In den nächsten 10 Jahren kommen drei wesentliche Effekte auf die Wirtschaft zu:
- Die Nachwirkungen und Umbrüche der Corona-Krise
- Die Effekte der Digitalisierung auf unsere Sicht auf Wertschöpfung
- Die Ökologisierung der Geschäftsmodelle
Alle diese Effekte werden spürbar sein - und jeder einzelne hätte alleine die Kraft, Unternehmen nachhaltig zu verändern. Aktuell sind die Finanzorganisationen durch die notwendige Agilität im Rahmen der Covid-19-Krise gefordert, sie stehen zudem unter „Perma-Stress“. Gleichzeitig müssen sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf neue Herausforderungen vorbereiten.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich je nach Unternehmen zu größeren Teilen im Home Office befinden, sind aus ihrer gewohnten Arbeitsroutine und ihrem vertrauten sozialen Umfeld gerissen. Sie suchen gerade nach neuer Stabilität und Routine. Aller Voraussicht nach bleiben aber erhebliche Teile dieser neuen Arbeitsweise erhalten und werden sich weiterentwickeln – denn Home Office ist nur ein kleiner Teil des New Work.
Die meisten Unternehmen sind derzeit gefordert, sich auf die post Covid-Phase vorzubereiten, in vielen Fällen auf die Neuaufstellung des Unternehmens und seiner Organisation. Weil in fast allen Bereichen des Wirtschaftslebens Veränderungen anstehen, nützen viele Geschäftsführende diesen „Sense of Urgency“, um auch weniger dringliche Veränderungsprozesse anzustoßen. Denn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie auch Führungskräfte sind derzeit leicht mobilisierbar für Veränderungen. Für die Finanzorganisation im Unternehmen steht eine intensive Transformation an.
Was steckt hinter dem Begriff „Finance of the Future“?
Im Wesentlichen ist es ein Sammelbegriff für die Erkenntnis, dass sich die Finanzorganisationen modernisieren müssen. Die meisten Entwürfe zeigen mehr interne Kundenorientierung und Effizienz durch Automatisierung. Für die meisten Finanzorganisationen waren die Veränderungen der Vergangenheit eher inhaltlich getrieben (wie z.B. IFRS) oder technisch durch Software-Einführungen verursacht, kaum jedoch organisatorisch. Der Begriff Finance of the Future bezeichnet also eine Neuausrichtung, die vorwiegend organisatorisch geprägt ist.
Was bedeutet das in der strategischen Ausrichtung der Finanzabteilung?
Angelehnt an das INSEAD-Strategiemodell „Blue/Red Ocean“, das Märkte in blaue und rote Ozeane einteilt, ist die neue Finanzabteilung zu sehen. Im Modell steht ein roter Ozean für kannibalistische Konkurrenz (wo sich die Fische gegenseitig essen, daher rot) wo nur Kostenführer überleben und blaue Ozeane für neue Märkte stehen, die nur durch Innovation erobert werden können.
Umgelegt auf die Abteilung bedeutet das: Jene Bereiche, die als „commodity“ einzustufen sind (d.h. im Zweifelsfall auch outgesourced werden könnten) sind als rote Bereiche einzustufen, jene mit interner Kundenorientierung als blaue. Rote Bereiche müssen mittels Automatisierung Effizienzweltmeister werden und die Kosten permanent optimieren. Blaue Bereiche sind Investitionsbereiche und werden daher an der Menge der verwertbaren Innovationen gemessen.
Mehr Kundenorientierung und mehr Effizienz bei sinkenden Kosten?
Diesen Widerspruch mussten in der Vergangenheit viele Unternehmensteile lösen, nun ist verstärkt auch der Finanzbereich gefordert. Dazu kommt der Post-Covid-Stress, der die Transformation nicht gerade unterstützt. Im Ozean-Modell können diese zwei Betriebssysteme nebeneinander existieren, obwohl sie völlig unterschiedliche Ziele haben (Kosten vs. Innovation). So nehmen sie ein wenig Druck aus der Widersprüchlichkeit.
Woran merkt die restliche Organisation das Finance of the Future Modell?
In erster Linie durch die Kundenorientierung, d.h. die Bereitschaft, individuell auf die Fragen der internen Kunden zu reagieren. Wenn das Modell richtig gut läuft, etabliert sich eine Partnerschaft, die die anderen Unternehmensbereiche als unverzichtbar anerkennen.
Finanziert kann das aber nur durch eine starke „rote“ Organisation werden, d.h. der Effizienzgewinn wird in Ressourcen reinvestiert, die Kundenorientierung und Flexibilität bringen.
Kann man eine Abteilung mit unterschiedlichen „Betriebssystemen“ führen?
Das Modell des dualen Betriebssystems ist fast 10 Jahre alt und kommt vom Harvard Professor John Kotter, dem inoffiziellen Papst des Managements. In der Praxis wirken sich diese unterschiedlichen Logiken nicht so stark aus wie es im ersten Moment erscheint. Die rote Organisation wird nach typischen Managementsystemen geführt: Strategie, Plan, Delegation, Milestones und Kontrolle. Blaue Organisationen werden offener, mitbestimmender und weniger straff geführt – womit ausdrücklich nicht laissez faire gemeint ist. Stattdessen wird auf die Übertragung der Verantwortung gesetzt (Empowerment), um möglichst flexibles Handeln zu ermöglichen.
Wie teile ich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter & Führungskräfte zu?
Am besten nach ihren Präferenzen: Rote Bereiche sind üblicherweise wiederkehrende Tätigkeiten, wie das Buchen an sich. Menschen, die sich mit wiederkehrenden Tätigkeiten wohlfühlen, sind eher ruhig, wollen im Umkehrschluss keine permanente Veränderung, arbeiten regelmäßig auf hohem Niveau und werden nur ineffizienter, wenn zu viel unklar ist. Blaue Bereiche ziehen Personen an, die gerne in Interaktion mit anderen sind, Routine als Langeweile empfinden und wenig für die wiederkehrenden Tätigkeiten zu begeistern sind. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den blauen Bereichen sind kommunikativer und veränderungsbereiter.
Wie bekommt man Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei so einer Veränderung ins Boot?
Im Change Management gilt es zunächst einen gemeinsamen Veränderungswillen herbeizuführen, den sogenannten Sense of Urgency. Im zweiten Schritt soll die Antwort auf die Frage „What’s in for me?“ folgen, sodass das Zutrauen in die neue Tätigkeit „competence to do“ folgt. Der letzte Schritt ist die Ermöglichung von Freiraum, dem „empowerment to do“.
Bei Finance of the Future gibt es meistens zwei Ausgangspunkte für den Sense of Urgency:
1. Kostendruck Es ist notwendig, dass das Unternehmen flexibler wird und Automatisierungspotentiale nutzt
2. Flexibilität Auf wachsende Herausforderungen muss flexibel reagiert werden. Auch interne Kundenbedürfnisse wollen antizipiert werden.
What’s in for me? spricht die rote Seite mit Arbeitsplatzsicherheit und „Ruhe“ zu adressieren, die blaue Seite mit Karrieremöglichkeiten. Die Kompetenzfrage, d.h. wer kann wo was beitragen, ist sinnvollerweise Teil einer Standortbestimmung (Potenzialanalyse).
Im Empowerment sind jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Führungskräfte als „change agents“ zu nominieren, die auf die Fragen oben besonders intensiv reagiert haben - sowohl in positiver als auch in kritischer Hinsicht. Ausgenommen sind natürlich die Widerstandskämpfer.
Braucht es für so eine Transformation einen Berater?
Als Berater kann man solche Frage nicht objektiv beantworten, aber in diesem Fall ist es klar: Ja, natürlich. Die Moderation des Zielbildes, die Evaluierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch die Change-Begleitung sind durch interne Ressourcen (z.B. HR) nur schwer zu stemmen, sowohl hinsichtlich neutraler Glaubwürdigkeit als meistens auch Kapazität. Und es empfiehlt sich, so eine Transformation in einem systemkritischen Bereich des Unternehmens schon einmal gemacht zu haben.
Der Autor: Sören Buschmann ist geschäftsführender Gesellschafter bei BDO Consulting mit Schwerpunkt Human Resources Management. Seine Beratungsschwerpunkte sind Strategieberatung & Organisationentwicklung, Begleitung von Strategie- und Veränderungsprozessen, Entwicklung neuer Organisationsmodelle/Operating Models, Diagnostik und Objektivierungsverfahren, Executive Search & Recruiting. Am 9. September 2021 moderiert er auf der RECON einen Round Table zum Thema „Finance in the New“.
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