„Show me the money!“ Der mittlerweile legendäre Schlachtruf aus dem Film „Jerry Maguire“ war lange Zeit auch der Leitsatz von Investoren und Stakeholdern, wenn es um die Beurteilung von Unternehmen gegangen ist. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die quartalsweisen Momentaufnahmen einiger weniger Finanzkennzahlen kaum Aussagen über die mittel- bis langfristige Entwicklung des Unternehmens zulassen.
Gerade in Zeiten immer größerer Volatilität braucht es andere, nachhaltigere Informationen. Nichtfinanzielle Kennzahlen bzw. immaterielle Vermögenswerte wie etwa geistiges Eigentum, Wertbeitrag der Beschäftigten, Wert der Marke oder Wert der Innovationstätigkeit sind wichtige Treiber für die langfristige Entwicklung von Unternehmen und damit relevante Informationen für potenzielle Investoren und die Öffentlichkeit. Für Unternehmen ist es an der Zeit, ihr Reporting grundlegend zu überdenken und neu aufzustellen.
„Drum prüfe, wer sich bindet“: mehr Offenheit für mehr Vertrauen
Gerade wenn es um nichtfinanzielle Kennzahlen und damit Indikatoren für eine längerfristige Entwicklung des Unternehmens geht, spielt Vertrauen eine entscheidende Rolle. „Drum prüfe, wer sich bindet“ gilt nicht nur im zwischenmenschlichen Bereich, sondern auch für die Beziehung zwischen Unternehmen und ihren Anlegern bzw. Stakeholdern.
Um dieses Vertrauen aufzubauen und zu pflegen, sind Offenheit und Transparenz entscheidend. Es braucht ein Umdenken in der Finanzberichterstattung: tiefe, authentische Einblicke auf Basis umfangreicher Informationen statt eines „Versteckens“ hinter einzelnen schönen Kennzahlen. Die Mischung macht’s: Eine ausgewogene Darstellung von nichtfinanziellen und finanziellen Kennzahlen bringt den besten Einblick.
Dafür wird in vielen Unternehmen ein Wandel der Kultur und Denkweise in Bezug auf die Informationen, die mit der Öffentlichkeit geteilt werden, nötig sein: Es braucht eine Kultur, die auf Offenheit, Authentizität und Verantwortlichkeit basiert.
Voller Durchblick? Anleger und Stakeholder erwarten Transparenz
Transparenz in der finanziellen und nichtfinanziellen Berichterstattung ist die Kernwährung des „Vertrauenskredits“, den Anleger und Stakeholder einem Unternehmen geben. Die aktuelle EY Global Reporting Studie, eine Umfrage unter mehr als 1.000 Finanzverantwortlichen weltweit, unterstreicht das eindeutig.
74 Prozent der befragten Finanzmanager geben an, dass Investoren zunehmend nichtfinanzielle Informationen in ihre Entscheidungen einbeziehen. 76 Prozent geben an, dass der gesellschaftliche Druck zu einer transparenten Darstellung und Berichterstattung steigt. Gleichzeitig wird die Unternehmensberichterstattung in einer Reihe von Märkten zunehmend stärker aufsichtsrechtlich überwacht und der Gesetzgeber nimmt immer intensiver unter die Lupe, ob die heutigen Berichtsmodelle für den jeweiligen Zweck geeignet sind.
Obwohl quantitative Informationen in der nichtfinanziellen Berichterstattung als zentrale Grundlage für mehr Transparenz angesehen werden, nehmen viele Unternehmen diese Daten nicht in ihre Unternehmensberichte auf. So veröffentlichen zum Beispiel nur 37 Prozent Kennzahlen, die Rückschlüsse auf die Unternehmenskultur zulassen.
Am häufigsten werden nichtfinanziellen Kennzahlen in folgenden Bereichen veröffentlicht:
- Vision und Purpose (63%)
- Vertrauen in die Organisation bzw. Marke (61%)
- Human Capital (61%)
- Ökologische und soziale Verantwortung (59%)
- Governance (47%)
Um den Ansprüchen von Anlegern bzw. Stakeholdern besser gerecht zu werden, sollten sich Finanzverantwortliche insbesondere zwei Prioritäten auf ihre Agenda schreiben:
1. Förderung einer offenen und verantwortungsvollen Unternehmenskultur
Eine transparente Finanzberichterstattung kann Vorbild und ausschlaggebender Impuls für eine offene Unternehmenskultur sein.
2. Klärung der Verantwortlichkeiten in der nichtfinanziellen Berichterstattung
Es muss klar sein, wo und in welcher Form nichtfinanzielle Informationen erfasst werden. Um die Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit sicherzustellen, können Finanzverantwortliche Datenanalysen und Kontrollmechanismen implementieren.
Eine Frage der Kultur? Lücken im Reporting schließen
Finanzverantwortliche sehen die Unternehmenskultur als zentrales nichtfinanzielles Kriterium zur Steigerung und Absicherung des Unternehmenswertes.
Obwohl nur jedes dritte Unternehmen messbare Kennzahlen zur Kultur vorlegt, geben über drei Viertel an, dass Investoren zunehmend mehr Einblick in die Unternehmenskultur wünschen. Diese Lücke gilt es zu schließen.
Der Preis, den Unternehmen für einen Kulturverlust zahlen, macht häufig Schlagzeilen. Die Unterscheidung zwischen „harter Währung“ und „weicher Kultur“ ist daher auch für Finanzverantwortliche Schnee von gestern: 83 Prozent sehen eine authentische, offene Unternehmenskultur als maßgeblich für den Aufbau von Vertrauen. 81 Prozent sind überzeugt, dass eine gute Unternehmenskultur dabei hilft, Risiken zu reduzieren.
Um die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit in der Berichterstattung zur Unternehmenskultur zu schließen, sind vor allem zwei Schritte entscheidend:
1. Nutzung von Daten und Definition von KPIs verstärken
Die Nutzung der vorhandenen Daten und deren Übersetzung in vertrauenswürdige Kennzahlen (KPIs) steigern Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Berichterstattung. Dafür muss das Rad nicht neu erfunden werden. 79 Prozent der befragten Finanzverantwortlichen verfügen laut eigenen Angaben bereits jetzt über ausreichend Daten. Die Veröffentlichung dieser Daten ist jedoch noch lange nicht state-of-the-art: Weniger als die Hälfte veröffentlicht Informationen über Whistleblowing-Aktivitäten (44%) oder Fälle von Nichteinhaltung des lokalen Corporate Governance-Kodex (38%).
Am häufigsten berichten Unternehmen über die folgenden Indikatoren der Unternehmenskultur:
1. Kundenzufriedenheit (59%)
2. Kennzahlen zur Umsetzung von Werten und ethischen Standards (56%)
3. Mitarbeiterzufriedenheit (55%)
2. Kulturwandel im Team anstoßen
Das für die Unternehmensberichterstattung verantwortliche Team muss motiviert werden, in den Dialog mit Stakeholdern zu treten und so transparenter vorzugehen. Nach Einschätzung von 71 Prozent der Finanzverantwortlichen ist dafür ein Kulturwandel im Team notwendig. Finanzverantwortliche sollten mit gutem Beispiel vorangehen und diesen Change vorantreiben.
Vertrauen in Datenanalyse und künstliche Intelligenz aufbauen
Da eine ausgewogene Kombination aus finanziellen und nichtfinanziellen Informationen der Schlüssel zur Transparenz sind, sollten nichtfinanzielle Daten genauso glaubwürdig und vertrauenswürdig sein wie Finanzdaten. Das klingt trivial, ist es aber nicht. Bei der Entwicklung eines vertrauenswürdigen Ansatzes für nichtfinanzielle Daten stehen die Finanzverantwortlichen vor mehreren Stolperfallen.
Eine zentrale Herausforderung ist die Fähigkeit, nichtfinanzielle Daten zu erheben und gleichzeitig alle damit verbundenen Risiken wie Datenschutz und Compliance zu bewältigen. Der Einsatz von Automatisierung durch Software-Roboter oder Künstliche Intelligenz vereinfacht die Erhebung und Auswertung von Daten, hat aber (noch) ein Vertrauensproblem: So geben 60 Prozent der Finanzverantwortlichen an, dass die Qualität der Daten, die von einer Künstlichen Intelligenz erstellt wurden, nicht so vertrauenswürdig ist wie die Daten, die manuell erhoben werden.
Um das Vertrauen in Datenanalyse und KI zu steigern, sollten vor allem zwei Punkte in Angriff genommen werden:
1. Implementierung fortschrittlicher Tools zum Sammeln und Analysieren großer Datenmengen
Klar ist: Automatisierung kann mühsame und zeitaufwändige Aufgaben effizienter und effektiver erledigen. KI kann dem Berichtswesen eine neue Tiefe verleihen. Allerdings ist es noch ein weiter Weg, bevor der Einsatz über isolierte Piloten hinausgeht. Nur rund ein Drittel nutzt aktuell Automatisierung zur Datenerfassung für Unternehmensberichte. Der Einsatz von KI für fortschrittliche Analysen und datengesteuerte Einblicke ist noch seltener.
2. Sicherung von Glaubwürdigkeit der durch Tools erhobenen Daten
Es braucht intensive Beschäftigung mit neuen technologischen Möglichkeiten der Datenerhebung, um das noch fehlende Vertrauen aufzubauen. So sehen sechs von zehn Finanzverantwortlichen die durch Automatisierung und Künstliche Intelligenz erstellten Daten als wenig glaubwürdig an. Nur das laufende Austesten und Evaluieren kann dazu beitragen, dieses Vertrauensdefizit zu beheben.
Kultur als Herzstück der Unternehmensentwicklung sehen
Die Auswirkungen der Kultur auf den Unternehmenswert könnten nicht eindeutiger sein: Eine gesunde Kultur ist der Schlüssel für Wertzuwachs, eine schädliche Kultur birgt ein erhebliches Wertrisiko. Kultur wird in zweierlei Hinsicht eine immer wichtigere Rolle in der Unternehmensberichterstattung spielen: Erstens spielen Finanzteams eine zentrale Rolle bei der Förderung einer transparenten Berichterstattung, indem sie eine offene und glaubwürdige Kultur schaffen, die mit Anlegern und Stakeholdern zusammenarbeitet und den sich schnell ändernden Berichtsanforderungen gerecht wird. Zweitens ist die Bereitstellung aussagekräftiger, glaubwürdiger und relevanter datengestützter Einblicke in die Unternehmenskultur essenziell, um den Zusammenhang zwischen Kultur und Unternehmenswert aufzuzeigen.
Es gibt drei Handlungsfelder für Finanzverantwortliche, die für eine Kultur der Offenheit und Glaubwürdigkeit in der Unternehmensberichterstattung von entscheidender Bedeutung sein werden:
- Entwickeln Sie einen glaubwürdigen und belastbaren Ansatz für die Berichterstattung über die Unternehmenskultur.
- Stellen Sie sicher, dass in Ihrem Tema die richtigen Kompetenzen vorhanden sind, um den Kulturwandel voranzutreiben und Widerstände zu überwinden.
- Testen, evaluieren und verbessern Sie den Einsatz von Automatisierung und Künstlicher Intelligenz zur Datenerhebung.
Zusammenfassung
In Zeiten des immer schnelleren Wandels haben Finanzkennzahlen an Aussagekraft eingebüßt. Heute verlangen Anleger und Stakeholder von einem umfangreichen Reporting auch transparente und glaubwürdige Einblicke in nichtfinanzielle Aspekte. Speziell die Unternehmenskultur spielt dabei als aussagekräftiger Indikator für die Entwicklung des Unternehmenswertes eine immer größere Rolle.
Organisationen sollten eine neue Kultur und Denkweise in Bezug auf die Informationen, die sie über sich selbst teilen, einführen. Dazu gehören insbesondere eine offenere und verantwortungsvollere Berichterstattung, um das Vertrauen der Stakeholder zu gewinnen, das Etablieren einer nachvollziehbaren Berichterstattung über die Unternehmenskultur und der Aufbau von Vertrauen in automatisierte Datenanalysen und Künstliche Intelligenz.
Der Autor: Stefan Uher ist Leiter Financial Accounting Advisory Services bei EY Österreich und Mitglied des Fachbeirates der RECON.
Zur RECON 2020 am 31. August & 1. September 2020