellt die multiprofessionelle Zusammenarbeit dar. Alle MitarbeiterInnen versuchen in ihren jeweiligen Professionen das Beste für die PatientInnen zu tun. Jedoch passiert viel mehr um die PatientInnen und ihre Familien herum, als mit ihnen. Ein weiteres Manko ist, dass oftmals die Disziplinen autonom und parallel, anstatt miteinander und in kontinuierlicher Absprache arbeiten. Ich habe daher auf der Station, auf der ich arbeite (Internen IV des Ordensklinikums Linz), das multiprofessionelle Familiengespräch eingeführt.
alle neuerungen auf einen blick?
BC: Was versteht man darunter und wie läuft das im Alltag ab?
Wenn es zu gravierenden Veränderungen der Diagnose und/oder Therapie kommt, setze ich mich mit den PatientInnen, deren Angehörigen, dem behandelnden Arzt, einer Pflegeperson der Station und weiteren Fachdisziplinen wie Entlassungsmanagement, Palliativ, Wundmanagement, Physiotherapie, Psychologie, Diätologie (etc.) an einen Tisch. Wir besprechen gemeinsam den Fall, welche Möglichkeiten wir haben, welche Ressourcen uns zur Verfügung stehen und was es noch braucht. Danach werden Aufgaben an alle beteiligten Personen verteilt und wir einigen uns schriftlich auf den weiteren Behandlungs- und Versorgungspfad. Dadurch weiß jeder was, wann, wie, wo und warum zu tun ist. Dadurch kann ungeplanten Krankenhausaufenthalten entgegengewirkt werden, die PatientInnen und deren Angehörige werden ein aktiver Part der Entscheidungsfindung, zusätzlich werden Ressourcen wie Zeit und Geld eingespart.
BC: Wie unterscheidet sich der Akutpflegebereich von anderen Bereichen? Ist es für junge Leute attraktiver in so einem Bereich zu arbeiten, weil sich ständig etwas tut?
Der Akutbereich ist ein dynamischer Arbeitsplatz, welcher alle Facetten der Gesundheitsversorgung beinhaltet. Wir dürfen PatientInnen durch alle Phasen ihres Lebens und alle Stadien ihrer Erkrankung begleiten. Für junge Leute ist es deshalb ein sehr attraktiver Arbeitsplatz. Im Akutbereich ist es möglich, vieles und dieses intensiv zu erlernen. Zudem schreitet die Technik mit Highspeed voran, regelmäßig ändern sich Behandlungs- und Versorgungswege. Dadurch ändern sich auch immer wieder Arbeitsabläufe und Tätigkeiten, was immens dazu beiträgt, dass es nie langweilig wird.
BC: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen in der Pflege momentan?
Erstens braucht es eine flächendeckende einheitliche Grundausbildung, welche mittels Studiums absolviert wird. Nach dem Diplom hat man als Pflegeperson die Möglichkeit, sich auf verschiedenste Wege weiterzubilden. Ob Sonderausbildung, Weiterbildung oder Studium, es gibt eine ganze Palette an edukativen Maßnahmen, um sich in der Pflege fachlich weiterzuentwickeln. Je mehr Wissen man erwirbt, umso mehr Tätigkeiten kommen auf einen zu – was primär toll ist, da man sich als ExpertIn im jeweiligen Bereich einbringen und die Praxis weiterentwickeln kann. Doch diese Aspekte werden in vielen Krankenhäusern nicht entsprechend bezahlt. Weiters wird die dafür notwendige Zeit nicht zur Verfügung gestellt, das heißt man muss es irgendwie schaffen, in der Regelarbeitszeit die Zusatzaufgaben zu bewältigen. Zudem übernehmen Pflegepersonen in ihrer alltäglichen Arbeit Zusatzaufgaben wie die Rolle der PraxisanleiterIn, Hygienebeauftrage, usw. Obwohl es hier zu einem Mehraufwand in der Praxis kommt, wird dies nur selten mit entsprechender zusätzlicher Dienstzeit und finanzieller Entlohnung getilgt. Das schadet nicht nur dem Personal, sondern auch der Qualität der Arbeit. Insbesondere Pflegepersonen mit Masterstudium haben es schwer. Es scheitert in der Praxis an Extradienstposten mit der entsprechenden Bezahlung und der dafür notwendigen Zeit. Bei manchen führt die neue Jobposition als PflegeexpertIn dazu, dass sie schlechter bezahlt werden als zuvor, da die ganzen Zulagen wegfallen. Das kann einfach nicht sein!
BC: Stichwort Wertschätzung: Zu Beginn der Corona-Pandemie hat der Pflegeberuf einen großen Schub an Wertschätzung erfahren. Mittlerweile ist das wieder in den Hintergrund gerückt, aber die Leistung ist natürlich enorm geblieben. Was kann man langfristig tun, um mehr Wertschätzung in den Pflegealltag zu bringen?
Die Aufwertung der Pflege kann nur durch Skills, Knowhow, fachspezifischen Kompetenzen und Expertise erfolgen. Dies kann nur mit einheitlichen Ausbildungskonzepten erreicht werden. Weiteres müssen ausreichend Dienstposten geschaffen werden, welche mit der notwendigen Arbeitszeit und angemessenem Gehalt entlohnt werden.
Die Pflege muss in der Öffentlichkeit als eine Profession wahrgenommen werden. Niemand diskutiert darüber, ob Hebammen, PhysiotherapeutInnen oder DiätologInnen mittels Lehre ausgebildet werden. Natürlich nicht! Doch in der Pflege wird immer noch darüber diskutiert. Warum? Weil wir nicht als ExpertInnen unserer Profession wahrgenommen werden. Vielen ist nicht bewusst, wie komplex sich die Aufgaben- und Tätigkeitsfelder der Pflege gestalten. Es braucht also das Engagement und die Professionalität der Pflege, aber auch das Mitwirken der Dienstgeber, damit die Pflege in der breiten Bevölkerung als das wahrgenommen wird, was sie ist: Eine eigenständige Profession, die nicht jeder einfach so lernen kann!
BC: Frau Schäfer, vielen Dank für das Interview!
DGKP Denise Schäfer, BSc, arbeitet als Advanced Nursing Practitioner bei den Barmherzigen Schwestern des Ordensklinikums in Linz.
Veranstaltungstipp:
Pflege-Management Forum am 29. / 30. April 2021