Business Circle: Sehr geehrter Herr Kainer, zunächst eine allgemeine Frage: Sie sind Partner bei Deloitte Consulting, welche Regeln haben Sie in Ihrem Team in Bezug auf Home-Office und Büro-Präsenz und wie lange hat die Umstellung gedauert? Gab es einen Unterscheid zwischen Sommer und zweitem (drittem) Lockdown?
Alexander Kainer: Vielen Dank für die Möglichkeit dieses Interview mit Ihnen zu führen. Wir Berater sind es gewöhnt remote zu arbeiten – sei es beim Kunden oder auf einer Reise. Daher war die Umstellung auf Home Office für mein Team sehr einfach und schnell. Außerdem hat uns unsere IT innerhalb weniger Tage mit entsprechender Hardware und den nötigen Softwarelösungen ausgestattet. Damit konnten wir auch von zu Hause aus unserem gewohnten Tagesgeschäft nachgehen. Deloitte global hat sich von Anfang an sehr strenge Sicherheits- und Gesundheits-Richtlinien auferlegt, die den lokalen Gesetzgebungen oft zuvorgekommen sind. Somit hat es keinen Unterschied zwischen den einzelnen Lockdowns gegeben.
BC: Und etwas Persönliches: Wie hat Sie Ihr Karriereweg gerade zu Strategie, Liquiditäts- und Risikomanagement geführt?
Kainer: Ich habe meine berufliche Kariere im Jahr 2000 begonnen – genau zu dem Zeitpunkt als die Dotcom-Blase geplatzt ist. Somit war der Weg in der Beratung klar vorgeben: Jene Unternehmen unterstützen, die in Finanzierungs- und Ergebnisschwierigkeiten steckten. In dieser Zeit habe ich von sehr erfahrenen Mentoren gelernt, wie man rasch analysiert, Unwichtiges weglässt und sich in kurzer Zeit einen Überblick über die nächsten sechs bis acht Wochen verschafft. Immer mögliche Szenarien für die nächsten Monate im Kopf zu haben, über Risiken der Szenarien Bescheid zu wissen und sich zu überlegen, ob man sich die Risiken leisten kann - dieser Denkansatz ist mir bis heute geblieben.
BC: Zum Spannungsfeld von positive bias und „Numbers dont lie“ wie vermittelt man Ergebnisse, die der Adressat eigentlich nicht hören möchte?
Kainer: Wie Sie schon sagen: Zahlen lügen nicht. Ich bin da immer ganz ehrlich mit meinem Kunden und versuche gleichzeitig einen konkreten Lösungsvorschlag und eine strukturierte Vorgehensweise anzubieten. Für heikle Themen ist natürlich ein persönliches Gespräch face-to-face sehr hilfreich, was aktuell nicht ganz so einfach ist. Dennoch versuche ich meinen Kunden die Ergebnisse unsere Analysen so direkt wie möglich zu übermitteln und auf keinen Fall die Zahlen schön zu reden. Ich bin überzeugt, dass eine direkte Herangehensweise – wenn auch am Anfang etwas unangenehm – eine transparente Übersicht der Situation ermöglicht, an der man dann gemeinsam arbeiten kann.
BC: Inwiefern kann man sagen, dass COVID-19 bestehende Krisenszenarien einem Stresstest unterzogen hat?
Kainer: Die COVID-19-bedingten Lockdowns und der damit einhergehende Wirtschaftseinbruch haben sich unterschiedlich auf die Industrie ausgewirkt. Einige unsere Kunden schaffen es kaum, die aktuelle Nachfrage an Gütern zu decken – auch bedingt durch eine starke Reduktion der Kapazitäten und durch Lieferengpässe. Viele müssen aber auch den Rotstift ansetzen und hoffen auf ein baldiges Ende der staatlichen Restriktionen. Stresstests ergeben sich hier für beide Seiten: Die einen müssen schauen, wie sie ihre Produktion erweitern und effizienter machen können, während andere Kosten einsparen müssen. In jedem Fall mussten die Unternehmen aber bisherige Strategien und Business-Pläne verwerfen und komplett neugestalten. Aber eines ist aktuell jedenfalls notwendig: in sehr extremen Szenarien denken.
BC: Eine Frage, die sich beim Implementierten neuer Tools immer stellt: wie überwindet man am besten Widerstände, welche sich daraus speisen, dass Mitarbeiter befürchten, sich selbst, oder zumindest ihre Arbeit überflüssig zu machen?
Kainer: Unsere Tools machen Prozesse effizienter, minimieren Risiken und reduzieren die Fehlerquote. Das versuchen wir immer auch unseren Kunden und deren Mitarbeitern klar zu machen – wir wollen alle mit ins Boot holen. Das Potential der Tools muss im Endeffekt von den Mitarbeitern selbst ausgeschöpft werden – und das gelingt nur, wenn diese überzeugt sind, dass das Tool sie unterstützt und nicht ersetzen soll. Heutzutage muss alles immer schneller gehen und es gibt immer mehr Daten. Da können unsere Tools bei Entscheidungen unterstützen und wichtige Prozesse dokumentieren.
BC: Sie werden in Ihrem Vortrag auf der RECON auch 2 ausgewählte Praxisbeispiele präsentieren, wo mit Hilfe eines implementieren Tools das Liquiditäts- und Risikomanagement effektiv durchgeführt wurde:
Kainer: Genau – in diesem Rahmen werde ich zwei Tools vorstellen, die wir vor allem während der COVID-19-Krise erfolgreich implementiert haben: Unser Hedging- und Risikomanagement-Tool, das auf Marktdaten der letzten Jahre zugreift und damit marktbasiert Entscheidungen treffen kann, sowie unser Liquiditätsmanagement-Tool, das innerhalb von kurzer Zeit einen Forecast zur Liquidität des Unternehmens ermöglicht.
Eines haben wir im letzten Jahr professionalisiert: Nach der Definition der Strategie und der Ziele, bilden wir direkt die ersten Szenarien ab und passen danach unser Modell wöchentlich an – so können wir bereits nach wenigen Wochen einen stabilen Forecast vorzeigen.
• BC: Wie lange dauerte es, bis sich erste greifbare Erfolge einstellten?
Kainer: Nachdem eine gemeinsame Strategie mit dem Kunden entwickelt und definiert wurde, kann mit dem jeweiligen Tool ermittelt werden, zu welchem Zeitpunkt welche Entscheidungen gefällt oder Tätigkeiten ausgeübt werden sollten. Damit sind schon innerhalb weniger Wochen erste Erfolge zu realisieren. Das Hauptziel jedoch, ist es, Risiken langfristig zu minimieren und somit die Liquidität und das Ergebnis des Unternehmens transparenter und stabiler zu machen.
• BC: Anhand welcher Kennzahlen messen Sie Erfolge?
Kainer: Für jeden Kunden werden individuelle Kennzahlen und KPIs definiert. Im Endeffekt sind aber vor allem Kosten, Liquidität und das Ergebnis jene Kennzahlen, die die Unternehmer am meisten interessieren.
• BC: Wie lange dauerte es, bis sich der Aufwand amortisiert hatte, ab wann „rechnete“ sich das Projekt?
Kainer: Auch das ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich. Das Aufsetzten des Tools und die Definition der Strategie kann theoretisch in einem gemeinsamen Workshop innerhalb eines Tages fertiggestellt werden. Je nach Strategie kann die Implementierung bereits mit der ersten Entscheidung des Tools amortisiert werden. Das Ziel ist aber Stabilität und Risikominimierung – und das kann am besten im Vergleich zum Vorjahr überprüft werden.
Es wird nicht mehr so sein, dass der Mensch sich an das Tool anpassen muss
BC: Ein Blick in die Zukunft: Wie wird sich die Schnittstelle von Technik-Tool und Mensch weiterentwickeln?
Kainer: Die technischen Möglichkeiten von heute waren vor ein paar Jahren noch kaum vorstellbar. Ich denke, dass sich die Technik auch in den nächsten Jahren extrem schnell weiterentwickeln wird. Das bedeutet unter anderem, dass Tools immer personalisierter werden und individuell angepasst werden können. Es wird nicht mehr so sein, dass der Mensch sich an das Tool anpassen muss – vielmehr wird sich die Software an den Menschen anpassen. Somit kann die Interaktion zwischen Tool und Menschen immer verbessert werden.
BC: Abschließend: Wie sehen Sie die Aus- und Weiterbildung im Bereich Liquiditäts- und Risikomanagement in Österreich aufgestellt, gibt es genügend qualifizierte Einsteiger für die kommenden Herausforderungen?
Kainer: Wir sehen, dass viele Berufseinsteiger technisch gesehen hervorragend vorbereitet sind: Analytisches Denken und eine gewisse IT-Affinität bringen bereits viele mit. Die Herausforderung liegt eher in der praktischen Anwendung. Um einen validen Liquiditäts- und Risiko-Forecast zu erstellen, benötigt man die Fähigkeit Annahmen auf hoher Abstraktionseben mit geringer Abweichung zur Realität tätigen zu können. Dazu sind zwei Eigenschaften wichtig: soziale Kompetenzen in der Zusammenarbeit mit Kollegen und Kunden und die Fähigkeit sich ein eigenes Bild machen zu können. Hier sehe ich Lücken in der Ausbildung - selbst Top-Absolventen sind eher darauf geschult Ergebnisse kritisch zu hinterfragen, als in der Synthese von eigenen Erwartungen.
DI Alexander Kainer ist Partner bei Deloitte Consulting und verantwortet den Bereich Strategie. Er hat langjährige Erfahrung im Bereich Industrie und Infrastruktur, wo er Transformationen zur Wertsteigerung begleitet. Auf der RECON wird er am 10. September 2021 anhand von zwei Praxisbeispielen darstellen, wie ein effizientes Liquiditäts- und Risikomanagement aussehen kann