Business Circle: Sehr geehrter Herr Bühner, Sie leiten das Nachhaltigkeitsmanagement der EGGER Gruppe.. Wie haben Sie vor einem Jahr den Übergang ins Homeoffice gemeistert und wie stellt sich das in der jetzigen Situation dar?
Moritz Bühner: Mein Arbeitsweg dauert eine Stunde pro Strecke, da habe ich auch schon vor der Pandemie gerne vom Homeoffice Gebrauch gemacht. Viele meiner Mitarbeiter und Kollegen sitzen an anderen Standorten in Österreich und Deutschland, wir haben Werke und Kunden in der ganzen Welt – dass man aus der Ferne effektiv zusammenarbeitet, gehört schon länger zu meinen Herausforderungen. Wenn man sich schon persönlich kennt, präzise abstimmt, Projektmanagement betreibt und alle Kommunikationsmedien klug nutzt, klappt es wunderbar. In der aktuellen Lage bin ich einen Tag pro Woche im Büro präsent – was sicherstellt, dass auch der informelle Kommunikationsfluss nicht zu kurz kommt.
BC: Etwas Persönliches: wenn Sie uns vielleicht in wenigen Worten skizzieren können, wie Sie zu dem gekommen sind, was Sie jetzt tun?
Bühner: Zivildienst – BOKU-Studium – Ökobilanz-Softwarebude – Weltreise ohne Flugzeug – Produktmanagement – Nachhaltigkeitsmanagement. Weniger geht nicht ;)
BC: Sie werden auf der RECON 2021 gemeinsam mit Katharina Schönauer vortragen. Die von ihr vorgestellte Studie zum Nachhaltigkeitsreporting sieht Österreich zwar mit steigendem Trend, aber noch etwas unter dem Durchschnitt. Was müsste getan werden, um, den Trend weiter zu verstärken?
Bühner: Da müssen Sie die Entscheider dieser Unternehmen fragen... Bei Egger kümmern wir uns seit ein paar Jahren verstärkt darum, die vorhandene Langfristorientierung auch öffentlich sichtbar zu machen. Um Vertrauen aufzubauen, muss man Transparenz als Chance begreifen, statt als Risiko. Es führt leider auch kein Weg daran vorbei, sich mit den etablierten Standards näher zu beschäftigen – gut ist, dass niemand das Rad neu erfinden muss. Die Berichtsstandards sind ausgereift und perfekt dokumentiert. Aber man sollte auch nicht unterschätzen, wie viel Zeit es kostet, zu verstehen wie die Radmuttern funktionieren. Um den Karren mit seinem Kerngeschäft zu beladen und im Terrain der externen Prüfung sicher zu beherrschen, dafür braucht es ein paar Jahre Fahrpraxis...
BC: Damit das nicht nur Top-down durch Vorgaben und Zwänge funktioniert: wo liegen die Vorteile für Unternehmen?
Bühner: Unmittelbar schärft eine jährliche Berichterstattung, gerade in Abteilungen, die von Haus aus nicht so quantitativ gestrickt sind, das Bewusstsein für den Wert und die Aussagekraft von Kennzahlen. Auch die zwingend erforderliche abteilungsübergreifende Zusammenarbeit stiftet Nutzen.
Auf lange Sicht schafft eine gelungene Nachhaltigkeitsberichterstattung Vertrauen in der Öffentlichkeit. Ein gutes Image hilft nicht nur beim Absatz der Produkte, sondern sorgt für ein kooperatives Umfeld, im Betrieb und besonders bei der Erweiterung von Standorten, vergrößert den Kreis von Finanzierungsinstrumenten, bindet Mitarbeiter, steigert Bewerbungen, besonders bei höheren Qualifikationen. Wer die Analyse von Sozialaspekten und Umweltauswirkungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette fundiert betreibt, findet garantiert Innovationspotenzial und viele Möglichkeiten für Partnerschaften und neue Geschäftsmodelle.
BC: Um noch einmal auf das grüne Image einzugehen: wie lässt sich „Greenwashing“ am besten vermeiden oder zumindest bekämpfen?
Bühner: Eine wichtige Rolle spielt eine kritische Öffentlichkeit, die es anprangert. Den größten Hebel hat aber der Kunde. Ein Kunde kann im Verkaufsgespräch direkt spiegeln, dass er entweder ernsthafte Bestrebungen und fundierte Aussagen sehen möchte, oder keine Aussage zu Nachhaltigkeit – das ist eine unterschätzte, oft aber eine gute Option. Dass aus schnell gebastelten Feigenblättern oder tatsächlich irreführenden Aussagen ein echter Kundennutzen entsteht, bezweifle ich. Indirekt wirkt sich natürlich die des Wahl des Lieferanten oder das Kaufverhalten der Endkunden auch auf Marktanteile aus. Wer ernsthaft und mit einem langen Atem seine Nachhaltigkeitsleistung verbessert, sitzt besonders in Zeiten von Social Media am längeren Hebel.
BC: Was man nicht messen kann, kann man auch nicht steuern: Wie messen Sie Nachhaltigkeit, welche Kennzahlen verwenden Sie?
Bühner: Wir richten uns nach dem GRI Standard, de facto das Standard-Rahmenwerk für internationale Unternehmen. In unserer Wesentlichkeitsanalyse haben wir 16 Themen herausgearbeitet. Fast jedes können wir inzwischen mit GRI-konformen Zahlen untermauern. Das ist über die letzten Jahre immer besser geworden; im Egger-Nachhaltigkeitsbericht 2020 sind insgesamt 50 sogenannte themenspezifische Angaben enthalten. Manche Themen sind so branchenspezifisch, dass wir auch zusätzliche, nicht von GRI definierte KPIs verwenden.
Zehntausende Hektar Wald gerettet
BC: Möchten Sie uns vielleicht ein besonders gelungenes Nachhaltigkeitsprojekt aus Ihrer eignen Praxis kurz vorstellen?
Bühner: Wir setzen in der Produktion von Spanplatten Altholz ein. In Westeuropa ist das in guter Menge und Qualität verfügbar, dank einer ausgeprägten Recyclingkultur mit der nötigen Infrastruktur zum Trennen, Sammeln und Aufbereiten. In unserem rumänischen Werk gab es früher keine vergleichbare Infrastruktur, damit wollten wir uns nicht zufrieden geben. Über die Jahre haben wir drei Sammelstellen ins Leben gerufen und mit vielen Partnern an einem Strang gezogen. Inzwischen können wir auch in Rumänien das Altholz so gut verwerten, dass jedes Jahr zehntausende Hektar Wald geschont werden. Damit haben wir unsere Versorgungssicherheit verbessert und binden den Kohlenstoff von alten Möbeln, Verpackungen und Bauholz ein weiteres Produktleben lang im Holz.
BC: Wenn Sie jetzt 5 Jahre zurück sehen und dann über den Vergleich mit heute nach vorn: Wie könnte die Nachhaltigkeitsberichterstattung im Jahr 2026 aussehen?
Bühner: Jedes Unternehmen hat eine langfristig angelegte Vision, um seinen eigenen Erfolg und das „große Ganze“ in Einklang zu bringen. Dabei konzentriert sich jeder auf die relevanten großen Hebel im eigenen Einflussbereich. Die damit verbundenen Anstrengungen wecken auch bei Zielgruppen, die keine jahrelange ESG-Analysten-Praxis mitbringen, Begeisterung. Die Form emanzipiert sich von trockenen Berichten hin zu interessanten Puzzlestücken, die sich multimedial ergänzen. Bei Bedarf stehen ausführliche Quellen öffentlich bereit zum Faktencheck. Die „Nerds“ und Ratings sorgen im Hintergrund für die Belastbarkeit der Aussagen, denn für diese wenigen, aber wichtigen Multiplikatoren hat man alle „hard facts“ bereits vorsorglich ausgewogen, standardkonform und vorgeprüft aufbereitet.
BC: Wie schaut es mit der Aus- und Weiterbildung aus: gibt es genügend qualifizierte Einsteiger und Nachwuchskräfte?
Bühner: Ja! Dankenswerterweise haben viele junge Menschen schon ein paar Jahre vor der Wirtschaft erkannt, dass sie an der Nachhaltigkeitstransformation aktiv mitwirken möchten. Interdisziplinäre Angebote von Universitäten und Fachhochschulen für nachhaltige Bildung wurden im letzten Jahrzehnt flächendeckend umgesetzt. Eine verantwortungsvolle Wirtschaft kann man inzwischen von vielen Basis-Blickwinkeln aus studieren: Nicht nur BWL/VWL, sondern zum Beispiel auch Ethik/Philosophie, Naturwissenschaft, Ökologie, Technik oder Landwirtschaft. So ein breites Angebot qualifiziert prinzipiell für Forschung, NGO, öffentliche Verwaltung und Wirtschaft. An guten, ganzheitlich denkenden Absolventen mangelt es nicht. Studierenden empfehle ich trotzdem, einen Schwerpunkt zu setzen, um sich für eine bestimmte Anwendung des Nachhaltigkeitsmanagements zu qualifizieren, und diesen Fokus z.B. mit entsprechenden Wahlfächern und Praktika gezielt zu untermauern. Je besser man sich fokussiert, desto eher macht man Karriere, und verschafft sich im selben Atemzug die größtmöglichen Hebel für die Transformation.
Moritz Bühner leitet das Nachhaltigkeitsmanagement der EGGER Gruppe. Vorher war er als Experte im Produktmanagement für Nachhaltigkeitsbewertungen und Umweltmarketing zuständig. Am 9. September 2021 spricht er auf der RECON zum Thema „Sustainable Accounting“