Was bewegt die Versicherungsbranche im Jahr 2016? Darüber diskutierten Versicherer, Wissenschaftler, Vermittler und Fachexperten unterschiedlicher Herkunft beim Insurance Forum Austria in Rust. Im Mittelpunkt standen vier große Baustellen der Branche. Die Lebensversicherung, die Geschäftsmodelle, die Digitalisierung und der Vertrieb.
Motivforscherin Helene Karmasin, Karmasin Behavioural Insights, Wien, eröffnete das Programm mit einem kritischen Blick auf die Branche von außen. Die Doyenne der österreichischen Markt- und Meinungsforschung warnte davor, ein negatives Branchenimage zu vernachlässigen: „Auch wenn McDonald in der Werbung Kühe zeigt, die Namen haben und auf der Weide chillen, hilft das dem Branchenimage nicht wirklich“, so Karmasin. Die Wahrnehmung der Kunden erfolge in der Regel eher auf der emotionalen als auf der rationalen Ebene: „Insekten haben ein schlechtes Image, auch wenn sie viele positive Sachen leisten!“ Karmasins Fazit auf die Versicherungsbranche bezogen: Wenn das Branchenimage schlecht sei, sei der Kunde auch schnell mit Kritik zur Stelle. Während die Versicherungen auf Ebene der Marke professionell agieren, benützen sie – so Karmasin – auf Produktebene schwer verständliche Codes: „Die Kunden merken, da wird der Code der Institutionen abgerufen, mächtig, langsam, schwerfällig und anstrengend. Sie nehmen mich als Individuum nicht wahr!“
Karmasins Bespiel für institutionelle Codes, die den Kunden verschrecken, stammte aus eigener Erfahrung: Ihr Kater hatte eine schöne Jugendstillampe umgeworfen, die Schadenabwicklung wurde zum Spießrutenlauf durch den Dschungel von Formularen. „Da sollst du dann als Kunde hundert Fragen beantworten! Ist das Flachglas oder Hohlglas – das ist wirklich grauenhaft. Vermutlich stellen sie diese Frage nur um mich zu quälen und dann nichts bezahlen zu müssen“, brachte es die Motivforscherin auf den Punkt. Kaufentscheidungen seien keinesfalls nur von rationalem Denken und sorgfältige Abwägung geprägt, sondern werden zunehmend intuitiv und emotional getroffen.
Ein Hauptmotiv des Konsumenten sei das Motto „Don’t make me think!“‘ Entscheidungen sollten daher möglichst anstrengungslos und leicht getroffen werden können, ein Umstand, den erfolgreiche Onlineanbieter längst praktizieren. Komplizierte Formulare seien mit Sicherheit der falsche Weg. Ihr Ratschlag an die Branche: „Ich würde den Gedanken, wie man mit den Kunden spricht, sehr ernst nehmen – besonders beim Produktangebot und der Produktabwicklung.“
Ein Hauptmotiv des Konsumenten sei das Motto „Don’t make me think!“
Jeder Anbieter sollte mit einem kritischen Blick über seine Kommunikationsmedien gehen und sich darüber den Kopf zerbrechen, wie er die Kunden von heute ansprechen könne. Für Menschen, die die Schnelligkeit eines Apps gewohnt sind, sei die herkömmliche Kommunikation nicht mehr zeitgemäß.
Auch Wolfram Wrabetz, Beauftragter der Hessischen Landesregierung für Versicherungen, ruf zu einem Umdenken auf und zitierte einleitend den Exekutivdirektor der europäischen Versicherungsaufsicht EIOPA, Carlos Montalvo Rebuelta: „Viele Menschen sehen alle Versicherer als Betrüger. Wenn Sie sich nicht ändern, werden Sie Probleme bekommen.“ Es gebe dafür, so Wrabetz, keine Patentrezepte. Ein wichtiger Schritt sei, uneingeschränkt für den Kunden da sein: „Es wird ein schmerzhafter Prozess sein, sich an die veränderten Markt und Umweltbedingungen anzupassen“, prognostizierte Wrabetz und wandte sich den Baustellen der Branche zu. In Zeiten, in denen kein Geschäftsmodell öffentlich so in Frage gestellt werde wie die Lebensversicherung, obwohl sie effektiv noch immer eine langfristige Verzinsung von mehr als 3% biete, gelte es, dieses Vorsorgeprodukt neu zu erfinden. Aber auch die Kunden müssen umdenken und sich den Realitäten des Kaptalmarktes stellen. Die Branche sollte die Alleinstellungsmerkmale der Lebensversicherung besser herausstellen! Denn das Altersversorgungproblem in den Industriegesellschaften könne nur im 3-Säulen-Modell gelöst werden, jede Säule sei für sich unverzichtbar.
Auch in der Kfz Versicherung ortet Wrabetz Mega, die gegen die traditionelle Kfz-Sparte laufen: Trends wie Carsharing, Telematik und autonomes Fahren werden zu einem massiven Prämienverlust von bis zu 30% bis zum Jahr 2030 führen. Neu erfinden müsse sich auch der Vertrieb.
Digitalisierung, der Megetrend der gesamten Wirtschaft, mache von der Versicherungsbranche nicht Halt. Die professionellen Vertriebslösungen der Zukunft nehmen das Unbehagen der Kunden ernst, versprechen Preisvorteile, suchen Zusatznutzen und setzen auf digitale Verkaufsprozesse. „Die Versicherung 4.0 bietet nicht nur den Verkauf über App, sondern auch die Preisgestaltung und Schadenregulierung“, so Wrabetz.
Noch wesentlich weiter in seiner Prognose ging der deutsche Autor und Trendforscher Volker P. Andelfinger, Palatinus Consulting, Annweiler, der Chancen und Risiken der digitalen Revolution und ihre Folgen für die Versicherungswirtschaft referierte. Komplette Vernetzung werde zum Megatrend unseres Kommunikationsverhaltens, egal ob privat oder in Unternehmen. Die digitale Nutzung werde komplett altersunabhängig, als zentrales Medium diene dem Menschen das Handy. „In China gibt es bereits Gehwege, die nach handyfreiem Gehweg und handygenutztem Gehweg trennen, um Kollisionen zu vermeiden“, so Andelfinger.
In Österreich seien 80% im Internet, 30% davon täglich. „Interessant ist zu beobachten, dass speziell die ältere Generation – 60 plus – stark aufholt“, weiß Andelfinger. Seine Prognose im Bereich Schadenregulierung: In zehn Jahren werden 80% der Prozesse im Schadenbereich vollautomatisiert ablaufen. Die Zukunft seien Apps mit den Kundenakten in der Hosentasche, diverse Apps und Beratungsroboter werden die Menschen in der Beratung ersetzen. Schon heute gebe es eine App für Investment, mit der die Beratung gänzlich ohne Menschen ablaufe – von der Analyse bis zum Abschluss!
Quelle: AssCompact Österreich
Wie prophetisch die Vorhersagen dieser Experten wirklich sind wird sich heraustellen. Die nächste Gelegenheit es herauszufinden: Das Insurance Forum Austria 2017 (23./24. März 2017, Rust).