Über die Reife der KI-Technologien und der Organisation für eine erfolgreiche KI-Integration
Künstliche Intelligenz birgt das Potenzial der Optimierung von Abläufen, Ergebnissen und Entscheidungen. Wie reif diverse KI-Technologien sind, welche Voraussetzungen für eine erfolgreiche KI-Integration zu erfüllen sind und welche Herausforderungen in der Organisation zu adressieren sind, um das Potenzial dieser Technologien auszuschöpfen, wird in diesem Beitrag adressiert.
1. KI-Anwendungen für Finance, Rechnungswesen und Controlling
Während die einen eine KI-gesteuerte Zukunft heraufbeschwören, möchten sich die anderen nicht auf künstliche Intelligenz verlassen. Für das erfolgreiche Wirtschaften und das langfristige Fortbestehen einer Organisation wird es allerdings unumgänglich sein, die unter dem Begriff der künstlichen Intelligenz subsummierten Technologien in ihre Abläufe zu integrieren. Dazu sind Entscheidungen nötig, welche KI-Technologien für welche Zwecke und zu welchem Zeitpunkt Einzug in die Strukturen einer Organisation halten sollen. Diese Entscheidungen sind einerseits von der Reife der Technologie abhängig, andererseits aber ebenso vom digitalen Reifegrad der Organisation. Das organisationale Umfeld ist sorgfältig auf die KI-Integration vorzubereiten. Welche Voraussetzungen für eine erfolgreiche KI-Integration in den Bereichen Finance, Rechnungswesen und Controlling zu erfüllen sind und welche Herausforderungen zu adressieren sind, um das Potenzial dieser Technologien auszuschöpfen, wird im Folgenden diskutiert.
1.1. Ausgereifte KI-Technologien
Ausgereifte KI-Technologien zur Anwendung in der Finanz- und Controllingorganisation zeichnen sich dadurch aus, dass es bereits ein breites Spektrum an Erfahrungswerten damit gibt und diese Lösungen in diversen Unternehmen bereits als Standard-Anwendungen integriert sind und / oder dass es eine einfache Anwendung der KI-Lösung ist, die keine anspruchsvollen Technologie- oder Programmierkenntnisse voraussetzt und diese Lösungen daher einen zuverlässigen Output liefern.
KI-Einsatz für Datenanalysen, BI und Planung
KI-Lösungen für die Datenanalyse und Visualisierung können der Kategorie der ausgereiften Lösungen zugeordnet werden. Sie optimieren beispielsweise Treiberanalysen und Forecasts oder erstellen Simulationsmodelle. Auch in den Business Intelligence Lösungen diverser Anbieter sind ausgereifte künstliche Intelligenzen implementiert, um automatisiert Visualisierungen bis hin zu Dashboards und Storyboards zu erstellen.
Analytische KIs kommen auch zur Anomalie-Erkennung zum Einsatz. Anwendungen im Bereich der Datenqualitätsprüfung, Datenvalidierung, aber auch zur Betrugserkennung sind bereits etabliert.
Die Kapazitäten der KI, Daten zu analysieren und zu prognostizieren, kann auch im Planungsprozess genutzt werden. So können Machine Learning-Modelle in allen Bereichen der Unternehmensplanung vom kurzfristigen Forecast bis zur mehrjährigen Mittelfristplanung unterstützend zum Einsatz kommen. Neben KI-generierten Forecasts von finanziellen und nichtfinanziellen Kennzahlen, kommt KI auch zur Vorhersage von businessrelevanten Ereignissen zum Einsatz (Kaufwahrscheinlichkeit, Kündigungswahrscheinlichkeit, Wahrscheinlichkeit eines Vertragsabschlusses, einer Kreditrückzahlung, etc.).
Automatisierte Rechnungsverbuchung mit KI
Reif für die Implementation in Organisationen sind ebenso KI-Lösungen, die der Klassifikation dienen, sei es zum Zweck der Erkennung und Kategorisierung von numerischen Daten, Texten oder Bildern. Angewandt werden Klassifikationsmodelle bereits erfolgreich für das Auslesen von Informationen auf Rechnungen oder anderen digitalen Dokumenten. In Kombination mit RPA-Lösungen (Robotic Process Automation) werden Klassifikationsmodelle zur automatisierten Erkennung und Verbuchung von Rechnungen bereits in zahlreichen Unternehmen erfolgreich eingesetzt.
Demselben Prinzip folgen KI-Anwendungen zur Extraktion und Klassifikation von Informationen aus Dokumenten. Mittels Zeichenerkennung (Optical Character Recognition) können Informationen automatisiert erkannt, ausgelesen und verarbeitet werden.
1.2. KI-Technologien zum Einsatz erster Use-Cases
Alle bisher angeführten KI-Lösungen sind der sogenannten analytischen KI (auch prädiktive KI oder traditionelle KI genannt) zuzuordnen. Lösungen im Bereich der analytischen KI sind bereits ausführlich erprobt und in einer Vielzahl an Tools diverser Anbieter integriert. Der analytischen KI gegenüber steht die generative KI – eine künstliche Intelligenz, die dem Zweck dient, Content zu generieren. Dazu gehören Large Language Models (LLMs) zum Erstellen von Texten (z.B. Chat GPT, Google Bard) genauso wie Modelle zum Generieren von Bildern (text to image), Audioformaten oder Videos. Auch das Transformieren von Audioaufzeichnungen in Text (speech to text) oder zum Generieren von Programmiercode (text to code) gehören zu den Funktionalitäten generativer KI. Da generative Modelle im vergleich zu analytischen Modellen relativ neu für Anwender*innen zur Verfügung stehen, sind die verfügbaren Lösungen zur Anwendung in der Finanz- und Controlling-Organisation bislang wenig erprobt und etabliert. Erste Erfahrungen mit entsprechenden Tools, die auf generative KI setzen, z.B. Chat Bots für Accounting Manuals, sind jedoch vielversprechend.
Sprachgesteuerte Abfragen & Text-to-Code
Im Grunde ist die Einbindung eines Sprachmodells in jedes Tool, das in einer Organisation zur Anwendung kommt, zum Zweck der sprachgesteuerten Bedienung denkbar. Erste Tools, die diesen Ansatzes verfolgen, gibt es beispielsweise im Business Intelligence & Dashboarding-Bereich. Hier dient das Sprachmodell dazu natürliche, menschliche Sprache in einen Bediencode zu transformieren, der dann an das BI-Tool übermittelt wird, sodass dort die gewünschten Analysen und Visualisierungen erstellt werden. Interessant ist dieser Ansatz, weil dafür keine Daten an die KI zur Verarbeitung übermittelt werden. Die generative KI übersetzt lediglich menschliche Sprache in Abfrage-Code. Der Zugriff auf die Daten des Unternehmens bzw. der Organisation erfolgt intern via das Analysetool, nicht aber durch die KI.
Durch Text-to-Code Generatoren wird es möglich Abfragen und Anwendungen aller Art, die mittels Programmiercodes gesteuert werden, mittels Texteingabe zu bedienen. SQL-Abfragen können ebenso von generativen KIs erstellt werden, wie Python-Codes für unternehmensspezifische Anwendungen. Die Abhängigkeit der Fachabteilungen Rechnungswesen und Controlling von der IT werden dadurch reduziert.
Reporting mit KI
Ist in der Organisation eine entsprechende Datenbasis vorhanden, können finanzielle und nichtfinanzielle Berichte bereits seit einiger Zeit automatisiert, beispielsweise durch Systemintegration und unter Einsatz von RPA-Lösungen, erstellt werden. Das Potenzial von generativer KI liegt darin, Visualisierungen von Daten zu erstellen, Dokumente und Präsentationen zu generieren und Interpretationen von Kennzahlen und Diagrammen zu liefern. Auch das Erstellen von Texten für Anhänge oder nicht-finanzielle Berichte können LLMs erleichtern.
Optimieren von Abläufen
Erste Erfahrungsberichte gibt es über die Verwendung von LLMs zur Unterstützung diverser Abläufe in der Finanz- und Controllingorganisation. Stöckl und Angerbauer (2023) berichten beispielsweise vom Versuch der Anwendung von Chat GPT zur Risikoanalyse der Lenzing AG.
Es ist möglich, ein Sprachmodell in eine Unternehmenslandschaft zu integrieren, sodass dieses für die Organisation spezifische Dokumente, beispielsweise Verträge, erstellt. Die dafür angebotenen Lösungen sind so gestaltet, dass das Sprachmodell vorab trainiert wurde, um die Sprache zu erlernen, dann in die Unternehmenslandschaft integriert wird, um die „Sprache des Unternehmens“ inklusive der unternehmensspezifischen Inhalte zu erlernen. Sobald das Modell allerdings in die Unternehmenslandschaft integriert wird, wird die Verbindung zum Anbieter gekappt, sodass keine Daten aus dem Unternehmen herausgetragen werden. Das Modell wird dann ausschließlich innerhalb der Organisation und seiner Datenumgebung betrieben. So werden Bedenken hinsichtlich der Weitergabe sensibler Informationen aus der Organisation an KI-Anbieter ausgeräumt.
KI-Lösungen, die allgemeine administrative Abläufe „beobachten“ und dadurch das Anwenderverhalten erlernen, um infolge Anwender*innen bei Routinetätigkeiten zu unterstützen, sind ebenfalls bereits am Markt verfügbar. So werden Tätigkeiten wie das Erstellen von Präsentationen, Schriftverkehr oder häufig ausgeführte Bearbeitungsschritte in Text- oder tabellarischen Dokumenten von einer KI unterstützt.
Das Potenzial des Einsatzes generativer KI in der Organisation geht weit über die hier thematisierten Anwendungsfelder hinaus, wie beispielsweise von Leitner-Hanetseder et al. (2023) beschrieben. Die KI-Anwendung in den Bereichen Finance, Rechnungswesen und Controlling schreitet aktuell mit rasantem Tempo voran, sodass stetig neue Lösungen den Reifegrad erreichen, der zur effektiven Anwendung in Organisationen notwendig ist.
2. Voraussetzungen für eine erfolgreiche KI-Integration
Damit künstliche Intelligenz in der Organisation sinnvoll eingesetzt werden kann, sind nicht nur ausgereifte Technologien und Tools erforderlich. Auch vonseiten der Organisation sind eine Reihe an Voraussetzungen zu erfüllen, damit KI-Technologien zielführend integriert werden können. Zunächst ist zu entscheiden, zu welchem Zweck KI eingesetzt werden soll und welche Technologie bzw. welches Modell oder welche Lösung zur Anwendung kommen soll. KI kann sinnvoll für Aufgaben verwendet werden, die wiederkehrend und weitgehend standardisiert sind. Darüber hinaus können große Datenmengen erfasst, bearbeitet und verdichtet werden. Information kann so aus großen Datenmengen extrahiert werden. Auch kann generative KI für das Explorieren neuer Möglichkeiten genutzt werden, sodass sich Anwender*innen Anregungen von der KI holen. Somit bleibt die KI-Anwendung nicht auf homogene repetitive Aufgabenbereiche beschränkt.
2.1. KI trainieren und Datenqualität gewährleisten
Jedenfalls ist eine angemessen organisierte Daten- bzw. Informationsarchitektur Voraussetzung für den Einsatz von KI. Eine KI kann nur dann sinnbringend eingesetzt werden, wenn ihr Algorithmus auf der Grundlage vorhandener Daten und Abläufe trainiert werden kann. Dazu ist die Anbindung in eine entsprechende Datenumgebung notwendig. Da das Ergebnis, das ein KI-Modell erzeugt, von den Trainingsdaten abhängig ist, ist die Datenbasis (seien es numerische Daten, Textdaten oder andere Formate) entsprechend aufzubereiten. Dabei muss nicht nur eine hohe Datenqualität sichergestellt werden. Häufig ist auch eine Bearbeitung der Datenbasis notwendig, damit diese frei von Biases und anderen ungewollten Inputs ist. Die Aufbereitung des Trainingsmaterials für die KI ist in vielen Fällen anspruchsvoll.
Neben der künstlichen Intelligenz ist auch die humane auf die KI-Integration vorzubereiten. Es bedarf einer Weiterentwicklung der Kompetenzen von Mitarbeiter*innen, um KI erfolgreich anzuwenden. Nicht nur digitale Anwendungskompetenzen, sondern auch das Bewusstsein für einen angemessenen, verantwortungsvollen Umgang mit KI ist zu schulen.
2.2. KI betreiben und Datenhoheit sicherstellen
Auch die IT-Umgebung ist auf die Einbindung der KI vorzubereiten. Notwendige Maßnahmen zur Sicherstellung der benötigten IT-Kapazitäten sind genauso zu treffen wie Überlegungen zur Datenhoheit. Damit hängt die Entscheidung zusammen, welche Lösung in die Organisation integriert wird und wie die Daten- bzw. Informationsflüsse zwischen der KI-Lösung, dem Anbieter und dem Anwender gestaltet sind. Sollen keine organisationsinternen Informationen in ein fremdbetriebenes KI-Modell zurückfließen, wird entweder ein eigenes KI-Modell in die Architektur der Organisation integriert oder es werden Maßnahmen getroffen, wie das Modell genutzt werden kann, ohne dass ein Zugriff auf die originären sensiblen Daten der Organisation stattfindet. Ein Beispiel wäre das oben beschriebene Setting, in dem die KI sprachgesteuert Code generiert, die Anwendung des Codes auf die Unternehmensdaten dann jedoch innerhalb der Organisationsarchitektur stattfindet.
2.3. KI-Sicherheit gewährleisten
Genauso wie Organisationen verantwortlich sind, die Sicherheit der eigenen Daten zu gewährleisten, ist auch die Sicherheit der verwendeten KI-Modelle sicherzustellen. Das KI-Modell ist vor manipulativen Zugriffen von innen und von außen zu schützen und ein entsprechendes Monitoring ist angezeigt. Auch Anwenderrechte und Zugriffsmöglichkeiten der Anwender*innen auf das KI-Modell sind entsprechend zu gestalten.
2.4. Regulatorische Bestimmungen beachten und ggf. Compliance-Richtlinien definieren
Da mit dem erwarteten Inkrafttreten des Artificial Intelligence Act der Europäischen Union eine Reihe an regulatorischen Bestimmungen für die KI-Anwendung wirksam werden, sind Organisationen dazu angehalten die Risiken, die durch die KI-Integration entstehen, zu bewerten. Fällt eine KI-Anwendung in die durch die EU definierte Hochrisikogruppe, sind entsprechende Monitoring-Maßnahmen zu implementieren. Auch andere Rechtsmaterien kommen ggf. zur Anwendung, beispielsweise die Datenschutzgrundverordnung oder das Urheberrecht. Die Europäische Union empfiehlt Unternehmen und Organisationen, die künstliche Intelligenzen entwickeln, betreiben oder anwenden, Compliance-Richtlinien zu definieren, um eine ethische KI-Anwendung sicherzustellen. Entsprechende Empfehlungen wurden beispielsweise von der High-Level Expert Group on AI of the European Commission und der IEEE Global Initiative on Ethics of Autonomous and Intelligent Systems (2019) formuliert. Einige Unternehmen, die KI-Technologien entwickeln, haben eigene Compliance-Richtlinien definiert und es gibt Ansätze KIs so zu gestalten, dass sie möglichst transparent und verlässlich funktionieren. Sie werden unter dem Begriff trusted AI diskutiert. Organisationen wird empfohlen, eine solche vertrauenswürdige KI-Anwendung zu gewährleisten.
2.5. Technologieentwicklung beobachten und Anwendung evaluieren
Eine letzte hier thematisierte Herausforderung, mit der Organisationen konfrontiert sind, ist die Schnelllebigkeit der Entwicklung. Der technologische Fortschritt im Bereich der künstlichen Intelligenz hat ein rasantes Tempo angenommen und stetig werden neue Tools und Lösungen präsentiert, die künstliche Intelligenzen integrieren. Diese Entwicklungen zu beobachten und in den Austausch mit anderen Organisationen hinsichtlich Use-Cases und Erfahrungswerten zu treten, kann die Entscheidungsfindung unterstützen.
3. Auf den Punkt gebracht
Über den Erfolg der KI-Integration entscheidet nicht nur der Fortschritt der Technologieentwicklung, sondern auch der Reifegrad der Organisation. Vorzubereiten sind die IT-Infrastruktur und Trainingsdaten, gegebenenfalls ist die Datenarchitektur der Organisation anzupassen. Neben den Entscheidungen hinsichtlich der Anwendungsfelder und Tools sind Vorkehrungen für die Daten- und Modellsicherheit zu treffen und Fragen zur Datenhoheit zu klären. Auch ein Compliance Framework sollte definiert werden. Während analytische KI-Applikationen bereits gut erprobt sind und in diversen Kontexten erfolgreich eingesetzt werden, sind generative KIs in beispielhaften Use-Cases in Anwendung. Auch erste Tools, die sich generativer KIs bedienen, um Aufgaben in den Bereichen Finance, Rechnungswesen und Controlling zu erleichtern, sind verfügbar. Durch den rasanten Fortschritt der Entwicklung künstlicher Intelligenz sind deutliche Veränderungen in den Arbeitsabläufen der Organisation zu erwarten. Diese gilt es proaktiv zu gestalten. Die künstliche Intelligenz ist kein kurzfristiger Technologietrend. Sie ist bereits zum Game-Changer in der Finanz- und Controllingorganisation avanciert.
Referenzen
High-Level Expert Group on AI of the European Commission. 2019. Ethics guidelines for trustworthy AI. https://digital-strategy.ec.europa.eu/en/library/ethics-guidelines-trustworthy-ai, 29.11.2023.
IEEE Global Initiative on Ethics of Autonomous and Intelligent Systems. 2019. Ethically Alighned Design. A Vision for Prioritizing Human Well-being with Autonomous and Intelligent Systems. https://sagroups.ieee.org/global-initiative/wp-content/uploads/sites/542/2023/01/ead1e.pdf, 29.11.2023.
Leitner-Hanetseder, Susanne, Heimo Losbichler und Fabian Altendofer. 2023. Generative KI im Controlling. CFO aktuell, 005/2023, S. 168 – 172.
Stöckl, Andreas und Günther Angerbauer. 2023. Risikoidentifikation mit ChatGPT. CFO aktuell, 004/2023, S. 149 – 152.
Die Autoren:
Dr. Karin Wegenstein
ist Leiterin des Masterstudiums Controlling & Business Intelligence der Fachhochschule Wiener Neustadt.
Dr. Mirko Waniczek
ist Partner bei Ernst & Young Management Consulting.
Veranstaltungstipp:
RECON in Congresshotel Sonnreich, Loipersdorf