Business Circle: Sehr geehrter Herr Dr. Pfeifer, eingangs möchten wir Sie um Ihre Einschätzung bitten: Für wann rechnen Sie mit einem österreichischen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz? Und wie wird das im Vergleich zu seinem bundesdeutschen Pendant ausfallen?
Frederick Pfeifer: Da es – soweit ersichtlich – derzeit keine Bestrebungen für ein nationales österreichisches Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gibt, wird eine diesbezügliche Regelung in Österreich wohl erst in Umsetzung der unionsrechtlichen Corporate Sustainability Due Diligence Directive (kurz „CSDDD“, umgangssprachlich auch oft als „EU-Lieferkettengesetz“ bezeichnet) erfolgen. Derzeit liegt jedoch noch kein finaler Text dieser Richtlinie vor; aus Brüssel vernimmt man, dass hierzu gegenwärtig sehr schwierige und von reger Lobbyarbeit begleitete Verhandlungen geführt werden – nicht verwunderlich aufgrund der Tragweite dieser Richtlinie. Es wird jedoch erwartet, dass die CSDDD strengere Regelungen als das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz beinhalten wird. Berücksichtigt man die zähen Verhandlungen und die darauffolgende, den Mitgliedstaaten eingeräumte Umsetzungsfrist, rechne ich frühestens im Jahr 2026 mit einem österreichischen Gesetz.
BC: Wir werden im November auf der „Compliance now!“ sein und uns über ESG-Themen unterhalten: Wo sehen Sie Parallelen und Unterschiede zwischen ESG- und Compliance- Management?
Pfeifer: Sowohl das ESG- als auch das Compliance- Management betreffen zentrale Aspekte der Unternehmensführung und -verantwortung. Während Compliance gemeinhin das Einhalten verbindlicher Gesetze und Vorschriften beschreibt, steht bei ESG vermehrt eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen im Vordergrund. Letzten Endes zielen jedoch beide Materien darauf ab, unternehmerisches Handeln akzeptierten und gesellschaftlich anerkannten Verhaltensnormen zu unterwerfen, schreiben Gesetze ja bereits ein vom jeweiligen Rechtssetzungskörper gewünschtes Normverhalten nieder. Der Bereich ESG ist schließlich weitaus mehr von Kennzahlen und Ratings getrieben, was auf den zentralen Zweck der Taxonomie zurückzuführen ist, und zwar Informationen für Kapitalmarktteilnehmer bereitzustellen.
BC: Was sind typische Fehler, die bei der Bewertung der eigenen Lieferkette passieren können, worauf muss man besonders achten?
Pfeifer: Es ist zunächst essentiell, eine tragfähige Datenbasis zur Verfügung zu haben; dies betrifft vor allem die Vollständigkeit als auch die Aktualität der Daten – hier wird es oft notwendig sein, auf externe IT-Lösungen und Daten- bzw. Ratingprovider zurückzugreifen. Ich rate weiters zu einem möglichst holistischen Bewertungsansatz, was regelmäßig mit der Einbindung mehrerer Geschäftsabteilungen verbunden sein wird. Dieser holistische Bewertungsansatz sollte freilich neben Kosten und bereits geläufigen Nachhaltigkeitsaspekten auch zukünftig voraussichtlich häufiger auftretende Risiken – etwa Unterbrechungen der Lieferkette durch Naturkatastrophen oder aufgrund politischer Spannungen – angemessen berücksichtigen.
BC: Damit eine Veränderung nachhaltig ist, muss sie auf breiter Basis mitgetragen werden. Wie also das Team am besten mit ins Boot holen?
Pfeifer: Zunächst gilt es Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es bei einem nachhaltigen Lieferkettenmanagement in Zukunft wohl nicht mehr um ein „nice to have-Feature“ oder ein CSR-Projekt geht, sondern Non-Compliance vielmehr dazu führen kann, dass man schlicht nicht mehr als Vertragspartner in Betracht kommt, was reale wirtschaftliche Einbußen nach sich zieht. Weitere wichtige Aspekte sind meines Erachtens ein Forum für breite Partizipation zu schaffen, in dem jeder und jede frühzeitig Meinungen, Ideen und Bedenken äußern kann, für klare und regelmäßige Kommunikation zu sorgen sowie im Zuge der Umsetzung gemeinsam Meilensteine und (Teil)Erfolge zu feiern.
BC: Ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz nur eine weitere neue Regel oder könnte das ein Game-Changer im Compliance Management sein, weil ganz neue Risiken mitbedacht werden müssen?
Pfeifer: Es ist derzeit schon zu beobachten, dass man weitaus häufiger als früher von Vertragspartnern mit einem zu unterfertigenden Code of Conduct konfrontiert wird, in dem auch rechtlich „scharfe“ Verpflichtungen, wie etwa Audit- oder Sonderkündigungsrechte, festgeschrieben sind. Insofern hat dieses Gesetz bereits zu einer nachhaltigen Änderung geführt. Für die unmittelbar verpflichteten, in Deutschland operierenden Unternehmen gibt es nun im Gegensatz zu früher eine klare gesetzliche Verpflichtung, was bei vielen zum Umdenken geführt hat: Zwar wird keine zivilrechtliche Haftung normiert, die Sanktionen, wie erhebliche Bußgeldzahlungen oder der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge, haben es jedoch in sich. Insofern würde ich es schon als Game Changer bezeichnen, auch wenn das Handwerkszeug zur Begegnung bzw. Bewältigung der Herausforderungen, wie etwa der risikobasierte Ansatz, gleichgeblieben ist.
Haftungs- und Reputationsrisiken vermeiden
BC: Eine Frage zu einem hier nur am Rande berührten Thema, das aber auch relevant sein wird: Inwiefern wird die Bewertung der Lieferkette in zukünftige M&A-Transaktionen mit einfließen?
Pfeifer: Eine „Lieferketten-DD“ wird sicher an Bedeutung gewinnen – dies zum einen schon aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus: So hat etwa bereits die COVID-19 Pandemie gezeigt, wie fragil Lieferketten sind, was somit resiliente und gut gemanagte Lieferkette zu einem wertvollen Asset macht. Aber auch aus Sicht einer Legal DD muss hinkünftig sicher genauer hingesehen werden, um Haftungs- und Reputationsrisiken zu vermeiden. Fragen, die sich diesbezüglich stellen sind etwa, wie das Lieferkettenmanagement generell ausgestaltet ist, wie risikobehaftet die Zuliefererstruktur ist und wie vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten mit einzelnen Zulieferern beschaffen sind.
BC: Die typische Aufgabe für Legal Counsel und Compliance ist „Keep me out of jail” oder, vielleicht für Compliance sogar noch relevanter, “keep me out of a shitstorm” was ist der wichtigste Tipp für den Umgang zwischen ESG- und Compliance Management und dem Vorstand?
Pfeifer: Zentral ist hier sicherlich, dass letzten Endes Compliance- und ESG-Agenden in die Unternehmensstrategie und -ziele integriert werden sollten, wobei ich hier nicht so sehr den defensiven Aspekt in den Mittelpunkt rücken würde, sondern vielmehr die sich daraus ergebenden Chancen aufzeigen würde. Ebenso essentiell ist es, den Vorstand „abzuholen“ – etwa im Rahmen regelmäßiger Jour Fixes – sowie ergebnisorientierte Berichte vorzubereiten, in denen Risiken und Chancen bestmöglich quantifiziert und Kennzahlen geliefert werden.
BC: Abschließend: Welche Botschaft möchten Sie auf der „Compliance now!“ vermitteln, was soll das Publikum aus Ihrem Beitrag mitnehmen?
Pfeifer: Auch wenn die CSDDD derzeit erst final ausverhandelt wird: Was schon feststeht ist, dass diese kommen wird und dass es aus vielerlei Gesichtspunkten heraus Sinn macht, das Management der Lieferkette zu überdenken und bewusster zu gestalten. Daher gilt es, frühzeitig zu starten und bereits die gegenwärtige Anlaufphase bestmöglich zu nutzen, sodass man in zwei Jahren nicht vom Adaptierungsbedarf überrollt wird. Dabei bin ich bin davon überzeugt, dass ein jetzt ausgelöster Mehraufwand durch erhöhte Compliancepflichten bzw. die Prozessumstellung sich langfristig als klarer Wettbewerbsvorteil herausstellen wird, weshalb der Umstellungsprozess als Investition betrachtet werden sollte.
BC: Sehr geehrter Herr Dr. Pfeifer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch und freuen uns, Sie zur "Compliance now!" zu begrüßen.
MMag. Dr. Frederick Pfeifer hat in Innsbruck und New Orleans Wirtschaftsrecht, Internationale Wirtschaftswissenschaften und Rechtswissenschaften (Doktoratsstudium) studiert. Anschließend hat er seine Rechtsanwaltsausbildung in Innsbruck in der Corporate/M&A Praxis einer Wirtschaftsrechtskanzlei absolviert (RA-Prüfung im Juli 2022). Seit Februar 2023 ist er bei der CA Immobilien Anlagen AG in der Abteilung Corporate Office & Compliance mit den Schwerpunkten Gesellschaftsrecht, Kapitalmarktrecht, Corporate Governance & Compliance (insbesondere ESG-Compliance für Governance-Themen) tätig. Am 17. November ist er Teil der abschließenden Podiumsdiskussion zum Thema "- EU Vorgaben zur Lieferkette - Die Problematik einer nachhaltigen Lieferkette und die Rolle der Compliance"