Business Circle: Sehr geehrter Herr MMag. Zimmel, das IFRS IC wurde vor etwas mehr als 20 Jahren gegründet, was waren die größten Veränderungen in dieser Zeit?
WP/StB MMag. Christoph Zimmel: Das damals noch IFRIC genannte Gremium hat zu Beginn seiner Tätigkeiten vor allem Interpretationen zu Standards herausgegeben, wovon einige Auslegungen mit der Überarbeitung des betreffenden Standards später in diesen integriert wurden. Zusätzlich hat es die Aufgabe Anfragen von Anwendern zu behandeln und zu entscheiden, ob bei wesentlichen eng eingegrenzten Fragen ein Standard zu ändern oder eine Interpretation herauszugeben ist bzw. wenn dies nicht der Fall ist, mit einer sogenannten Agenda Decision die Frage meist auch inhaltlich zu beantworten. Diese Einzelentscheidungen, deren normative Verpflichtung im Hinblick auf das Endorsement-Verfahren der EU nicht ganz geklärt ist, haben in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen und stellen eine wichtige Auslegungsquelle für die Anwendung der IFRS dar. Immerhin hat das IFRS IC im vergangenen Jahr den mittlerweile fünften Band seiner Einzelentscheidungen veröffentlicht. In unserem IFRS-Update bei der heurigen RECON werden wir ausgewählte aktuelle Agenda Decisions des IFRS IC natürlich vorstellen.
BC: Womit müssen die Accountants rechnen: Welche Standards werden sich in 2022 (und 2023) ändern? Welche Themen werden aktuell diskutiert?
Zimmel: Das ist eine gute Frage. Projekte gibt es genug, aber nur wenige sind bereits in einem Stadium, das eine Fertigstellung in den nächsten zwei Jahren erwarten lässt. Zu erwarten ist ein neuer Standard zu Primary Financial Statements, der vor allem Neuerungen im Bereich der Darstellung der Gesamtergebnisrechnung und der Berichterstattung über Kennzahlen bringen wird und IAS 1 ersetzen soll. Weiters ist ein neuer Standard zu Rate Regulated Activities zu erwarten, der in erster Linie die Energiewirtschaft betreffen wird. Mehr dazu bei unserem Vortrag anlässlich der heurigen RECON, in dem wir eine Übersicht über die aktuellen Projekte und Entwicklungen geben werden.
BC: Noch einmal eine Frage mit Coronabezug: Zunächst gab es ja vor allem Anwendungs- und Interpretationsfragen in der Krise, aber kaum Anlässe, die Regelwerke als solche zu ändern. Wird es jetzt doch noch kriseninduzierte Neuerungen geben?
Zimmel: Ganz so ist es nicht. Im Zusammenhang mit der Pandemie gab es zwar eine Anpassung zu IFRS 16 Leasing mit Erleichterungen i.Z.m. in der Praxis oft vorkommender Mietnachlässe. Darüber hinaus jedoch zeichnen sich aktuell kurzfristig keine Änderungen ab, die explizit coronabedingt sind. Wir werden aber sehen, wie sich volatile Rohstoff- und Energiepreise und andere Konflikte auf die Anwender und deren Rechnungslegung auswirken werden und ob sich hieraus, ähnlich wie bei der Finanzkrise, Anpassungserfordernisse ergeben werden.
BC: Wissen wir eigentlich, wie viele österreichische Unternehmen inzwischen nach IFRS bilanzieren?
Zimmel: Wie viele es sind, kann ich nicht sagen. Aus meiner praktischen Erfahrung sehe ich aber, dass Umstellungsprojekte fast immer mit einer Kapitalmarkttransaktion oder mit Konzernzugehörigkeiten zusammenhängen, d.h. dass die Entscheidung zur Anwendung selten freiwillig bzw. ohne konkreten Anlass fällt. Neben der Komplexität bemängeln Anwender den Umstand, dass die Jahresabschlüsse weiterhin nach UGB aufgestellt werden müssen, womit Zusatzarbeiten verbunden sind. Daher stellt sich immer öfter die Frage, ob einzelne IFRS Bilanzierungsmethoden auch mit der UGB Rechnungslegung vereinbar sind bzw. ob nicht doch eine IFRS Bilanzierung im Einzelabschluss vorstellbar ist.
BC: Inwiefern findet ESG-Reporting schon jetzt seinen Niederschlag in Regelwerken?
Zimmel: ESG-Reporting ist derzeit das dominierende Thema und man hat den Eindruck, dass sich dadurch der Output an neuen und geänderten Standards des IASB verlangsamt hat, obwohl das ISSB (International Sustainability Standards Board) als Parallelgremium unter dem Dach der IFRS Foundation völlig unabhängig arbeitet. Nach den großen Projekten der vergangenen Jahre wie z.B. Leasing oder Erlösrealisierung und den anstehenden Umstellungen i.Z.m. dem ESG-Reporting will man die Anwender nicht zusätzlich mit umfassenden neuen Anforderungen im Bereich der Rechnungslegung überfordern. Nichtsdestotrotz sind einige Projekte rund um die Disclosure Initiative, die Abgrenzung zwischen Eigen- und Fremdkapital, das Goodwill Impairment oder Transaktionen unter gemeinsamer Kontrolle offen, von denen doch wesentliche Auswirkungen auf die Finanzberichterstattung zu erwarten sind. Natürlich ist es wichtig, dass die finanzielle Berichterstattung mit dem ESG-Reporting im Einklang steht. Längst haben die Adressaten und Anwender verstanden, dass die Zahlen des Abschlusses nur einen Teil der wirtschaftlichen Situation eines Unternehmens abbilden und Nachhaltigkeitsthemen einen wesentlichen Einfluss auf die künftige finanzielle Entwicklung haben. Ein Beispiel, wo ESG voraussichtlich unmittelbare Auswirkung haben wird, ist das gerade diskutierte Discussion Paper „Better Information on Intangibles“. Darin gib es Überlegungen, Informationen zu nicht angesetzten immateriellen Vermögenswerten offenzulegen. In diesen Bereichen sind Überschneidungen mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu erwarten, weshalb eine enge Abstimmung sinnvoll ist.
BC: Auf der kommenden RECON werden Sie zusammen mit einem Kollegen von Grant Thornton Deutschland vortragen – inwiefern ist das was in Deutschland passiert vorbestimmend für Österreich?
Zimmel: Im Bereich der IFRS Rechnungslegung haben lokale Entwicklungen in Deutschland nach meinem Verständnis geringe Auswirkungen. Natürlich hat Deutschland eine gewichtige Stimme in den Gremien des IASB und der Europäischen Union, so dass sich daraus jedenfalls ein mittelbarer Einfluss ergibt. Das IASB ist sehr bemüht, die Interessen der Anwender bei der Ausarbeitung und Überarbeitung des Standards entsprechend zu berücksichtigen und da haben natürlich auch die Meinungen der deutschen Industrie wesentliche Bedeutung. Ganz allgemein ist festzuhalten, dass die Ausarbeitungen des deutschen Standardsetters DRSC bzw. des IDW auf hohem Niveau sind und daher oft als Orientierungshilfe für Stellungnahmen und Verlautbarungen der österreichischen Gremien dienen. Auch bleibt abzuwarten, ob der österreichische Gesetzgeber bzw. die Europäische Union die eine oder andere Maßnahme aus dem deutsche Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) aufgreifen wird, wodurch es zum Beispiel im österreichischen Enforcement- bzw. Governance-System zu Änderungen kommen könnte.
BC: Dazu noch: Gab es auch Fälle, wo das anders herum war und Österreich Regeln schneller umgesetzt hat?
Zimmel: Ad hoc fällt mir kein plakatives Beispiel aus dem Bereich der Rechnungslegung ein. Aber bei den Prüfungsstandards ist Österreich den Deutschen Kollegen einen Schritt voraus, in dem wir bereits vor ein paar Jahren die Vollanwendung der International Standards on Auditing (ISA) beschlossen haben. Hier arbeitet der deutsche Berufsstand nach wie vor auch noch mit eigenen Prüfungsstandards, die allerdings den ISA sehr ähnlich sind.
BC: Abschließend: Sie begleiten jetzt die RECON schon seit dem Jahr 2010, darf ich Sie nach einem persönlichen Highlight fragen, worauf freuen Sie sich immer am meisten?
Zimmel: Für mich ist es die Veranstaltung insgesamt. Ich freue mich darauf, Kollegen zu treffen, interessante Vorträge zu hören aber auch auf das Rahmenprogramm und die Umgebung finde ich sehr nett. Besonders freue ich mich auf meinen Morgenlauf durch die hügelige Thermenlandschaft und den Schlussvortrag, der in der Regel nichts mit fachlichen Themen zu tun hat. Herausstreichen möchte ich, dass die hervorragende Organisation von Business Circle auch sehr viel zum Wohlbefinden beiträgt.
WP/StB MMag. Christoph Zimmel ist Partner und Leiter des Prüfungsbetriebes von Grant Thornton Austria. Schwerpunkte: Prüfung von Jahres- und Konzernabschlüssen sowie Fragen der nationalen und internationalen Rechnungslegung. Auf der RECON 2022 hält er am 12. Mai zusammen mit WP/StB Dr. Jens Brune, Warth & Klein Grant Thornton, Düsseldorf den Workshop "IFRS Update und Outlook".