Von Peter Schentler (Horváth & Partners): Unvorhergesehene Ereignisse wie die Finanzkrise 2008/09, der Brexit oder seit über einem Jahr nun Covid-19 machen Unternehmen und Privatpersonen immer wieder deutlich, dass die Zukunft nicht eine simple Fortschreibung der Vergangenheit ist.
Auch die besten Experteneinschätzungen und/oder ausgefeilte Fortschreibungslogiken auf Basis von Predictive Analytics scheitern bei einer solchen Disruption. Kritische Stimmen behaupten dann immer wieder, dass in Zeiten hoher Unsicherheit Planung nicht sinnvoll sei. Auch wenn es sicherlich richtig ist, dass eine als eindimensionale Zukunftsbetrachtung verstandene Planung in solchen Fällen wenig Nutzen stiftet, ist eine richtig durchgeführte Planung weiterhin einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren, um Unternehmen durch unsichere Zeiten zu führen. Um mit großer Unsicherheit umzugehen, bedarf es in der Planung jedoch der Betrachtung unterschiedlicher Szenarien im Sinne alternativer Zukunftsentwürfe für das Unternehmen, einschließlich der zugehörigen Maßnahmenpläne.
Warum ist Szenariomodellierung essenziell für die Unternehmenssteuerung?
Die Anwendung von Simulationen und Szenarien in der Planung ist nicht neu. Nichtsdestotrotz geraten Simulationen und Szenarien in der Unternehmenspraxis häufig in Vergessenheit. Während sie für Einzelinvestitionen oder -projekte ggf. noch durchgeführt werden, ist auf einer übergreifenden bzw. unternehmensweiten Ebene ihre Anwendung eher selten.
Wir sind der Meinung, dass dieser seltene Einsatz ein Fehler ist. Die Modellierung von Szenarien hilft nicht nur beim Umgang mit hoher Unsicherheit und in Krisenzeiten, sondern sollte generell im Planungsansatz von Unternehmen verankert werden:
- Szenariomodellierung kann jederzeit herangezogen werden, um die Auswirkung wichtiger (strategischer) Entscheidungen zu simulieren, und geeignete Maßnahmen zu entwickeln.
- Vor und während einer Krise kann sie dabei helfen, mögliche Entwicklungen zu skizzieren, Handlungsspielräume auszuloten und die Wertigkeit verschiedener Gegensteuerungsmaßnahmen zu überprüfen.
- Auf dem Weg aus einer Krise kann Szenariomodellierung dabei helfen, alternative Marktentwicklungen sowie dazugehörige Maßnahmen zu betrachten.
Auch wenn die kurz- bis mittelfristige Zukunft absehbar erscheint, zwingt die Szenarien-Betrachtung zu einem Denken in Alternativen. Auf diese Weise erhält das Unternehmen immer proaktive Handlungsmöglichkeiten, die schnelle Reaktionen erlauben. Dies erhöht die Wettbewerbsfähigkeit und senkt das Risiko; man kann durchaus argumentieren, dass eine solche regelmäßige Szenarien-Betrachtung das effektivste aller Risikomanagement-Instrumente ist! Schließlich unterstützen Szenarien konkrete Entscheidungen über wichtige operative und strategische Maßnahmen. So sollte die Maßnahmenwirkung standardmäßig immer vor dem Hintergrund unterschiedlicher Entwicklungen diskutiert werden (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Nutzen der Etablierung einer standardmäßen Szenarien-Modellierung in der Un-ternehmenssteuerung
Was ist bei einem Simulationsmodell zu beachten?
Viele Unternehmen nutzen für ihre Simulationen im Krisenmodus reine Finanzmodelle, wobei jede Veränderung durch einzelne Effekte abgebildet wird. So wird bspw. ein „Wiederanziehen des Marktes in China“ durch zugehörige Umsatzeffekte, Kosteneffekte und Liquiditätseffekte simuliert. Eine solche Modellierung ist relativ einfach umzusetzen, schränkt jedoch die Flexibilität ein (für verschiedenen Hochlauf-Varianten werden jeweils unterschiedliche Effekte benötigt) und es drohen leicht Inkonsistenzen. Zudem lassen sich die Auswirkungen verschiedener Szenarien nur schwer aufsummieren. Eine Modellierung mit Hilfe von Treibern und Maßnahmen – in unserem Beispiel die Absatzmenge – erweist sich hier als der bessere Ansatz (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2: Gegenüberstellung Modellierung mit Finanzeffekten und Treiber-basierte Modellierung am Beispiel „Wiederanlauf China“
Zusammenfassend ergeben sich aus unserer Erfahrung folgende Kernvoraussetzungen für die Modellierung von Szenarien. Es bedarf eines Simulationsmodells, das
- einerseits einfach zu bedienen ist, andererseits auch komplexe Sachverhalte abbilden kann,
- bei der Veränderung von Eingangsgrößen direkt die Auswirkungen auf die zentralen Steuerungsgrößen aufzeigt,
- in sich konsistent ist und fachlich korrekte Ergebnisse liefert sowie
- flexibel anzupassen und zu erweitern ist.
Für den Aufbau von Simulationsmodellen (siehe Abbildung 3) bildet ein Basis-Szenario den Ausgangspunkt. Dieses kann sowohl eine existierende Planung als auch ein Forecast bzw. eine Fortschreibung der aktuellen Situation sein.
Abbildung 3: Aufbau des Modells – Grundlogik und zentrale Komponenten
Dieses Basis-Szenario wird anschließend erweitert, so dass alternative Szenarien entstehen. Ein solches veränderungsbasiertes Vorgehen sichert Effizienz und vermeidet eine aufwendige Neuplanung. Kernelement einer solchen Modellierung ist ein Treibermodell, das verschiedene operative Parameter (zB Veränderungen von Mengen) integriert und in finanzielle Größen übersetzt. Die Treiber repräsentieren wichtige, geschäftsmodellabhängige Hebel. Sie müssen so abgebildet sein, dass eine Treiberveränderung sich auf alle relevanten Größen auswirkt: eine Veränderung der Absatzmenge muss sich sowohl auf die Umsatzerlöse als auch auf die variablen Kosten auswirken. Wichtig ist dabei, ein pragmatisches und „richtiges“ Modell zu erstellen, nicht die höchste Genauigkeit zu erzielen.
Neben den Treibern bilden Maßnahmen die zentrale Eingangsgrößen für die Simulation. Dies können bspw. größere Projekte sein. Je Maßnahme muss die finanzielle Wirkung für den relevanten Horizont in Form eines Business Cases vorliegen. Die Modellierung erfolgt dann durch Ein- oder Abschalten der Effekte („on-off“) einzelner Maßnahmen.
Loslegen – aber wie?
Der Übergang auf eine szenarienbasierte Unternehmenssteuerung kann nicht in wenigen Wochen erfolgen; es ist aber auch kein jahrelanger Prozess. Erste Erfolge können schnell erzielt werden. Die Richtigkeit eines solchen Schrittes dürfte sich spätestens in der nächsten Krise zeigen, in der ein entsprechend aufgestelltes Unternehmen seine Vorteile voll ausspielen kann. Die Umsetzung sollte mit den erfolgskritischsten Integrationselementen starten; bei produzierenden Unternehmen dürfte das fast immer die Verbindung zwischen Absatz- und Produktionsplanung mit dem Finanz-Forecast sein.
Der Aufbau und die Umsetzung eines treiber- und maßnahmenbasierten Simulationsmodells sind immer unternehmensspezifisch. Weder MS Excel noch Planungstools geben inhaltlich vor, wie modelliert wird. Prädestiniert hierfür ist das Controlling, zu dessen Aufgabe die Übersetzung von Geschäftsgrößen in Finanzgrößen gehört und in das der Rolle des „Business Modeler“ den Aufbau unternehmensweiter Simulationsmodelle konzipieren und umsetzen kann.
Ein Verharren in alten Strukturen und Instrumenten stellt aus unserer Sicht keine Option dar – das Controlling sollte sich aktiv für diese Weiterentwicklungen einsetzen und an die Spitze der Veränderungen stellen. Der Anspruch: „Wir modellieren die Zukunft des Unternehmens“ sollte Teil des Selbstverständnisses und Mission Statements jedes Controlling-Teams werden.
Die Langversion dieses Beitrages erschien zuerst in der Zeitschrift CFOaktuell.
Der Autor: Dr. Peter Schentler ist Prokurist bei Horváth & Partners und leitet das Competence Center Controlling & Finance in Österreich. Seine fachlichen Schwerpunkte und Projekterfahrungen liegen in den Themenfeldern Budgetierung, Forecasting, Reporting, Kostenrechnung und Einkaufscontrolling. Er ist Autor von 7 Büchern und hat rund 80 Beiträge zu State-of-the-Art- Themen im Controlling veröffentlicht. Am 20. / 21. Mai 2021 spricht er am CFO Forum 2021 in Stegersbach.