Business Circle: Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Wieland! Wie sehen Sie das Spannungsfeld von Vertrauen und Kontrolle: Wieviel Kontrolle ist notwendig, wieviel Vertrauen möglich? Wie verbinden Sie das mit Ihrem transaktionskostenorientierten Ansatz?
Prof. Dr. Josef Wieland: Kontrolle ist unausweichlich, nicht zuletzt schon aus rechtlichen Gründen. Aber ohne Vertrauen ist Kontrolle in einem dynamischen und komplexen Umfeld nicht effektiv. Vertrauen senkt Transaktionskosten und steigert Wirksamkeit.
BC: Sie waren ja für einige Zeit Gastprofessor in China, stimmen die europäischen Klischees von der totalen Kontrolle der Menschen durch den Staat, insbesondere hinsichtlich des Sozialkreditsysstems? Und wie schafft es China dennoch, die führende Wirtschaftsmacht zu sein?
Wieland: Ja, es gibt eine sehr viel dichtere soziale Kontrolle dort, verglichen mit westlichen Demokratien. Allerdings ist die kulturelle Tradition stärker auf hierarchische Strukturen hin orientiert und das Verhältnis des Individuums zur Gesellschaft wird anders gedacht. Das ist eine der kulturellen Wurzeln der chinesischen wirtschaftlichen Entwicklung.
BC: COVID hat sich sicher als Treiber für Remote Work und Homeoffice erwiesen, inwiefern ist jetzt ein neues Vertrauensmanagement gefragt?
Wieland: Ja, natürlich, das ist offensichtlich. In vielen Unternehmen beobachten wir eine Art schleichender Erosion des Zusammenhalts durch Unternehmenskultur.
BC: Zum Wertewandel: Unsere Jahrestagung „Compliance now!“ gibt jetzt seit 2011, welches war in Ihren Augen die gravierendste Veränderung seither? Und wenn wir jetzt extrapolieren: wo werden wir 2031 stehen, welche Werte könnten dann die zentralen sein?
Wieland: Einerseits haben wir eine Verrechtlichung der Grundlagen des Compliance Managements gesehen, etwa durch die Einführung von Unternehmens- oder Verbandsstrafrecht. Andererseits ist unübersehbar geworden, dass reine Legal Compliance ökonomisch schwierig und rechtlich nur eingeschränkt effektiv ist. Compliance ist strategisches Wertemanagement.
Mehr denn je: Ohne vertrauensbasiertes und an Werten orientiertes Handeln geht es nicht!
BC: Ohne COVID wäre wahrscheinlich Wirecard das beherrschende Thema des vergangenen Jahres gewesen: Werden Gier und Betrug jemals aus dem Wirtschaftsleben verschwinden?
Wieland: Natürlich nicht, dass wissen wir aus den frühesten Dokumenten der Menschheitsgeschichte. Ohne organisatorische Regel und individuellen Charakter geht es nicht.
BC: Abschließend zum Spannungsfeld von Unternehmen und Staat: In unserer Gesellschaft werden Grund- und Menschenrechte ja vom Staat garantiert, könnten diese bei wachsender Macht- und Monopolstellung globaler Unternehmen bei schwindender Macht staatlicher Institutionen in Gefahr geraten?
Wieland: Ja. Es gibt ja nicht ohne Grund in den USA die Diskussion über „Corpocratie“. Umso wichtiger ist die Frage, für welchen Purpose, für welche Werte und Prinzipien stehen Unternehmen.
Prof. Dr. Josef Wieland ist Vizepräsident / Direktor des Leadership Excellence Institut (LEIZ) der ZU sowie Vizepräsident für Forschung und Beauftragter für Internationale Kooperationen, Dean der Graduate School, Chair Institutional Economics, Organisational Governance, Integrity Management & Transcultural Leadership. Am 7. Oktober 2021 hält er die Eröffnungs-Keynote auf der Jahrestagung „Compliance now!“