Herr Dr. Müller, wie kommt es, dass man sich bei einer Compliance Konferenz der Expertise eines Kriminalpsychologen bedient?
Die rechtlichen Rahmenbedingungen im Compliance Bereich haben sich seit 2008 in vielen Ländern geändert, für die Betroffenen massiv verschärft. Jeder, der in diesem Bereich tätig ist, findet heute ein anderes Arbeitsumfeld vor, als noch vor 15 Jahren. Es geht also um das persönliche Krisenmanagement. Die Kriminalpsychologie hilft, weil sie auch in diesem Bereich Forschung betreibt. Sie gibt also Antwort auf die Frage, wie man mit solchen persönlichen Belastungssituationen umgeht, damit man möglichst wenig davon in das Privatleben mitnimmt.
Wo genau liegen die außergewöhnlichen Belastungssituationen eines Compliance Officers? Hat dieser Zustand damit zu tun, dass einem Menschen in dieser Funktion heutzutage mehr zugemutet wird, als er eigentlich im Stande ist zu verkraften – aus rein psychologischer Sicht?
Durch die Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen ist die Haftbarkeit von Institutionen auf Einzelpersonen übergegangen. Das stellt eine unglaubliche Herausforderung und psychische Belastung für diese Personen dar, denn im Ernstfall können sie zur Rechenschaft gezogen werden. Und natürlich stellen sie sich dann die Frage, was das für sie bedeutet. Z.B. muss die Pensionsplanung anders angelegt werden. Denn wenn Menschen persönlich dafür haftbar sind, müssen sie auch persönlich dafür zahlen. Und das stellt z.B. diese besonderen Herausforderungen dar.
Wie kann ein Compliance Officer am besten mit diesen Situationen umgehen. Haben Sie eine Art Leitfaden?
Wie man mit solchen Situationen umgeht, hat nicht nur mit der Funktion eines Compliance Officers zu tun. Vielmehr geht es darum, wie Menschen generell mit Belastungssituationen umgehen. Es gibt im Großen und Ganzen vier Kernbereiche, die hier eine Rolle spielen: 1. Es ist wichtig, sich in Belastungssituationen weiterzuentwickeln. 2. Um weiterhin aktiv zu bleiben, ist ein Perspektivenwechsel notwendig. 3. Eine offene und ehrliche Form der Kommunikation ist unabdingbar. Gerade in Krisensituationen. 4. Die Diversifizierung des Selbstwertgefühls. Das bedeutet, dass ein guter Job mit guter Bezahlung alleine nicht ausreicht, um jemanden resilient, also widerstandsfähig zu machen, um in Krisensituationen stark zu sein. Aber, wie gesagt, das betrifft auch viele andere Bereiche.
Wie schätzen Sie die künftige Entwicklung im Compliance Bereich ein? Wird die Belastung noch größer werden? Der Mensch ist ja auch anpassungsfähig. Die Frage ist ja auch, was können Firmen machen, um Mitarbeiter zu stärken?
Naturgemäß ist es dem Menschen nicht gegeben in die Zukunft zu schauen. Manche Experten meinen, der Peak sei bereits erreicht, andere sagen, es wird noch weitergehen. Was können Firmen machen? Eigentlich ist das ganz einfach: Die direkte und persönliche Kommunikation fördern! Es wird sicher auch notwendig sein, dass jeder einzelne Compliance Officer lernt, nein zu sagen und Grenzen aufzuzeigen. Dafür braucht es auch Unterstützung, gerade dann, wenn z.B. Mitarbeiter im Außendienst tätig sind. Jeder Einzelfall ist jedoch zu prüfen und das bedarf der persönlichen Kommunikation. Also weg von Geschriebenem und Standardformulierungen.
Dr. Thomas Müller hält am 28. November 2019 im Rahmen der Veranstaltung Compliance now! einen Vortrag zum Thema: Psychologische Herausforderungen für Compliance Officer in außergewöhnlichen Belastungssituationen.