Alle reden über die Primärversorgung – aber wie wird sie in Östererich umgesetzt? Es ist die deutsche Übersetzung für „Primary Health Care“. Gemeint ist die Bündelung von gesundheitsbezogenen Anliegen in einer Anlaufstelle – für alle Menschen. Eine solche Anlaufstelle war früher der Hausarzt. Doch während auf dem Land diese zunehmend fehlen, sucht man in der Stadt immer öfter eine Ambulanz auf – was zu deutlich höheren Kosten bei den Sozialausgaben geführt hat. Es braucht neue Versorgungskonzepte.
Startschuss für Primärversorgung Neu erfolgte 2017
Eine gut ausgebaute Erstversorgung ist daher eines der wichtigsten gesundheitspolitischen Vorhaben in Österreich. Umsetzen lässt sich so etwas aber nicht „von heute auf morgen“. Der rechtliche Rahmen für die Neugestaltung ist das 2017 beschlossene Primärversorgungsgesetz. Ein weiterer wichtiger Schritt erfolgte im April 2019: Die Ärztekammer und der Hauptverband der Sozialversicherungsträger haben sich auf einen bundesweiten Gesamtvertrag für Primärversorgungseinheiten (PVE) geeinigt.
Auf regionaler Ebene wird’s konkret: Öffnungszeiten & Co
Im nächsten Schritt folgen regionale Vereinbarungen zu Honoraren und Details zur Ausgestaltung wie etwa Öffnungszeiten. In einigen Bundesländern gibt es solche Vereinbarungen bereits – etwa in Ober- und Niederösterreich. Dort sowie in Wien und der Steiermark wurden bereits 16 PVE eröffnet. Bis 2021 sollen bundesweit 75 weitere folgen.
Dialogforum: Erfahrungsaustausch auf Augenhöhe – mit Profis aus der Praxis
Vier Ärzte, die eine Primärversorgungseinheit – Zentrum oder Netzwerk – betreiben oder sich in der Gründungsphase befinden, werden beim Dialogforum im Herbst über ihre Erfahrungen berichten.
Christoph Powondra von der PVE Böheimkirchen sieht als einen von vielen Vorteilen einer Primärversorgungseinheit die Bündelung von Kompetenzen.
„Dieser ganzheitliche Versorgungsansatz hilft, die ländliche Versorgung langfristig sicherzustellen – denn PVE haben einen hohen Grad an Flexibilität.“
So können Ärzte oder Mitarbeiter jederzeit ein- oder aussteigen, und bei laufendem Betrieb durch Pensionierungen freiwerdende Stellen nachbesetzt werden.
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile!
„Des Weiteren“, so Powondra, „ermöglicht die Arbeit im erweiterten Team eine umfangreiche Versorgung der Patienten, eine schnellere Weiterleitung zu weiterführenden therapeutischen Maßnahmen – sowie ein höheres Maß an Kontrolle durch das Mehraugenprinzip.“ Ein weiterer positiver Effekt sei die Kostensenkung durch Ressourcenbündelung.
Versorgung, wissenschaftlich erforscht
Auch Reingard Glehr wird beim Dialogforum über ihr Netzwerk-Knowhow sprechen. Als Hausärztin in Hartberg ist sie Teil eines Hausärztenetzwerkes, das sich im Aufbau zur PVE befindet. Im Rahmen ihres Lehrauftrags am Institut für Allgemeinmedizin und evidenzbasierte Versorgungsforschung der Medizinischen Universität Graz beschäftigt sie sich wissenschaftlich mit der Bedeutung von interkollegialer und interprofessioneller Zusammenarbeit.
„Ich glaube, dass es für die Umsetzung vielfältige Versorgungsmodelle für unterschiedliche Regionen geben muss. So können hohe Behandlungs- und Betreuungsqualität für die Bevölkerung und hohe Berufsattraktivität und Arbeitsfreude für die beteiligten Gesundheitsberufe gewährleistet werden“, sagt Glehr.
Tolles niederschwelliges Leistungsangebot
Für Wolfgang Hockl vom Primärversorgungszentrum Enns brauchte es dringend eine Erweiterung des Angebots im niedergelassenen Bereich. Eine PVE zu betreiben bedeutet für ihn außerdem, neue Wege zu gehen und die Zukunft mitgestalten zu können: „Das Beste an der Arbeit in der neuen Primärversorgung ist es, mit einem tollen Team Leistungen anbieten zu können, die Patienten nirgendwo sonst so niederschwellig erhalten.“ Und die größte Herausforderung? „In der Gründungsphase viel Zeit zu investieren und dabei die tägliche Arbeit gut zu verrichten.“
„Eine einmalige Chance“
Für Ernst Eicher ist die Primärversorgung die „Basis der medizinischen Versorgung“. Eicher ist Betreiber des PVN - Gesundheitsnetzwerk Raabtal, das ab Oktober 2019 in der Rechtsform eines Vereins den Betrieb aufnehmen wird.
Was bedeutet es für ihn, in einem solchen Netzwerk zu arbeiten? –
„Es ist die einmalige Chance, das Gute am bisherigen Gesundheitssystem weiterzuentwickeln und gleichzeitig ganz neue Qualität in den medizinischen Alltag zu bringen“, so Eicher.
Und die größte Herausforderung in der Gründungsphase? „Die kurzfristige Begeisterung zu langfristiger professioneller Arbeit zu führen.“
Zahlreiche weitere „Praxisberichte“ zum Status quo der Primärversorgung in Österreich – und wie es weitergehen könnte – erfahren Sie beim Dialogforum Primärversorgung NEU am 21. November in Wien. Das Dialogforum ist die österreichweite Informations- und Netzwerkplattform. Im Zentrum stehen aktuelle Informationen, Erfahrungen von Betreibern und Initiatoren von PVE – sowie der Dialog zwischen allen Beteiligten.
Nützen Sie die Gelegenheit, sich zu informieren, ReferentInnen und KollegInnen persönlich kennenzulernen sowie neue Kontakte zu knüpfen!