Die letzten zehn Jahre waren geprägt von Niedrigzinsen, Staatsschulden, Überregulatorik - was bestimmt die nächsten zehn Jahre?
In diesen schnelllebigen Zeiten ist es kaum möglich, die Themen der nächsten zehn Jahre präzise zu umreißen. Allerdings gibt es gegenwärtig zahlreiche Trends, die nicht nur uns Banken herausfordern. Noch ist beispielsweise nicht absehbar, ob sich die an allen Ecken und Enden der Welt wahrnehmbaren Tendenzen zu nationalen Alleingängen und mehr Abschottung wieder abschwächen oder sich nicht doch in neuen internationalen Spannungen und einem regelrechten Handelskrieg entladen werden, der dann auch die Weltwirtschaft massiv belasten würde. Der Blick nach Europa verheißt gegenwärtig auch nicht nur Erfreuliches: Auch und gerade der Finanzsektor wäre davon betroffen, wenn sich der innereuropäische Spalt vertiefen und die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union untergraben würde. Was die Themen anbelangt, die unsere Branche unmittelbar berühren, so ist offenkundig, dass die digitale Disruption im Allgemeinen und Themen wie künstliche Intelligenz und Blockchain im Besonderen das Bankgeschäft erheblich prägen und auch verändern werden. Hinsichtlich des Zinsniveaus setzen wir darauf, dass die Zeiten von Null- und Minuszinsen in nicht allzu ferner Zukunft vorbei sind, aber eine Rückkehr in die Welt vor 2008 ist erst einmal nicht absehbar. Nicht zu vergessen: Die Bekämpfung des Klimawandels bzw. der Einstieg in ein klimaneutrales Wirtschaften beschäftigt auch die Banken, gilt es doch, Investitionen in beträchtlicher Höhe zu finanzieren.
Welche Rahmenbedingungen werden die Institutionen schaffen?
Es sind weniger die Institute, die Rahmenbedingungen schaffen müssen, als die Politik, die sich ja auch in den letzten Monaten dazu bekannt hat, den Finanzplatz Deutschland zu stärken. Deutsche und europäische Institute befinden sich in einem harten, teils globalen Wettbewerb, und da wäre es hilfreich, wenn einerseits bürokratische Entlastungen geschaffen werden – konkret etwa bei MiFID2 und im Meldewesen – und wenn sich andererseits Regelsetzer und Politik darauf verständigen könnten, keine nationalen bzw. europäischen Sonderlocken drehen zu wollen, die die Institute benachteiligen und zudem paneuropäisches Banking erschweren. Was konkret die Institute anbelangt, so befinden sie sich längst in einem Transformationsprozess, der ihnen die Möglichkeit gibt, Bankprodukte auch in einer digitalisierten Welt anzubieten und neue Geschäftsmodelle voranzutreiben
Passen die angloamerikanischen regulatorischen Ansätze für das kontinentaleuropäische Bankenmodell?
Teils, teils. Der US-amerikanische Bankenmarkt unterscheidet sich vom europäischen bzw. deutschen allein schon durch seine schiere Größe, denn während es in Europa im Finanzbereich tatsächlich noch nationale Schlagbäume gibt, können US-Institute zwischen Boston und Los Angeles unbegrenzt tätig sein – und das übrigens bei ganz anderen Zinsmargen als denen, die noch immer in der Euro-Zone üblich sind. Insofern haben US-Banken noch einmal Extra-Rückenwind dadurch bekommen, dass der US-Gesetzgeber im vergangenen Jahr insbesondere kleine und mittelgroße Institute deutlich entlastet hat. Das Schlagwort „Deregulierung“ für diese Maßnahmen ist übrigens irreführend, denn an den Eckpfeilern der nach Lehman verschärften Regulierung wurde nicht gerüttelt. Wenn aber die bestehende Regulierung auf ihre Effizienz geprüft und die Anwendung der härtesten Regulierungsstandards gezielt auf Größe und Risikomodell einer Bank angepasst wird, wie in den USA geschehen, dann hat das durchaus auch für Europa Modellcharakter, denn trotz des im Bankenpaket noch einmal gestärkten Proportionalitätsprinzips leiden kleinere Institute hierzulande nach wie vor an einem Übermaß an Auflagen und damit verbundenen Kosten. Beneidenswert ist auch die Geschwindigkeit, mit der die Anpassungsmaßnahmen vorangetrieben werden. So sind zwischen Gesetzentwurf und den ersten Vorschlägen zur Umsetzung durch die Behörden nur wenige Monate vergangen. Es bleibt allerdings zu hoffen, dass die USA in ihrem derzeitigen Eifer für nationale Regulierungsmaßnahmen nicht die Umsetzung der Baseler Richtlinien aus den Augen verlieren, denn dies würde zu einer verantwortungslosen Zunahme unnötiger globaler Marktfragmentierungen führen.
Welche Themen prägen zurzeit die Debatte bei den deutschen Banken?
Natürlich ist die Digitalisierung eines der derzeit dominierenden Themen im Banken- bzw. Finanzsektor. Doch die Banken blicken derzeit auch mit großer Aufmerksamkeit und großen Erwartungen nach Europa. Die neue Kommission und das neue Parlament stehen nach den Europawahlen Ende Mai gemeinsam mit den Mitgliedstaaten vor der Herausforderung, endlich einen wirklichen europäischen Finanzbinnenmarkt zu errichten. Dieser ist bislang nur schemenhaft zu erkennen, denn unterschiedliche nationale Regelungen erschweren es Banken beispielsweise, eine grenzüberschreitende Liquiditäts- und Kapitalsteuerung zu betreiben, und machen es Banken nahezu unmöglich, als wirklich europäische Produktanbieter in Erscheinung treten zu können. Was wir deshalb dringend benötigen, sind einheitliche rechtliche Rahmenbedingungen auf EU-Ebene. Denn ohne jeden Zweifel gilt: Ein einheitlicher Finanzbinnenmarkt wäre eine echte Wachstumschance für die europäische Wirtschaft und auch für die europäischen Banken!
Wieviel Optimismus spürt man in der Bankenbranche? Oder ist es mehr Angst, Unsicherheit und Zögern?
Es wäre leichtfertig, die Zukunft der Banken ausschließlich in rosaroten Farben zu malen. Gerade mit Blick auf die Big Techs und ihre (mutmaßlichen) Ambitionen, Teile des Bankgeschäfts zu erobern, gibt es viele offene Fragen, nicht zuletzt auch regulativer Art, die unsere Häuser beschäftigen. Die Banken wissen, dass sie in einem nach wie vor komplizierten Umfeld – Stichwort: Niedrigzinsen – einiges Geld in die Hand nehmen müssen, um sich auch technologisch für die Zukunft zu rüsten. Doch von Angst ist weit und breit keine Spur. Warum auch – gerade die privaten Banken sind den scharfen Wettbewerb um Kunden und Marktanteile gewohnt, er ist Teil ihres genetischen Codes. Schon vor einigen Jahren ist die Branche von nicht wenigen Experten quasi totgeschrieben worden, doch im Augenblick sprechen alle Indizien dafür, dass die Banken mit Zuversicht in die Zukunft blicken können.
Wie wird sich MREL aus Ihrer Sicht auswirken?
Das Thema Sanierung und Abwicklung von Banken ist eines, das die Öffentlichkeit naturgemäß interessiert, bei dem aber auch schon eine Menge auf den Weg gebracht worden ist. Ein Beispiel ist die Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (MREL), die institutsindividuell festgelegt wird und die sicherstellen soll, dass Banken ein ausreichendes Maß an Eigenmitteln und wandelbarem Fremdkapital für den Abwicklungsfall vorhalten. Die deutschen Banken sind nach unserer Einschätzung gut auf die Erfüllung der MREL/TLAC-Anforderungen vorbereitet. Letztlich geht es darum, dass Bail-in-fähige Verbindlichkeiten zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, in der erforderlichen Höhe und in der notwendigen Qualität vorgehalten werden müssen. In diesem Zusammenhang ist es u.a. wichtig, dass bei der Feststellung der MREL-Anrechnungsfähigkeit von Verbindlichkeiten verhältnismäßig vorgegangen wird. Der Kreis der eigentlich MREL-fähigen Produkte sollte nicht durch überbordende Anforderungen faktisch eingeschränkt werden. Zudem muss die behördliche Praxis für die Genehmigungspflicht bei Rückkäufen effizient ausgestaltet sein, sodass weiterhin zeitnah auf Marktbewegungen oder Investorenanfragen reagiert werden kann. Auch gilt es, den Anspruch auf Datenvollständigkeit und -korrektheit mit dem Prinzip der Schnelligkeit auszutarieren. Unflexible Vorgaben sollten vermieden werden, da die speziellen Umstände, die zum Abwicklungsfall führen, potenzielle Auswirkungen auf die Datenverfügbarkeit und -qualität haben können.