Business Circle: Sehr geehrte Frau Machacova, Sie leiten bei Semperit die ESG Abteilung Was ist Ihre wesentliche Motivation, sich mit Nachhaltigkeitsstrategie zu befassen?
Katerina Machacova: Nachhaltigkeit bzw. Nachhaltigkeitsstrategie ist für mich die nächste Evolutionsstufe wirtschaftlicher Entwicklung, die Unternehmen zwar resilient und überlebensfähig für die Zukunft macht, aber von der Menschheit bis zur letzten Überlebensminute hinausgezögert wurde. So wie es in der Geschichte so oft vorkam, egal welche Entwicklungen es waren, ob astronomische, medizinische, politische oder wirtschaftliche, der Mensch war zuerst misstrauisch und reserviert. Wollte es zuerst mit eigenen Augen und auf eigener Haut spüren, um es zu glauben.
Schon im 18. Jahrhundert hielten Menschen die ersten Gedanken zur Ressourcenschonung und zu Umweltschutz auf Papier fest.
Nachhaltigkeitsstrategie ist für mich, den Bedarf an Umdenken in die Unternehmenssprache zu übersetzen, das abstrakte qualitative Nice-to-Have mit greifbarem quantifiziertem Must-Have zu verlinken.
Schon im 18. Jahrhundert bewegte das Preisschild. Und die Nachhaltigkeitsstrategie ist der Weg, dieses Preisschild im Unternehmen so zu positionieren, dass es gesehen, verstanden und darauf reagiert wird.
BC: Welche speziellen Herausforderungen gibt es bei Ihrer Circularity Initiative in der Dichtungssparte bei der Umsetzung des Closed Loop Systems?
Machacova: Unzählige. Am besten erklärt es unser aktuelles Projekt zur Regeneration von Produktionsabfällen. Unser Ziel ist es, Recyclate aus vulkanisierten Abfällen aus dem eigenen Produktionsprozess sowie End-of-Life Fenster-, Türen- und Fassadendichtungen in Primärrohstoff umzuwandeln und diesen in einen neuen Produktlebenszyklus zu integrieren. Wir stehen kurz vor der Vermarktung von diesem Konzept und schließen die ersten Kundenkooperationen ab. Und darauf kommt es an, das ist eine der größten Herausforderungen – Kooperation als Voraussetzung.
Wir wissen, wir können den Kreislauf nicht alleine schließen, wir haben weder das Prozess-Know-How, noch die Technologie oder die finanziellen Mittel, um den Loop schließen zu können. Wir brauchen Partner. Vonseiten der Kunden profitieren wir momentan von der steigenden Nachfrage der Endkonsumenten. Diese kaufen bewusster, ökologischer ein. Und dieses Umdenken zieht sich durch die Wertschöpfungskette vom Fenstersystemanbieter, über uns, dem Elastomerkomponentenhersteller bis hin zum Kunden.
Closed Loop in dieser Branche ist komplex, unerforscht und teuer. Wir müssen uns -zumindest am Anfang- die Kosten und die Komplexität mit dem Kunden teilen. Und dieser muss bereit sein, sie mit zutragen.
Die nächste Herausforderung, vor der wir dann im Bezug auf End-of-Life Produktrecycling stehen, ist Reverse Logistics. Also die Identifikation, Rückgewinnung und Transport von End-of-Life Gummi zum Recycling. Als Hersteller von Komponenten haben wir nicht immer die genaue Kenntnis darüber, an welchen Stellen unsere Handläufe, Schläuche, Fördergurte, Seilbahnringe, Matten und Dichtungen eingesetzt werden oder wann sie das Ende ihres Lebenszyklus erreichen, um eine Rückführung zu ermöglichen. Und hier kommen wir wieder zurück zur Kooperation: Unser Kunde weiß es. Er baut den Gummi ein, serviciert ihn, tauscht ihn aus, kann ihn lokalisieren und zurückführen.
Die Zusammenarbeit mit unseren Geschäftspartnern stellt nicht nur die größte Herausforderung dar, sondern ist auch die einzige Lösung für die Hindernisse in Bezug auf Kreislaufwirtschaft, die Semperit bei einem geschlossenen Wertschöpfungskreislauf im Weg stehen.
BC: Daran anschließend: haben Sie vielleicht ein besonderes Leuchtturmprojekt, eine außergewöhnliche Erfolgsstory, die Sie mit uns teilen wollen?
Machacova: Wie bereits erwähnt, sind im Bereich Kreislaufwirtschaft die sogenannten Reclaimed Profiles, also Dichtungsprofile, die mit unserem eigenen, im Kreislauf geführten, vulkanisierten Produktionsabfällen stammen DAS Lighthouse Projekt der Semperit Gruppe.
Was macht es so besonders? Dieser Prozess ermöglicht, eine der letzten Recyclinglücken in der Bauindustrie zu schließen und der Vision einer Zero-Waste-Produktion in der Bauindustrie näher zu kommen. Im Gegensatz zu Fenster-, Tür- und Fassaden-Rahmenmaterialien (Aluminium, PVC) besteht für die Dichtungsprofile aktuell keine Möglichkeit sie zu recyclen. Die Dichtungen zählen zu den 30% der Baumaterialien, für die es zurzeit keine Recyclinglösung gibt, die restlichen 70% werden bereits wiederverwertet. Die Abfälle aus dem post-industrial und end-of-life Bereich werden energetisch weiterverwertet (verbrannt). Semperit Circularity Profile veranschaulichen damit auf transparente Art den Wiedereinsatz von Sekundärrohstoffen in der Produktion vor Ort. Die CO2-Bilanz der wiedergewonnenen Profile ist damit gemäß den ISO-Standards erheblich besser als die für ähnliche Dichtungsprofile. Das ist einerseits ein maßgeblicher Beitrag zur Kreislaufwirtschaft, aber auch zur Dekarbonisierung in der Bauindustrie und dadurch zum Klimaschutz.
BC: Was ist für Sie der Unterschied zwischen Regeneration und Kreislaufwirtschaft, wo liegen die Verschiedenheiten im Denkansatz?
Machacova: Regeneration erweitert die Kreislaufwirtschaft, indem sie Biodiversität und gesellschaftlichen Nutzen einbezieht. Entsprechend dem Cradle-to-Cradel Ansatz werden die negativen Impacts der Wirtschaftstätigkeit gemildert. Fast alle im Gummi vorhandenen Rohstoffe werden zurückgewonnen und die neuerliche Gewinnung von Primärrohstoffen wird vermieden.
Darüber hinaus fördert Regeneration Innovation und Kooperation. Der Arbeitsmarkt verschiebt sich: Ausbildung in diesem Bereich wird attraktiver und hilft, den Fachkräftemangel in technischen Berufen zu reduzieren. Außerdem verbessern sich die Arbeitsbedingungen damit auch die Menschenrechte auf globaler Ebene. Regeneration bietet damit Antworten auf ökologische und soziale Herausforderungen.
Das Potenzial von Regeneration ist im Vergleich zu Reuse und/oder Refurbishment die Ressourcengewinnung nicht nur zu reduzieren, sondern ganz zu verhindern.
BC: Je mehr „grünes“ Wirtschaften in den gesellschaftlichen Fokus rückt, desto mehr häufen sich auch die Vorwürfe gegen einzelne Unternehmen, „Greenwashing“ zu betreiben. Welche Strategie verfolgen Sie, um sich solchen Vorwürfen gar nicht erst auszusetzen?
Machacova: Zahlen, Daten, Fakten - wir kommunizieren nur das, was wir wissen und belegen können. Semperit wartet im Gegensatz zur Konkurrenz mit Nachhaltigkeits-Versprechen, bis alle Messages mit zertifizierbaren Nachweisen hinterlegt sind. Einiges beruht auf nationalen und gesetzlichen Normen, die verpflichtend zu erfüllen sind und kein Alleinstellungsmerkmal darstellen. Wir verweisen auf unsere vorhandenen Zertifikate, den geprüften Nachhaltigkeitsbericht und unsere ökologisch nachhaltigen Aktivitäten im Rahmen der Berichterstattung zur EU-Taxonomie.
BC: Eine wichtige Frage, der wir am Kreislaufwirtschaftstag einen eigenen Themenblock widmen: Wie überprüfen Sie das Einhalten von ESG-Standards entlang Ihrer Rohstofflieferkette?
Machacova: Unsere Due Diligence wurde sorgfältig aufgebaut und beruht auf guter Kooperation mit unseren Business Partnern. Diese unterliegen umfangreichen Assessments ihrer ESG-Performance, Unterzeichnung von Supplier Policy und Code of Conduct und Zertifizierung ihrer Lieferanten durch EcoVadis. Voraussetzung ist die Bereitschaft auf beiden Seiten, tatsächlich zur Nachhaltigkeit in der globalen chemischen Industrie beizutragen. Die Skalierung all dieser Maßnahmen passiert über das Kooperationsnetzwerk Together for Sustainability. Semperit schwimmt hier als kleiner Fisch in einem lebendigen, mächtigem Hai-Tank mit anderen chemischen Unternehmen mit und profitiert von der Zusammenarbeit und dem Teilen von Daten und Erfahrungen.
Nachhaltigkeit in der DNA des Unternehmens verankern
BC: Nachhaltigkeit muss als wirtschaftliche Chance verstanden werden. Wo liegen Ihre Chancen als österreichisches Unternehmen im produzierenden Gewerbe?
Machacova: Die Chancen liegen eindeutig in der Identifikation und proaktiven Suche nach noch nicht entdeckten Potenzialen und Hebeln, die ein Unternehmen im jeweiligem Rohstoff-, Prozess-, Geographie- und Branchenkontext hat. Was wir alle heutzutage gewohnt sind und (ab einer gewissen Unternehmensgröße) vergleichbar betreiben, ist die Identifikation von Risiken, deren Quantifizierung, Minderung und Vorbeugung. Was die meisten produzierenden Unternehmen in Österreich, einem Land mit langer klassischen Industrietradition (Semperit ist hier mit fast 200 Jahren ein perfektes Beispiel) aber noch NICHT in ihrer eigener DNA verankert haben, ist genau die Suche nach nachhaltigen Chancen. Und wenn, dann kommt man nicht über die bekannten unternehmerischen „Evergreens“ von Energieeffizienz und grünem Strom hinaus.
Aber genau die schwer greifbaren, noch nicht so leicht quantifizierbaren Potenziale in Bereichen wie Recycling, Inklusion, Business Ethics oder eben die Nachhaltigkeit in der Lieferkette, die man indirekt über Customer, Investor und Employer Branding in finanziellen Mehrwert umwandeln kann, macht den USP von heute und die Relevanz des Unternehmens von morgen aus. In dem Moment, wo Unternehmen anfangen diese Hebel proaktiv in Bewegung zu setzen, werden österreichische Unternehmen wirklich nachhaltig.
BC: Abschließend: Sie haben ja schon den Austrian Sustainability Summit besucht und werden jetzt am Kreislaufwirtschaftstag vortragen - warum ist es so wichtig, sich im Bereich nachhaltigen Wirtschaftens zu vernetzen?
Machacova: Ich komme noch einmal zum Thema Kooperation zurück: Zusammenarbeit startet mit Netzwerken von Experten, Lösungsanbietern, Beratern und generell Menschen aus unterschiedlichem Umfeld und ist der Grundbaustein für Ideengenerierung. Durch den Austausch von Best Practices, aber auch Worst Practices (die ich oft spannender und wertvoller finde) werden Chancen identifiziert. Die kooperative Umsetzung ist meines Erachtens die einzige Lösung, um nachhaltiges Wirtschaften und die Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen.
Katerina Machacova leitet bei Semperit die ESG Abteilung und verantwortet unter anderem auch die Positionierung der Kreislaufwirtschaft in der Nachhaltigkeitsstrategie. Sie unterstützt die operativen und kommerziellen Business Teams der Semperit, die bei der schrittweisen Umsetzung im B2B-Bereich der Gummi- und Elastomerbranche mit vielen Herausforderungen konfrontiert sind. Beim Austrian Circular Economy Exchange am 28. November 2023 nimmt sie teil am Abschlusspanel zum Thema: "Warum wir eher über Re-Generation anstatt Kreislaufwirtschaft sprechen sollten."