Business Circle: Herr Mittendorfer, Ende März findet wieder das Insurance Forum Austria (IFA) statt. Welche Themen sollten Ihrer Meinung nach unbedingt behandelt werden?
Rudolf Mittendorfer: Nun, das Programm ist ja bereits sehr umfangreich. Manche Themen werden nicht jedem gleich wichtig sein und manches einigen fehlen. Eine entscheidende Frage für die Zukunft wird wohl die Nutzung von Daten sein: Führt diese zu mehr Gerechtigkeit in der Versicherungsbranche (siehe Telematik-Lösungen oder Wearables-Computertechnologien), oder zerstört man damit die gewohnten Risikokollektive? Denn damit wird eben im positiven Fall eine Versicherung klar günstiger – andere Gefahren wie Hochwasserschutz oder Lawinen werden aber unfinanzierbar oder unmöglich zu versichern. Diese Diskussion kennen wir bereits von Katastrophenschäden.
Business Circle: Welche Trends sind derzeit in der Versicherungsbranche bemerkbar, also neben kulturellen und technologischen Transformationsprozessen?
Rudolf Mittendorfer: Mit dieser Frage tue ich mir leichter - das ist für mich als Makler sehr eindeutig erkennbar, und das seit etlichen Jahren: Zum einen wird es ein Konzentrationsprozess im Sinne von Maklergruppen und Kooperationen sein. Zum anderen führt es zu einer Spezialisierungswelle. Dazu ein kleines Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung: Als ich als junger Student in Wien Beratung durch einen spezialisierten Rechtsanwalt bezüglich des Mietvertrages wollte und bei der Rechtsanwaltskammer anrief, rieten die mir zum Blick ins Telefonbuch. Auf meine Anmerkung, dass hier gar keine Spezialisten vermerkt sind, kam die Reaktion aus der Kammer: „Alle sind spezialisiert“. Das hat sich nun geändert, denn andere beratende Berufe wie Ärzte oder Steuerberater sind da längst enorm spezialisiert, da hinken die Versicherungsberater und Makler weit nach.
Beide genannten Tendenzen haben Kostenersparnisse zum Ziel, die Spezialisierung wird aber zunehmend auch durch die Versicherungsvertriebsrichtlinie (Insurance Distribution Directive-IDD) beschleunigt. Denn immer mehr Branchen haben Spezialprobleme und benötigen Speziallösungen – diese sind von der Stange nicht zu kriegen, die meisten Versicherer möchten jedoch gerne Stangenware verkaufen.
Damit besteht einerseits die Gefahr der Falschberatung, andererseits bedeutet es einen gewaltigen Arbeitsaufwand für nur einen einzigen Geschäftsfall. Mangelnde Spezialisierung kann daher die Haftungsproblematik beschleunigen. Besonders interessant erscheint mir das beim digitalen Vertrieb von Annexprodukten wie es in der Versicherungsbranche häufig vorkommt. Viel Information, für wenig Prämie.
Business Circle: Ein Schwerpunkt bei der IFA wird Next Level Insurance sein. Wie sollte diese aussehen? Wie ist Ihre Sichtweise?
Rudolf Mittendorfer:Ein Schlagwort ist hier sicher künstliche Intelligenz (KI), die mittlerweile fast überall Einzug hält, egal ob als Einparkhilfe beim Auto oder bei KI-basierten Risiko- und Betrugserkennungssystemen. Die Versicherungswirtschaft wird sich damit direkt und indirekt noch mehr beschäftigen müssen.
Dass ich als Makler der Marke „old school“ zu diesem Thema eine grundsätzlich reservierte Meinung habe, wird nicht überraschen.
Ich bin hingegen immer wieder überrascht, wie wenig in der ganzen Digitalisierungsdiskussion über die Gefahren von Datenmissbrauch – und auch über die Kosten, die der Versuch diesen zu vermeiden – geführt wird.
Business Circle: Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft der österreichischen Versicherungsbranche aus? Wo geht die Reise hin?
Rudolf Mittendorfer: Da kommt man wohl an der Automatisierung von Prozessen in allen Bereichen nicht herum: Vom Antrag, über die Polizzierung und Verwaltung bis hin zur Schadensbeurteilung.
Für die Makler wird das noch eine harte Prüfung – denn wir müssen da wie der Schweif dem Kometen der Versicherungswirtschaft folgen. Ich weiß, dass das physikalisch nicht ganz stimmt, aber es zeigt das Bild am anschaulichsten. Die ganze Schnittstellenthematik steht vor uns, da sehe ich fast schwarz.
Es wird auch bei den Anbietern zu Veränderungen kommen: Manche werden aufhören müssen, alle Systeme und Vertriebsformen zu bedienen; es wird vermehrt zu reinen online-Versicherungen kommen und die Insurtechs und Fintechs werden weiterhin Druck machen. Es ist auch zu berücksichtigen, dass die meisten Makler schon Jahrzehnte am Markt sind. Fast jeder hat den Ausfall eines oder mehrerer Verwaltungsprogrammanbieter er-und überleben müssen. Das mag es verständlicher erscheinen lassen, dass nicht jeder neuen Geschäftsidee begeistert nachgelaufen wird….Irrwege sind teuer.
Business Circle: Das klingt sehr pessimistisch.
Rudolf Mittendorfer: Eher realistisch, denn wenn Versicherungen und andere Institutionen unglaubliche Summen in Startups investieren, die doch eher eine Bedrohung des klassischen Versicherungsgeschäftes darstellen, dann schaut das schon etwas lemminghaft aus. Dieses Geld fehlt dann natürlich in anderen Budgets.
Ich glaube, dass die nächste Generation von Versicherungsprodukten sehr stark von der next level insurance bestimmt sein wird. Das Internet der Dinge wird ein großer Treiber sein.
Aber – und das hemmt meinen Pessimismus - man wird so schnell nicht an der menschlichen Komponente vorbeikommen. Wenn die Technologie zu mehr Transparenz und mehr Vertrauen zwischen Kunden und Versicherungsmaklern führt und wenn dadurch der administrative Aufwand sinkt, dann soll es mir recht sein.
Dennoch bin ich der Meinung, dass über diese Veränderungen beim Menschen mehr geforscht und mehr diskutiert werden muss. Es liegen ja selten alle Karten am Tisch – Atomkraftwerke gelten als billig – weil die Entsorgungskosten nicht kalkuliert sind, sondern der Allgemeinheit umgehängt werden. Elektroautos galten vor kurzem noch als umweltfreundlich – bis nun die enormen Belastungen durch die Batterien bekannt wurden. Die große Frage, die sich für mich stellt – in allen Branchen, und erst recht unserer: Brauchen wir alles, was technisch machbar ist, nützt das den Menschen wirklich und wollen sie das auch?
Rudolf Mittendorfer ist Versicherungsmakler bei Verag GmbH in Wien.
Veranstaltungstipp:
IFA - Insurance Forum Austria, 25. / 26. Juni 2020 - Rust