Von Matthias Lichtenthaler: neue Einsichten aus der Informationsflut gewinnen. Wer sich mit riesigen Informationsmengen konfrontiert sieht, muss, um Widersprüche zu finden, tonnenweise Unterlagen studieren.
Wenn es um tatsächliche Widersprüche – zum Beispiel in einem Kriminalfall – geht, kommt dazu, dass Kriminelle üblicherweise bewusst versuchen, sich unscharf auszudrücken. In Betrugsfällen werden häufig Aussagen getroffen, die es einem nicht leicht machen, Widersprüche zu erkennen. Viel kriminelle Energie wird dafür aufgebracht, es uns so schwer wie möglich zu machen, den Tätern auf die Schliche zu kommen und zu erkennen, dass es eine Abweichung gibt.
Was können Contradiction Bots?
- Aufspüren von Abweichungen
- Transparenz und Geschwindigkeit
- Kontextüberschreitende Recherche
- Der digitale Giftschrank
- Das Fehlen von Eigeninteresse
- Von Menschen lernen
Aufspüren von Abweichungen
Wir wollen Informationen daraufhin überprüfen, ob sie zusammenpassen und übereinstimmen. Denken wir an einen länderübergreifenden Steuerbetrug. Wer etwas Illegales verkauft, tut dies meist nicht offensichtlich. Mittels künstlicher Intelligenz ist es aber möglich, Abweichungen zu entdecken, auch wenn Begriffe ausgetauscht werden. Die künstliche Intelligenz kann Terminologien, Erfahrungen und Muster verwenden, um solche Aktivitäten zu analysieren. Nehmen wir ein Beispiel aus dem Bereich Steuerhinterziehung: Jemand bietet eine Dienstleistung für 100.000 Euro an. Mehrere Wochen später wird ein Vertrag über 200.000 Euro über dieselbe Aktivität unterfertigt. Vielleicht ist der Täter schlau genug, die Bezeichnung ein wenig zu variieren. Ein Contradiction Bot würde alle Aktivitäten prüfen, E-Mails und dergleichen, und die Abweichung entdecken. Er prüft aber auch Nichtaktivitäten. Dabei erkennt die künstliche Intelligenz, dass eine Aktivität, beispielsweise eine Korrespondenz, stattfinden hätte sollen: wenn etwa plötzlich Dienstleistungen über 100.000 Euro im Vertrag auftauchen, über die es keine Verhandlungen gab und hinsichtlich derer im Zeitraum zwischen dem Angebot und dem tatsächlichen Unterzeichnungstermin wenig oder gar keine Kommunikation stattfand. Das Verdachtsmoment ergibt sich daraus, dass offensichtlich kommuniziert wurde, aber um der Dokumentation auszuweichen, nicht mit E-Mails und Briefen, sondern bei geheimen Treffen und Besprechungen. Das Fehlen von Kommunikation ist also ebenfalls eine relevante Information, die verwendet werden kann, um Abweichungen aufzuspüren.
Transparenz und Geschwindigkeit
Ein wichtiger Aspekt ist die absolute Transparenz. Im Hinblick auf Information bedeutet volle Transparenz, dass man die Konsequenzen aus einer großen Menge von Informationen ermitteln kann. Im öffentlichen Sektor wäre ein typischer Fall, dass neue Dokumente auftauchen. Man erhält einen Brief mit irgendeiner Information, beispielsweise weist jemand darauf hin, dass in einem bestimmten Fall eine bestimmte Ereignisabfolge stattfand. Im Anschluss hätte man zwei Wochen Zeit ohne künstliche Intelligenz, um die gesamte Dokumentation zu prüfen und herauszufinden, dass es auf Seite 1225 einen tatsächlichen Widerspruch zu dieser neuen Information gibt. Wenn es sich um einen absoluten, hundertprozentigen Widerspruch handelt, kann ein Mensch selbstverständlich den Widerspruch finden, solange ihm genug Zeit zur Verfügung steht. Manche Entscheidungen müssen aber auch sofort getroffen werden. Bei der Kontextualisierung einer neuen Information ist der Contradiction Bot klar im Vorteil.
Kontextüberschreitende Recherche
Der Contradiction Bot kann darüber hinaus aber nicht nur Informationen verwenden, die im selben Kontext geäußert wurden, sondern auch andere Informationsquellen heranziehen: in diesem Fall nicht nur öffentliche Verwaltungsdaten, sondern auch Zeitungen. Bei uns gab es einen Betrugsfall, in dem ein Mann in Österreich und eine Frau in einem anderen Land auf sehr ähnliche Art vorgaben, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen, um Zuschüsse zu beziehen. Sowohl die Staaten als auch die Nachnamen waren unterschiedlich, weshalb keine Verbindung festgestellt werden konnte. Es gab aber eine kleine Annonce in der Zeitung, dass Herr A und Frau B geheiratet hatten und auf einmal konnte die Verbindung hergestellt werden und die beiden Fälle konnten in Verbindung zu einander gesetzt werden. Nicht nur müssen neue Informationen also in den Kontext bestehender Informationen gesetzt werden, sondern darüber hinaus gilt es, weitere Informationen miteinzubeziehen. Ein weiterer Vorteil eines Bots, der jegliche Information heranziehen kann.
Der digitale Giftschrank
Ein letzter wichtiger Aspekt des Contradiction Bots kommt zum Tragen, wenn es sich um einen Kriminalfall handelt und das Verbrechen schwer genug ist. Wenn es um Menschenleben oder die Verhinderung von großen Schäden geht und deshalb DSGVO-Datenschutzbedenken nicht die höchste Priorität haben, können Ausnahmen gemacht werden und der Bot kann Informationen heranziehen, die üblicherweise geschützt wären, die sozusagen im Giftschrank stehen. Auf diesen Giftschrank hätten nur wenige Menschen Zugriff und selbst in speziellen Gefahrensituationen könnte ein Ermittler nicht einfach den Giftschrank untersuchen, selbst wenn er relevante Informationen für diesen Fall enthalten könnte. In solchen Fällen spielt außerdem Zeit eine besondere Rolle. Der Vorteil eines Bots läge also darin, dass der Bot auf Basis von Metadaten relevante Informationen im Giftschrank identifizieren und extrahieren könnte. Ein Richter oder eine ähnliche Kontrollinstanz könnte zwischengeschaltet werden, um auf Basis der Dringlichkeit Sonderbefugnisse zu erteilen. Ein großer Vorteil, den der Bot mit sich bringt, wäre, dass er sich in dieser Datenbank nicht einfach umsehen kann, sondern ausschließlich dem Ziel folgt, auf Basis der Metadaten Informationen aufzuspüren. Er würde über die Existenz relevanter Daten berichten und der Staatsanwalt könnte beispielsweise im Anschluss entscheiden, ob es zulässig ist, diese Information heranzuziehen. Wenn der Bot keine Informationen aufspürt, würde er einfach nichts sagen. In solchen Fällen hätte er also zusätzliche Aufgaben über das bloße Aufspüren von Informationen hinaus.
Das Fehlen von Eigeninteresse
Einfache Prozessautomatisierung, im Sinn von simplen Copy/Paste-Jobs, ist leicht an einen Roboter abzugeben. Wenn es aber in Richtung von künstlicher Prozessunterstützung und Machine Learning geht, wo der Roboter schon ein wenig intelligenter wird, herrscht die Befürchtung vor, dass der Roboter ein nicht mehr vom Menschen kontrollierbares Eigenleben entwickelt. Es ist aber durchaus möglich, robotergesteuerte Prozessautomatisierung zu kontrollieren und zu benutzen, um beispielsweise Giftschränke zu durchsuchen, mit dem Vorteil, dass der Roboter nur die Aufgabe hat, gezielt nach relevanten Daten zu suchen und in anderen Fällen inaktiv zu bleiben, während ein Mensch seine Befugnisse ausnutzen und seinem eigenen Interesse folgen könnte. Angenommen es handelt sich um klinische oder anderweitig sensible Daten. Für viele wäre es sicher interessant, in den Akten zu stöbern. Ein Roboter hat kein menschliches Interesse, sondern würde einfach seine Funktion ausführen. Das ist sein Vorteil.
Von Menschen lernen
Letztendlich muss immer ein Mensch entscheiden, ob wirklich ein Widerspruch ermittelt wurde und ob die Information tatsächlich relevant ist. Wenn der Mensch aber seine negative Entscheidung begründet und erklärt, warum es sich in diesem speziellen Fall nicht um einen Widerspruch handelt, ist dies die beste Gelegenheit für die Maschine, zu lernen, warum dies in diesem spezifischen Fall nicht zutrifft. Der Mensch ist ein großartiger Lieferant von Eingaben, wenn es darum geht, Informationen zu verbessern.
Dass die Fähigkeiten des Contradiction Bots nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Sektor von großem Nutzen sein können, liegt auf der Hand.
Ass. iur. Matthias Lichtenthaler, PMP ist Head of Digital Transformation im österreichischen Bundesrechenzentrum und verantwortlich für Maßnahmen zur Umsetzung der Digitalisierung in der öffentlichen Verwaltung in Österreich sowie Koordination verschiedener Initiativen. Am 25. Juni spricht er in Wien beim neuen Jahresforum "Digital Finance"