Die Europäische Union hat sich mit der Unterzeichnung des Pariser Klimaschutzabkommens zur Verfolgung der darin vereinbarten Klimaziele sowie einer nachhaltigeren Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft verpflichtet. Im Dezember 2019 wurde von der Europäischen Kommission der Europäische Green Deal vorgestellt. Hierin verpflichtet sich die Europäische Union, bis 2050 zum ersten klimaneutralen Wirtschaftsraum der Welt zu werden.
Environmental Social Governance (ESG – Umwelt, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung) ist wesentlicher Bestandteil des Green Deal. Transparenz im Finanzsektor nimmt dabei eine Schlüsselrolle in der Transition zu einer nachhaltigen und emissionsarmen Wirtschaft ein. Seit 10.3.2021 gilt unionsweit die Verordnung (EU) 2019/2088 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (die "OffenlegungsVO"). Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater werden darin verpflichtet, Informationen zu nachhaltigen Anlagen und Nachhaltigkeitsrisiken offenzulegen.
Ziel der OffenlegungsVO ist es, dass sämtliche Finanzmarktteilnehmer ESG-Faktoren in ihren Beratungsprozess integrieren. Dadurch soll sichergestellt werden, dass (institutionelle) Anleger ESG-Faktoren in ihre Anlageentscheidungen einbeziehen. Offenzulegen sind insbesondere Konzepte zur Einbindung von Nachhaltigkeitsrisiken in Investitionsentscheidungsprozesse sowie die nachteiligen Auswirkungen von Investitionsentscheidungen auf bestimmte ESG-Faktoren. Durch produktbezogene Informationspflichten will die OffenlegungsVO sogenanntes "Greenwashing" verhindern, also dass ungeeignete Produkte als nachhaltig oder klimafreundlich vermarktet bzw. beworben werden.
Der Nachhaltigkeitsbegriff iSd OffenlegungsVO ist weit auszulegen: Als "Nachhaltigkeitsrisiko" wird ein Ereignis oder eine Bedingung in den Bereichen Umwelt, Soziales oder Unternehmensführung verstanden, dessen bzw. deren Eintreten tatsächlich oder auch nur potenziell wesentliche negative Auswirkungen auf den Wert der Investition haben könnte.
Adressatenkreis
Die von der OffenlegungsVO umfassten Finanzmarktteilnehmer haben gemeinsam, dass Sie für den Anleger regelmäßig Investitionsentscheidungen treffen. Zu ihnen gehören:
- Versicherungsunternehmen, die ein Versicherungsanlageprodukt (insurance-based investment product – IBIP) anbieten;
- Wertpapierfirmen, die Portfolioverwaltung erbringen;
- Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV);
- Hersteller eines Altersvorsorgeprodukts;
- Verwalter alternativer Investmentfonds (alternative investment fund managers, AIFM);
- Anbieter eines Paneuropäischen Privaten Pensionsprodukts (pan-European Personal Pension Product, PEPP-Anbieter);
- Verwalter eines qualifizierten Risikokapitalfonds, die gemäß EuVECA-Verordnung registriert sind;
- Verwalter eines qualifizierten Fonds für soziales Unternehmertum, die gemäß EuSEF-Verordnung registriert sind;
- Verwaltungsgesellschaften für Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW-Verwaltungsgesellschaft); und
- Kreditinstitute, die Portfolioverwaltung erbringen.
Darüber hinaus unterliegen auch folgende Finanzberater den Pflichten der OffenlegungsVO:
- Versicherungsvermittler, die Versicherungsberatung für IBIP erbringen;
- Versicherungsunternehmen, die Versicherungsberatung für IBIP erbringen;
- Kreditinstitute, die Anlageberatung anbieten;
- Wertpapierfirmen, die Anlageberatung anbieten;
- AIFM, die Anlageberatung als Nebendienstleistung anbieten; und
- OGAW-Verwaltungsgesellschaften, die Anlageberatung etwa in Bezug auf übertragbare Wertpapiere, Geldmarktinstrumente oder Emissionszertifikate als Nebendienstleistung anbieten.
Art, Umfang und Inhalt der Offenlegungspflichten
Der genaue Umfang der Offenlegungspflichten hängt davon ab, ob man als Finanzmarktteilnehmer (mehr Pflichten) oder als Finanzberater (weniger Pflichten) iSd OffenlegungsVO gilt. Zusammengefasst beinhalten die Pflichten Folgendes:
- Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater haben Informationen zu ihren Strategien zur Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken bei ihren Investitionsentscheidungsprozessen bzw. Beratungstätigkeiten zu veröffentlichen.
- Es ist zu veröffentlichen, ob und wie nachteilige Auswirkungen von Investitionsentscheidungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren (bei der Beratung) berücksichtigt werden.
- Bei Finanzmarktteilnehmern mit mehr als 500 Mitarbeitern ist ab 30.6.2021 eine Erklärung über Strategien zur Wahrung der Sorgfaltspflicht im Zusammenhang mit den wichtigsten nachteiligen Auswirkungen von Investitionsentscheidungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren erforderlich. Die OffenlegungsVO legt dabei den Mindestinhalt dieser Erklärung fest.
- Im Rahmen ihrer Vergütungspolitik ist anzugeben, inwiefern die Vergütungspolitik der Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater mit der Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken im Einklang steht.
- Zudem sind Angaben hinsichtlich (i) der Art und Weise, wie Nachhaltigkeitsrisiken bei ihren Investitionsentscheidungen bzw. bei ihrer Beratung einbezogen werden, sowie (ii) der Ergebnisse der Bewertung der zu erwartenden Auswirkungen von Nachhaltigkeitsrisiken auf die Rendite der Finanzprodukte, die sie zur Verfügung stellen bzw. die von ihnen beraten werden, zu machen.
Die Offenlegung erfolgt sowohl im Rahmen der bereits bisher erforderlichen (vor)-vertraglicher Kundeninformation (Art 6 Abs 1 und 2 OffenlegungsVO), als auch auf der Internetseite des betreffenden Unternehmens (Art 3 und 4 OffenlegungsVO). Darüber hinaus ist eine zumindest jährliche Berichterstattung vorgesehen. Die Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater haben sicher zu stellen, dass die veröffentlichten Informationen stets auf dem aktuellen Stand sind und ihre Marketingmitteilungen nicht im Widerspruch zu den gemäß der OffenlegungsVO veröffentlichten Informationen stehen.
Ausnahmen
Sofern die einzelnen Mitgliedstaaten nicht Gegenteiliges beschließen, gelten die Vorschriften der Verordnung nicht für kleine Versicherungsvermittler und kleine Wertpapierfirmen, die lediglich Anlageberatung anbieten. "Klein" im Sinne der Ausnahmebestimmung sind Unternehmen, die weniger als drei Personen beschäftigen.
Ausblick
Die Offenlegung der Informationen in den regelmäßigen Berichten der Finanzmarktteilnehmer wird ab 1.1.2022 verpflichtend. Die Billigung durch die EU-Kommission des am 4.2.2021 veröffentlichten finalen Entwurfs der zugehörigen technischen Regulierungsstandards (RTS), der die Offenlegungsanforderungen konkretisiert, wird für Mai 2021 erwartet. Die RTS sind voraussichtlich ab dem 1.1.2022 anzuwenden.
Für die Umsetzung der Anforderungen nach Konkretisierung durch die RTS werden zahlreiche neue Daten benötigt, die von Kreditinstituten und Versicherungen bisher nicht standardisiert vorgehalten werden. Als eine der größten Hürden gilt es, die notwendigen Daten zur Offenlegung zu erheben. Es empfiehlt sich daher bereits jetzt, mit der Definition des erforderlichen Datenhaushalts und der notwendigen Prozesse zur Erhebung zu beginnen, um einen späteren Umstellungsbedarf möglichst zu reduzieren. Aufgrund des engen Zeitrahmens, der den Unternehmen für die Umsetzung der Verordnung eingeräumt wurde, stehen Anwender also durchaus vor einer Herausforderung.
Der Autor: Dr. Philipp Baubin, LL.M., MBA ist Partner bei Weber & Co. Rechtsanwälte. Neben Bank- und Finanzierungsrecht liegen seine Schwerpunkte in den Bereichen Kapitalmarktrecht sowie Venture Capital.