1. Was sind aus IT-Sicht die großen Herausforderungen der nächsten 10 Jahre in der Versicherungsbranche?
Wir sehen einen technologischen Wandel. Viele Gesellschaften lösen ihre Alt-Systeme ab und investieren in eine moderne IT-Landschaft. Das ist notwendig, um den Kundenansprüchen von heute gerecht zu werden. Denn Kundinnen und Kunden erwarten heute volle Transparenz bei den Geschäftsprozessen und setzen voraus, dass sie alles über ihr mobiles Endgerät abwickeln können. Dafür müssen wir weg von einer IT, die nur verwaltet, hin zu Servicesystemen, die zu 100% kundenorientiert sind.
2. Wie bewerten Sie den Nutzen von Trend-Themen wie Blockchain und Artificial Intelligence für die Versicherungsbranche?
Neue Technologien bieten immer interessante Chancen. Es hängt allerdings von der Branche und ihren spezifischen Abläufen ab, in welcher Form diese sinnvoll eingesetzt werden können. In der Versicherungsbranche wird aus meiner Sicht die Block-Chain-Technologie noch etwas brauchen. Die ersten Anwendungsfälle sehe ich nicht im Retail, sondern im Industriegeschäft, etwa bei Transportversicherungen für Frachtcontainer.
Artificial Intelligence ist eine sehr fortgeschrittene Form der Automatisierung. Bevor ein Unternehmen künstliche Intelligenz einsetzt, sollte das normale Automatisierungspotenzial ausgeschöpft werden. Also, erst automatisieren, dann Roboter einsetzen, und dann auf AI setzen. Künstliche Intelligenz wird sicher an Bedeutung gewinnen. Aktuell ist es noch eine Frage des internen Reifegrads und der Transaktionsvolumina, die für einen positiven Business-Case notwendig sind, ob ein Unternehmen daraus wirklich einen Nutzen ziehen kann.
3. Stichwort Unternehmenskultur: Gibt es hier tatsächlich einen Wandel oder spricht man nur davon? Braucht es überhaupt einen Wandel?
Unsere Welt wird immer digitaler. Diese Entwicklung schlägt sich natürlich auch in der Unternehmenskultur nieder. Denn unsere Kundinnen und Kunden sind „always online“ und sie sind durch Erfahrungen in anderen Branchen geprägt. Unsere jungen Kolleginnen und Kollegen der Generationen Y und Z sind „digital natives“, für sie ist der Umgang mit Digitalem das Normalste auf der Welt. Es liegt also auf der Hand, dass ein Kulturwandel notwendig ist. Als Versicherungsbranche haben wir über lange Zeit wenig getan. Jetzt müssen wir viel aufholen, um Schritt zu halten und als kunden- und serviceorientiert wahrgenommen zu werden.
4. Was ist aus Ihrer Sicht die größte Bedrohung für das Geschäftsmodell der Versicherer? Die Tech-Riesen? InsurTechs? Etwas anderes?
Die Kernidee einer Versicherung ist einfach: Viele leisten einen kleinen Versicherungsbeitrag, um im Falle des Falles einen Großschaden abzudecken. Das Geschäftsmodell von Versicherungen gibt es schon seit dem Altertum und ist daher sehr langfristig angelegt. Daran wird sich nichts ändern. Was sich ändern wird, sind die Services, die rund um Versicherungsprodukte angeboten werden. Hier stehen wir vor revolutionären Veränderungen und hier ist vieles möglich: Die richtige Idee zur richtigen Zeit am richtigen Ort wird sich durchsetzen.
5. Fällt Ihnen ein Unternehmen aus einer anderen Branche ein, das ein gutes Vorbild für die Versicherer ist?
Es gibt viele gute Beispiele, etwa aus der Bankbranche. Ich möchte keinen Namen nennen. Aber es gibt Unternehmen, die gute Vorbilder sind, weil sie es geschafft haben das Kundenerlebnis neu zu gestalten und durchgängig zu modernisieren: vom Firmensitz, über die Filialen bis hin zum Online-Service-Angebot. Und bei all der Digitalisierung steht dennoch der Mensch weiterhin im Mittelpunkt. Es geht immer darum, die Probleme des Kunden zu lösen und es einfach zu machen. Davon können auch wir uns in der Versicherungsbranche einiges abschauen.
Im Gespräch mit Andreas Heidl:
Andreas Heidl ist Mitglied des Vorstandes und COO bei Zürich Versicherungs-Aktiengesellschaft in Österreich und Speaker bei der IFA 2019.