Business Circle: Sehr geehrter Herr Dencker, Sie sind Director Compliance Europe bei Ecolab, welche Regeln haben Sie in Ihrem Team in Bezug auf Home-Office und Büro-Präsenz und wie lange hat die Umstellung gedauert? Gab es einen Unterscheid zwischen Sommer und zweitem (drittem) Lockdown?
Sebastian Dencker: Unser Globales Facility Management Team hat ein sehr ausgeklügeltes Anwesenheits-System erstellt, je nach Risiko-Situation im Land wird nach 4 definierten Stufen reagiert. Insofern war im Sommer 2020 tatsächlich 50% Mitarbeiter-Anwesenheit erlaubt, während wir im gegenwärtigen Lockdown nur mehr die Anwesenheit im Ausnamefall erlauben. Darüber hinaus herrscht seit einiger Zeit Maskenpflicht auch am eigenen Arbeitsplatz. Die Umstellung bzw. Umsetzung ist gleitend verlaufen und mit entsprechendem fine-tuning in Einzelfall durch die Geschäftsführung und ggfs. Betriebsrat unterstützt worden.
BC: Die Digitalisierung ist ja schon lange ein Thema, jetzt hat sich COVID sicher als Innovationstreiber bei Digitalisierungsprojekten erwiesen, welche Auswirkungen hat das auf die Compliance-Landschaft?
Dencker: Natürlich eignen sich auch Compliance Prozesse oder einzelne Prozess-Schritte für eine Digitalisierung und COVID hat da sicherlich zu einem Innovationsschub geführt insbesondere in der Gedankenwelt. Ich denke da an Automatisierungs-Möglichkeiten im Bereich Data-Analytics, sei es präventiv (Regulatorisch) oder investigativ (Konformität). Übergeordnet ist dabei sicher das Stichwort ‚Responsible AI‘ richtungsweisend. Ich selber bin ein Fan und glaube, dass uns die Digitalisierung, Artificial Intelligence usw. wieder neue Möglichkeiten zur Verbesserung aufzeigen werden.
"Nach der Krise wird sich zeigen, inwiefern der tone-from- the-top überall der gleiche bleiben wird."
BC: Die letzte große Krise war die Finanzkrise 2008/09, der Aufbau von Compliance-Systemen begann erst danach. Kann man sagen, dass Compliance Management Systeme jetzt zum ersten Male im Stresstest stehen?
Dencker: Ich denke weniger, dass Compliance Management Systeme in „Stress“ geraten sein könnten, jedenfalls nicht die robusten, aber dass ganz sicher das Konzept Compliance im einigen Unternehmen einer Überlebensprobe unterzogen wurde bzw. es noch werden wird, wenn die staatliche Unterstützungen auslaufen und das Management selber wieder allein das Überleben der Firma sichern muss. Es wird sich zeigen inwiefern der tone-from- the-top überall der gleiche bleiben wird.
BC: Ohne COVID wäre wahrscheinlich Wirecard das beherrschende Thema im Wirtschaftsleben des vergangenen Jahres gewesen – sehen Sie in dieser Affäre auch ein Versagen von Compliance-Mechanismen?
Dencker: Wie bei jedem andern großen Skandal spielen sicher immer mehrere Faktoren eine Rolle bzw. deren versagen. Ich kenne das das Unternehmen WireCard nicht gut genug um eine faire Einschätzung geben zu können, dennoch liest man von unzureichenden Saldenbestätigungen der Treuhandkonten, undurchsichtigen Geschäftspartnern und einer inaktiven Aufsichtsbehörde. Da haben Sie schon drei mögliche Faktoren, die gepaart mit einem, dem Vernehmen nach, eher laxen Governance Level möglicherweise zu diesem Zusammenbruch geführt haben könnten. Allerding müssen Compliance-Programme überall auch sehr resistent sein, um einer kriminellen Energie von Vorständen erfolgreich entgegenwirken zu können.
BC: Wenn Sie die Situation von vor 5 Jahren mit der heutigen vergleichen und extrapolieren: wird die Bedeutung von Compliance Risikomanagement in Ihrem Geschäft 2026 eher zu- oder abgenommen haben?
Dencker: Ich erwarte definitiv eine Stärkung der Bedeutung von Compliance, aber nicht im Sinne von Ressourcen, sondern eher in der verstärkten Verwebung von Compliance in die Verhaltens DNA von Unternehmen und Konzernen. Stichwort Nachhaltigkeit und Sinnsuche von Generation Y und Millenials. Ich erwarte also eine Stärkung des Faktors Ethik, aber natürlich werden steigende Anforderungen durch Gesetzgeber auch den Faktor Risiko stärker in den Focus stellen.
BC: Und noch eine in die Zukunft gerichtete Frage: Wie sehen Sie die Aus- und Weiterbildung im Compliance-Bereich in Österreich aufgestellt, gibt es genügend qualifizierte Einsteiger für die kommenden Herausforderungen?
Dencker: Ich denke, dass Compliance und ethisches Verhalten ein spannendes und erfüllendes Arbeitsgebiet sind und je besser es uns gelingt, das darzustellen, desto mehr geeignete Einsteiger werden wir motivieren können. Was den Rahmen betrifft ist Österreich sicher gut aufgestellt, wie z.B. dem MBA Compliance & Risikomanagement, aber darüber hinaus auch durch die Präsenz von staatlichen bzw. zwischen-staatlichen Organisationen, wie UNDOC oder IACA.
Sebastian Dencker, MSc, CFE, ist seit April 2016 Director Compliance Europe bei Ecolab Inc. Vorher war er in den Bereichen Finance und Internal Audit tätig. Darüber hinaus verfügt er über umfangreiche Erfahrungen im Verkauf und Marketing. Am 7. Oktober 2021 spricht er auf der „Compliance now!“ dazu, wie sich die Compliance-Risikolandschaft ändern könnte.